Mama denkt (sich ihren Teil)

Grauzonen – Warum Zivilcourage nicht immer leicht ist

Grauzonen - www.expatmamas.de - Zivilcourage

Zivilcourage? Unbedingt! Den Kindern darin Vorbild sein? Selbstverständlich! Und dann gehe ich mit meiner Tochter im Wald spazieren und wir treffen die Realität.

Während wir Zweige und Zapfen sammeln, sehen wir weiter vorne am Wegesrand drei Halbstarke. Sie lungern auf einer Bank rum. Ich beobachte sie aus dem Augenwinkel: Was treiben die da? Als wir uns nähern, trollen sie sich ein Stück weiter.

Erst Erleichterung bei mir, dann fällt mein Blick auf die Bank. Plastikbecher, Plastik-Colaflasche und eine leere Literflasche billigen Weins. Ich koche. Solche Schweine!

Und daneben das fassungslose Kind, das mir gerade von seinem Wiederaufforstungsprojekt berichtet, indem es die gesammelten Kastanien im Wald vergraben will. Instinktiv will ich den Burschen hinterherbrüllen: „Nehmt gefälligst euern Scheiß-Müll mit!“

Gleichzeitig rattert es in meinem Kopf: Ok, die haben gerade zu dritt einen Liter Wein gesoffen und auch wenn die erst 15 oder 16 sind, sie sind zu dritt und alle mindestens so groß wie ich; wer weiß, ob die mich nur auslachen, wenn ich mit meinem Spruch komme. So schnell können wir gar nicht rennen.

Ich klappe also meinen Mund wieder zu, sag nur leise zum Kind: „Was für Schweine!“ und fühl mich feige. Dann mache ich doch noch ein Foto, bevor wir umkehren, ohne mir zu überlegen, was ich damit eigentlich bezwecken will. Ich will einfach irgendwas tun, um nicht die Ohnmacht zu spüren und die heiße Wut, dass ich vor drei Greenhorns kusche. Aus Angst.

Die gleiche Angst wie damals auf dem Spielplatz in Market Harborough als eine Horde derber Gören stundenlang die Schaukeln und Wippen besetzen und meine kleine Tochter klagt: „Ich will auch mal schaukeln.“

Aber ich sage nichts.

Denn die Mädels sehen alle aus, als würden sie Hooligans daten und sie scheinen es fast zu genießen, dass ihre laute Gegenwart die Mittelstandsmamas auf dem Spielplatz auf Abstand hält. Da auf englischen Spielplätzen eh jeder als sonderbar gilt, der am Sandkastenrand einfach so andere anspricht, traue ich mich nicht, andere Mütter als Verbündete zu gewinnen und entscheide mich für die Schaukel im Garten.

Damals war meine Tochter noch klein, aber jetzt fürchte ich mich vor ihrem Urteil. Kneifen statt handeln. Das will ich ihr nicht vermitteln. Also fange ich an, mich zu rechtfertigen, als wir den Rückzug antreten.

„Mama, einer läuft uns nach!“ flüstert meine Tochter.

Mist, er hat gesehen, dass ich ein Foto gemacht habe.

Ich versuche, schneller zu gehen, ohne dass meine Tochter spürt, dass ich noch mehr Angst bekomme. In der Ferne kommen andere Spaziergänger. Ansprechen? Nicht nötig, die Straße ist schon in Sicht.

Am Waldrand holt uns der Junge ein. „Wir haben alles aufgeräumt. Sie können gucken. Holen Sie jetzt die Polizei?“ Uff, ich dachte schon, er will mein Handy. Doch offenbar hat da einer die Hosen voller als ich.

Nein, nachschauen, ob alles sauber ist, will ich nicht. Also sag ich nur: „Das war eine riesige Sauerei. Ich hoffe, das war das letzte Mal. Die Polizei hat nämlich besseres zu tun.“ Damit lassen wir ihn stehen.

Seither drehe und wende ich die Situation in meinem Kopf. Ich krame noch einmal den Flyer der Polizei hervor, den die Kinder bei einem Krisenpräventionstraining bekommen haben.

Der klare Rat dort: Nicht allein den Helden spielen, andere als Verbündete ansprechen, Hilfe holen. Aber da geht es um drastischere Dinge als Müll im Wald. Wobei – eine Art von Vandalismus ist das auch, oder?

Ein Restzweifel bleibt. Der Tochter sage ich trotzdem: „Der Sache dienen ist eines; sich selbst in Gefahr bringen, was anderes. Das waren Flegel, die es nicht wert waren, eine dicke Lippe zu riskieren.“ Ein schmaler Grat, den es zu vermitteln gilt.

Meistens geht es hier auf dem Expatmamas-Blog um Expat-Themen – aber manchmal bin ich einfach nur Mama und denk mir meinen Teil zum Leben mit Kindern. Kleine Alltagsszenen, die universell sein könnten, und vielleicht begegnet euch Ähnliches, egal, wo ihr gerade seid. Oder geht es euch da ganz anders? Schreibt mir doch gerne einen Kommentar.

Autor

Jonna Struwe, freiberufliche Autorin, Bloggerin und Gründerin von Expatmamas.de, dem Portal für Familien im Ausland

2 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Ilka sagt:

    Liebe Jonna, ein schwieriges Thema, wie üblich aber gekonnt auf den Punkt gebracht. Wie vermittelt man seinen Kindern, die ja bis zu einem gewissen Alter die Welt in schwarz und weiß sehen, eben diese Grauzonen? Wann fängt man an, aus Sicherheitsgründen, Angst bzw. aus der Erfahrung heraus, ihren Gerechtigkeitssinn, ihr Unrechtsbewusstsein und auch ihren Mut und ihr Mitgefühl quasi zu unterdrücken (mir fällt kein besseres Wort ein..)?! Ich persönlich denke, es gibt kein Patentrezept, mir geht es in solchen Situationen so wie dir. Einerseits brodelt es, wenn man solche Dinge wahrnimmt, andererseits macht sich auch bei mir zunehmend die Angst vor gewalttätigen Reaktionen der „Täter“ breit. Und wegen einer solchen „Lappalie“ die Polizei anrufen? Das hätte ich auch nicht gemacht.
    Wir hatten vor Ausreise das Thema „verletzte Taube“. Niemand (mich eingeschlossen; keine Handschuhe dabei,…) traute sich, das blutende Tier anzufassen. Meine Tochter hätte am liebsten in der Nähe campiert, weil man ja helfen muss. Wir haben dann den Verein Hamburger Stadttauben versucht zu erreichen. … auch eine unbefriedigende Situation; die Taube war schließlich weg; aber wurde ihr wirklich geholfen?! Meine Tochter war wütend auf mich, weil ich nichts außer dem Anruf unternommen habe.

    1. Jonna sagt:

      Liebe Ilka,
      deine Geschichte mit der Taube wäre bei uns wohl ganz ähnlich gelaufen. Der kindliche Idealismus ist nicht nur rührend, sondern hinterfragt auch, was man selber tut. Das ist einerseits gut so, andererseits eben auch manchmal schwierig. Danke für das schöne Beispiel und die Gewissheit, dass es anderswo ähnlich läuft. Liebe Grüße

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