Expat-Leben

Expat-Leben: Wer willst du sein?

Julia Meder - www.expatmamas.de - Coaching für Expatfrauen

Im Spätsommer kehrt gewöhnlich etwas Ruhe in die Expat-Gemeinde: Die einen sind in ihrer neuen Heimat angekommen und haben sich eingerichtet. Die anderen haben ihren ersten Expat-(Heimat)-Urlaub hinter sich und die Rückreise fühlt sich vielleicht zum ersten Mal wie Heimkommen an. Und wieder andere sind mit Sack und Pack zurück in Deutschland und nehmen ihr altes Leben wieder auf. Aber egal in welcher Phase eurer Expat-Zeit ihr gerade steht, beschäftigt euch vielleicht die gleiche Frage. Mir ging es jedenfalls so. An jedem dieser Punkte unserer Expat-Zeit meldete sich ein und dasselbe Thema in meinem Hinterkopf: Was wird jetzt aus mir?  Wie geht es weiter für mich?

Jede Expatmama findet darauf ihre eigenen Antworten und ich finde es immer unglaublich spannend, wenn ich die Gelegenheit habe, mich mit der ein oder anderen von euch darüber länger zu unterhalten. Es tut gut, wenn man hört, dass sich andere ähnliche Gedanken machen und es inspiriert, wenn man sieht, welche Wege sie gehen. Denn auch wenn man zu Anfang nicht gerade Feuer und Flamme für die Entsendung ist, kann man letztendlich durchaus seine Berufung in der neuen Heimat finden. So wie Julia, die ich euch heute gerne vorstellen möchte. Sie hat in ihrer USA-Zeit viel gewagt: zweites Kind, Vollzeit-Job und schließlich Sprung in die Selbständigkeit.

Ein Gespräch über Beruf, Berufung und ein erfülltes Expat-Leben

e/m: Liebe Julia, seit fast einem Jahr seid ihr nun schon zurück. Wo und wie lange habt ihr im Ausland gelebt?

Julia: Wir haben von Mai 2012 bis November 2015 in Raleigh, North Carolina/USA gelebt. Kurz vorher war mein Mann bereits nach Antwerpen delegiert, aber da bin ich nicht mitgegangen, da es für mich keine Möglichkeit gab, zu arbeiten und die Entfernung auch nicht so groß war.

e/m: Ihr habt also schon eine Expat-Fernbeziehung gelebt, als das Angebot kam?

Julia: Genau. Und ich hab erst mal nur geheult. Unser Sohn war gerade vier Wochen alt, aber es waren nicht nur die Hormone. Mein Mann war in Antwerpen, ich war die ganze Schwangerschaft allein gewesen und wollte endlich ein Familienleben daheim – nicht in der Ferne. Ich hatte alles für meinen Wiedereinstieg nach dem Mutterschutz geplant; meine Eltern wollten die Betreuung übernehmen, ich hatte eine tolle 100-Prozent-Stelle, das Haus sollte weiter umgebaut werden. Alle Weichen waren gestellt. Und dann sollte plötzlich alles anders sein.

e/m: Und trotzdem habt ihr das Angebot angenommen.

Julia: Wir wussten, dass früher oder später ein Auslandseinsatz kommen würde für meinen Mann. Nachdem der Gedanke also ein wenig sacken konnte, haben wir zugestimmt unter der Bedingung, dass man mir auch einen Job anbieten würde. Wir waren zu dem Zeitpunkt beide bei der BASF und sogar im gleichen Unternehmensbereich tätig, daher hat es gut geklappt, dass ich in den USA auch arbeiten konnte. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass unsere Chefs sich da so toll verhalten haben.

Außerdem haben wir es zeitlich so eingerichtet, dass ich erst noch mein Projekt in Deutschland abschließen konnte, bevor wir alle umgezogen sind. Mein Mann hat in den USA angefangen, als unser Sohn ein halbes Jahr alt war und ich bin vier Monate später nachgezogen. Es ging also nicht so plötzlich über die Bühne wie befürchtet.

Chimney Rock, Apalachina Mountains/NC
Chimney Rock in den Apalachina Mountains/NC

e/m:  Warst du zufrieden mit deiner neuen Aufgabe in den USA?

