Aus erster Hand

Graue Gefühle vor schillernder Kulisse

Graue Gefühle vor schillernder Kulisse - www.expatmamas.de/ #Kultuschock

Kulturschock ist ein großes Wort. Er kann so viele Gestalten annehmen und für jede Expatmama etwas anderes bedeuten im Alltag. Aber immer geht es ums Ankommen, sich heimisch fühlen und Fuß fassen in neuen Routinen. Kulturschock ist ein abstraktes Wort, das kaum jemand verwendet, der von seinem neuen Leben in der Fremde erzählt. Aber genau das meinen wir, wenn wir uns die kleinen und großen Frustrationen von der Seele reden und nach Wegen suchen, mit den veränderten Lebensbedingungen umzugehen. Kulturschock ist kein plötzlich auftretendes Unbehagen, sondern ein dumpfes Gefühl, das am Hier und Jetzt zweifeln lässt. Pamela, die mit ihrer Familie in Casablanca lebt, fühlt sich noch mittendrin in diesem Zustand. Sie erzählt euch heute aus erster Hand, womit sie kämpft und welche Strategien ihr helfen sollen, heimisch zu werden.

Ein Gastbeitrag von Pamela Perschnick

In mein Fenster lugt die Sonne herein. Morgens schon. Ich als Morgenmuffel krieche aus dem Bett und mache die Kinder wach. Kriechen ist schon schnell am Morgen. Aber mit etwas Sommerfeeling geht alles besser. Und das Tollste… Sommerfeeling haben wir in Marokko acht Monate im Jahr. Eine Stunde später laufen auf den Straßen lärmend die Kinder zur Schule, Eltern stehen schwatzend hier und da an der Ecke, sobald sie ihre Kinder abgegeben haben. Ein bisschen später ebben das Stimmengewirr und die Schulbushupen ab und machen den Autohupen und den Rufen der Straßenverkäufer Platz. Zwischen den Häusern ertönen die Rufe: „Chubz germ„, „Hut hut“ oder „Biu“ und kündigen Verkäufer mit ihrem Holzwägelchen an, die altes Brot einsammeln, Fisch verkaufen, Dinge für das Recycling sammeln oder Gemüse an die Leute bringen wollen.

Graue Gefühle vor schillernder Kulisse - www.expatmamas.de KulturschockNachmittags, wenn die Kinder aus der Schule kommen, läuft alles rückwärts. Um 19h kündigt der Adhan (Gebetsruf) das Ende des Tages an. Die Sonne geht unter, und manche würden danken, dass jetzt Ruhe einkehrt. Aber weit gefehlt. Solange es nicht regnet, spielen die Kinder auf der Straße, donnert der Fußball gegen das Garagentor und wird gelacht, geschimpft und miteinander gerauft. Wirklich still wird es abgesehen von ein paar Jugendlichen wirklich erst gegen Mitternacht. Es ist lebendig, es ist bunt und laut.

Dieses Flair bildet also die Kulisse. Und wie sieht nun unser Stück aus?

An dem schreiben wir noch. Es ist schön und spannend. Aber es ist ganz klar anstrengender geworden und ich habe mich noch nicht entschieden, welche Theaterkritik es bekommt. Unsere Komödie ist nämlich sehr traditionell aufgezogen in unserem neuen Land. In Deutschland haben mein Mann und ich uns die Arbeit zuhause aufgeteilt. Nicht gerecht, da ich mit Baby zuhause war und er arbeitete, aber es gab eine gute Ausgangslage. Jetzt sind wir auf eine Relation von 5:95 gerutscht. Männes Selbständigkeit im neuen Land lässt weniger Spielraum und weniger Zeit. Und ich versuche zu verstehen und damit umzugehen, vielleicht die Stellschrauben zu finden, die einen Unterschied machen.

Im ersten Akt, ungefähr das erste halbe Jahr, war alles spannend. Ich betrachtete die Kulisse gespannt und lernte die ersten Protagonisten kennen. Im zweiten Akt folgten meine Versuche, endlich sprachlich und alltagstechnisch auf eigenen Beinen zu stehen. Einen Sprachkurs konnte ich nicht besuchen, weil ich noch ein kleines Kind zuhause hatte. Mir half sehr, dass wir Familie meines Männes in der Nähe haben. Von ihnen lernte ich viel. Ich ging alleine einkaufen, versuchte auch ohne Auto in der Stadt mit den Kindern mobil zu sein. Die Stadt zu entdecken. Mich nicht von der fremden Umgebung abschrecken und der Mühe mit den Kindern abhalten zu lassen. Ich ging alleine zum Arzt, zu Behörden, zur Schule. Klärte dort Missverständnisse, Streitigkeiten, Probleme mit meiner Tochter. Ich nahm die Herausforderung sportlich und alles, was sich in den Weg stellte, forderte meinen Willen nur mehr heraus. Es musste doch klappen, dass das alles alleine zu wuppen war. Arzt, Schule, Haushalt, Kinder betreuen und Kinder zu fördern. Freizeit für mich? Das sind dann wohl die Abendstunden. Ach nee, da wartete Liegengebliebenes. Okay, also Fehlanzeige.