Julia: Ja, sehr. Als wir rübergegangen sind, war ich erst noch ein paar Monate mit unserem Sohn zuhause, habe ihn dann in ein Daycare eingewöhnt und bin anschließend Vollzeit eingestiegen. Im Juli 2014 kam unsere Tochter zur Welt und auch danach habe ich wieder gearbeitet. Ich hatte einen lokalen Vertrag, war in einem ähnlichen Bereich wie in Deutschland tätig und mein Vertrag daheim ruhte. Also eigentlich ideale Bedingungen.

e/m: Das klingt nach einem „Aber“.

Julia: Ich habe meinen Job immer gern gemacht und trotzdem fehlte etwas.

„Ich war von meiner Aufgabe nie ganz erfüllt. Die Expat-Zeit hat das Gefühl wie unter einem Brennglas verstärkt.“

Also habe ich im Sommer 2015 beschlossen ein Coaching in Deutschland zu machen, um endlich herauszufinden, was dieses Etwas war, das mir fehlte. Dieses Coaching nennt sich Karriere Navigator und hat zum Ziel, die eigene Berufung zu finden, herauszuarbeiten, was einen erfüllt. Es war ein unglaublich intensiver Tag, aber danach wusste ich, was ich machen wollte: Ich wollte selbst als Coach und Autorin arbeiten! Das war einerseits eine befreiende Erkenntnis, andererseits auch verunsichernd, weil es ja bedeutete, eine sichere Festanstellung aufgeben zu müssen.

e/m: Und du wusstest zu dem Zeitpunkt auch schon, dass ihr nach Deutschland zurückkehren würdet?

Julia: Ja, deswegen wollte ich unbedingt handeln. Kurzentschlossen habe ich meinen lokalen Vertrag in den USA gekündigt. Mit der Sicherheit  meines ruhenden Vertrages in Deutschland im Hinterkopf konnte ich mich also ausprobieren und die fünf Monate bis zum Ende der Delegation nutzen, um eine Coaching-Ausbildung bei der Raleigh Coaching Academy zu machen und an meinen Büchern weiter zu schreiben. Es hat sich dann ergeben, dass ich mit meiner amerikanischen Freundin noch einen Verlag gegründet habe, der sich City of Oaks Publishing nennt. Wir haben mehrere Journals (also geführte Tagebücher) erstellt und vermarkten diese über City of Oaks Publishing. Die letzten vier Monate in den USA waren für mich die intensivsten, da ich Coach geworden bin und den Verlag gegründet habe und somit endlich das gemacht habe, was mich wirklich glücklich gemacht hat.

„Auch vorher hat mir die Zeit sehr gut gefallen, aber in den letzten Monaten habe ich mich selber gefunden und das ist natürlich das schönste Gefühl überhaupt. Ich war noch nie in meinem Leben zufriedener als in meinen letzten vier Monaten in Raleigh.“

e/m: Wärst du gerne länger geblieben?

Julia: Ein bisschen länger wäre sicher nett gewesen. Aber nicht für immer. Dass ich wusste, wie es für mich in Deutschland weiter gehen würde, machte den Abschied leichter.

e/m:  Hast du dann bei der Rückkehr gleich als Coach gearbeitet?

Julia: Nein. Mit der Ausbildung zum Coach und der Verlagsgründung war ich zwar endlich bei dem angekommen, was mich wirklich glücklich machte. Trotzdem habe ich erst einmal meinen ruhenden Vertrag bei der BASF wieder aufgenommen. Es gab so viele Baustellen mit dem Umzug, Kinder eingewöhnen, Haus umbauen und so weiter, da wollte ich mich nicht auch gleich noch mit einer Selbstständigkeit beschäftigen. Das habe ich dann in Angriff genommen, als sich hier nach einem halben Jahr wieder alles eingependelt hatte und wir alle angekommen waren.