Ich hatte schon immer Ehrgeiz. Alleine zu machen und alleine zu schaffen. Ich wäre keine gute Managerin. Aufgaben delegieren ist nicht meine große Stärke. Logisch, dass im Konflikt des Stückes die Sinnkrise ausbricht. Nach Abstrampeln und gewissen Erfolgen der Mission „Unabhängigkeit“, kam ein Loch. Jetzt konnte ich kommunizieren, ich konnte mich orientieren und war nicht mehr verloren im Land und jetzt? Sollte ich alles alleine schaffen, kann ich mir ein Abzeichen auf die Brust heften. Wie soll ich Kontakte knüpfen ohne Job und Studium, immer mit dem Kleinkind im Schlepptau? Wo bleibe ich? Was kann ich gegen Einsamkeit tun, wenn ich noch kaum Kontakte habe?

Graue Gefühle vor schillernder Kulisse - www.expatmamas.de KulturschockVielleicht hat das Ganze nichts mit dem Land zu tun. Das Gleiche hätte mir auch in Deutschland widerfahren können. Nur in Deutschland mit den lieben Freunden und der Familie im Rücken übersteht man so eine Phase schnell. Im Ausland muss man da (fast) alleine durch. Denn so sehr am Anfang hat man nur den Partner. Keine Freundinnen, die mit mir einfach um die Häuser ziehen, oder sich mit mir literweise mit Eis vollstopfen, um mich aufzurichten und dabei die richtigen Worte finden. Und das ist wahrscheinlich der springende Punkt. Die fehlenden Kontakte machen einen im Ausland so verletzlich am Anfang. Der Partner oder die Partnerin lebt ein ganz anderes Leben, lernt neue Menschen kennen und hat bald ein eigenes Netzwerk. Für den Part, der zuhause bleibt, ist es schwerer, diesen Schritt umzusetzen.

Im meinem dritten Akt bewegt sich etwas. Langsam aber immerhin. Ob mein Schock wirklich etwas mit der neuen Kultur zu tun hatte? Weiß ich nicht. Aber ich fahre verschiedene Strategien, um irgendwann anzukommen. Im Land, aber auch im Gleichgewicht mit mir und meiner Familie. Manches klingt banal, ist aber immer ein Schritt heraus aus dem Loch.

Wege aus dem Tief:

  1. Geduld: das große Wort, das sich so leicht anhört, aber tatsächlich das Schwerste von allen ist. Auch bei Jonna steht es beim Thema Kulturschock, wahrscheinlich nicht umsonst, an erster Stelle.
  2. Loslassen, in meinem Fall, nicht krampfhaft Kontakte suchen. Seitdem ich entspannter bin, kommen sie von alleine.
  3. Sport u.ä. Aktivitäten. Ich schleppe meinen Sohn inzwischen einfach überall hin. Gnadenlos.
  4. Dinge machen, die ich schon immer machen wollte und für die ich vorher nie Zeit hatte.
  5. Mit dem Partner im Gespräch bleiben.
  6. Eine Nanny suchen.
  7. Wenn die Kinder betreut werden, studieren oder jobben.
  8. Offen bleiben für die Menschen um uns herum. Was sind ihre positiven Seiten, was beschäftigt sie? So lenke ich den Blick weg von mir.
  9. Zu allen negativen Dingen, die wir sehen, etwas Positives finden.
  10. Ehrenamtlich engagieren.
  11. Beim Deutschen Konsulat nach einem Verteiler für Deutsche fragen, bzw. nach einem vorhanden Netzwerk.
  12. Beim Goethe Institut nach einem Deutsch-Stammtisch fragen. Vielleicht gibt es Menschen, die sich regelmäßig treffen, um Deutsch zu lernen. Hier ergeben sich sicherlich nette Kontakte.

Pamela lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern (2 und 5) in Casablanca. Schon in Deutschland brannte sie für Themen wie Antirassismus und organisierte Interkulturelle Begegnungen. Auf ihrem Blog „MarokkoMittenMang“ schreibt sie über alles, was das Leben in Marokko angeht. Auch mit dem Ziel, mehr Facetten zu zeigen als Strand, Moscheen und Kamele und in naher Zukunft die Menschen des Landes zu Wort kommen zu lassen. 

Mehr zum Thema „Kulturschock“ findet ihr hier auf der Expatmamas-Website.

Und wenn ihr selbst eure Erfahrungen zu einem Thema auf dem Expatmamas-Blog teilen wollt, schreibt mir unter info@expatmamas.de. Ich freue mich immer sehr über Gastbeiträge mit Eindrücken aus aller Welt!

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