Ich habe zunächst noch meine Ausbildung zum Karriere Navigator-Coach in Deutschland gemacht, damit ich neben dem normalen Coaching auch Menschen helfen kann, die wie ich auf der Suche nach ihrer Berufung sind. Es ist toll, anderen dieses Gefühl zu geben, endlich angekommen zu sein. Und meine allerliebste Zielgruppe, mit denen ich das Coaching mache, sind Expat-Partnerinnen. Sie zu unterstützen, ihre Expat-Zeit bestmöglich zu nutzen oder vielleicht sogar noch ihre Berufung  zu finden, das ist für mich der allerschönste Moment.

e/m: Was waren für dich neben den beruflichen die größten Herausforderungen in der Expat-Zeit? Und danach?

Julia: Mir in den USA ein neues Support-System aufzubauen! Ich hatte hier in Deutschland ein ganz gutes und ich finde es wichtig, dass man sich dort aufgehoben fühlt. Mein Mann war viel auf Dienstreise und ich war in der Zeit auch schwanger. Da tut es schon gut, wenn man weiß, dass es Menschen vor Ort gibt, auf die man zählen kann. Aber so etwas aufzubauen braucht eben auch viel Zeit und Energie.

Als wir wieder zuhause waren, musste ich mich vor allem daran gewöhnen, dass sich nicht alle für das interessieren, was man im Ausland erlebt hat und einige Menschen fast bockig reagieren, wenn man mal sagt, dass wir das in den USA so oder so gemacht haben. Außerdem erwarten viele Menschen, die einen noch von vorher kennen, dass man so ist wie immer und dabei hat sich bei einem so viel getan und man hat sich eben schon verändert. Das alles in Einklang zu bringen und zu akzeptieren, dass eben nicht mehr alles so ist wie früher, war schwierig für mich. Aber zum Glück gibt es ja auch immer noch Leute, die gern zuhören, die sich interessieren oder die selber im Ausland waren und das Gefühl nachvollziehen können.

e/m: Würdest du rückblickend eure Entsendung heute anders angehen?

Julia: Ich habe über diese Frage lange nachgedacht und jetzt kommt eine Antwort, die den Coach in mir durchscheinen lässt: Nein, ich hätte nichts anders gemacht, weil selbst alle Probleme perfekt waren für mich. Ja, es gab Dinge, die nicht einfach waren und die ich mir in dem Moment vielleicht anders gewünscht hätte. Aber wenn nicht alles genau so passiert wäre, dann wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin und das fände ich sehr schade. Ich denke, dass alles aus einem Grund passiert, und man muss nur rausfinden, was das Gute an der Situation ist. Und wenn ich wieder vor der Entscheidung stünde (und ja, bei der ersten Info, dass es in die USA gehen sollte, habe ich stundenlang geheult), dann würde ich es genau so wieder machen.

„Die Expat-Zeit war das Beste, was mir passieren konnte.“

e/m: Was sind die drei wichtigsten Tipps, die du anderen Expatmamas mit auf den Weg geben würdest?

Julia: Außer dem Supportsystem, von dem ich schon gesprochen habe, sind das vor allem folgende Dinge:

„Werde dir vorher klar, was du in der Zeit machen möchtest und wer du sein willst.“

Ja, der Umzug an sich und die Logistik und Infrastruktur bleibt meist an uns hängen und diese Dinge sind auch wichtig. Aber lasse dich davon nicht auffressen, sondern mache dir auch ein paar Gedanken um dich. Es wird viele Menschen um dich herum geben, die eine Meinung über deine Rolle und über deine Zeit dort haben werden. Es wird Kommentare geben wie: Ist doch toll, du kannst den ganzen Tag shoppen gehen/Golf spielen/Kaffee trinken usw. und es werden sich Menschen in eure Familienplanung einmischen und vorschlagen, dass noch ein Kind doch toll wäre. Das alles ist aber nicht wichtig, denn du bist diejenige, die nachher dort zuhause sitzt und ihre Zeit rumkriegen muss.

Überlege dir also, was du machen möchtest (sei es Arbeit, ehrenamtliche Arbeit, Hobbies, persönliche Weiterbildung, usw.) und mache dir einen Plan. Vielleicht musst du Dinge von zuhause dafür mitnehmen oder schon in Deutschland planen (zum Beispiel Materialien für ein bestimmtes Hobby oder Einschreibung Fernstudium), daher ist es gut, früh damit anzufangen.

Aber du brauchst dir nicht nur Gedanken darüber machen, was du tun willst, sondern auch wer du sein willst. Das Gute ist, dass du in eine ganz neue Gemeinschaft reinkommst. Kaum einer kennt dich und du kannst dich quasi neu erschaffen – wenn du das willst. Du willst die sein, die die besten Partys schmeißt? Keiner hindert dich daran. Du möchtest gern als Fotografin arbeiten? Gut, biete anderen Expats an, dass Du ihre Familien fotografierst. Du möchtest die Person sein, zu der alle anderen mit ihren Problemen kommen und ihnen dann helfen? Dann sei diese Person. Es ist deine Entscheidung, wer du sein willst.

„Akzeptiere, dass die Situation ist, wie sie ist, und versuche, die schönen Dinge im neuen Land zu finden, auch wenn es nur Kleinigkeiten sind wie, dass es dort das bessere Obst gibt oder eine Massage günstiger ist und man die Zeit hat, sie zu machen.“

Trauere nicht deinem Leben in Deutschland hinterher. Es bringt nichts. Das ist Vergangenheit. Und alles, was es dir bringt, ist, dass du unglücklich und nicht offen für Neues bist. Natürlich sind viele Dinge in Deutschland besser, vor allem, weil man sie gewohnt ist. Aber es wird bald ganz viele Dinge geben, die du in deinem neuen Land besser findest (bei mir waren es Drive-thru-Apotheke und -Bank sowie die Freundlichkeit und das Kümmern der Südstaaten-Amerikaner sowie das Daycare-System).
Eine Freundin von mir konnte in den USA nicht arbeiten und konnte es kaum erwarten, wieder zurückzukommen. Zum Teil war das alles, woran sie denken konnte. Und als sie wieder hier war, hat sie gemerkt, wie viel ihr doch aus den USA fehlte. Und was ihr am meisten fehlte, war ihre Freiheit, denn dort hatte sie ihre Zeit einteilen können, wie sie wollte. Diese Freiheit hatte sie in den USA nur nie genießen können, da sie sie als negativ empfunden hatte und sich nur nach Deutschland gesehnt hatte.

„Verstecke dich nicht zuhause, sondern gehe raus.“

Die Outer Banks/NC
Die Outer Banks/NC

Dieser Tipp hat sowohl mit Tipp Nr. 2 und dem Supportsystem zu tun: Auch wenn es verführerisch ist, zuhause zu bleiben und nur mit Freunden in Deutschland zu skypen oder die Zeit auf Facebook zu verbringen: Mach es nicht! Nicht nur, weil du sonst von deinem alten Leben nicht loskommst, sondern weil du das wahre Leben in deiner neuen Heimat verpasst. Es ist so wichtig, richtige Menschen kennenzulernen, die dort leben. Ja, andere Expats gelten auch, aber nur mit Einschränkung. Versuche wirklich, Menschen aus dem Land kennenzulernen.

Wir als Mütter haben die großartige Gelegenheit das über unsere Kinder zu tun. Im Daycare, in den Schulen, beim Sport, auf dem Spielplatz, überall gibt es Gelegenheit mit anderen Müttern ins Gespräch zu kommen. Und gemeinsame Themen gibt es genug. Und ja, ich weiß, dass einige jetzt mit den Augen rollen, denn sie wollen sich nicht als Mutter identifizieren (sondern als Partylöwin, Fotografin oder Kummerkastentante), aber einen besseren Einstieg gibt es meist nicht. Und was du dann daraus machst und wie du dich gibst, ist ja deine Entscheidung. Wichtig ist nur, dass du nicht zuhause bleibst und nur mit dir allein bist. Entscheide dich bewusst dafür, aktiv am Leben teilzunehmen. Zurück nach Deutschland kommst du vermutlich früh genug!

e/m: Liebe Julia, vielen Dank dass du dir die Zeit für unser Gespräch genommen hast. Ich drücke dir sehr die Daumen für deinen beruflichen Neustart und allen Expatmamas da draußen für eine erfüllte Zeit.

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