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Third Culture Kids – Teil 6: Schätze & Verluste

Blogserie Third Culture Kids: Schätze - www.expatmamas.de - #TCK #Trauer #Trost #ThirdCultureKids

Nie werde ich den Tag vergessen, an dem die Kuschel-Maus verschwand. Die Maus begleitete meine Tochter, seit sie in der Lage war, ein Stofftier zu halten; sie war das erste, was sie morgens in den Arm nahm und das letzte, was sie zum Einschlafen brauchte. Ihr Ein und Alles – zwei Jahre lang. Dann kamen die Möbelpacker und in all dem Chaos war Maus plötzlich weg und blieb verschwunden. Selbst als alle Kisten im neuen Haus wieder ausgepackt waren, keine Spur von Maus. Es war eine Tragödie. Meine Mutter telefonierte sich durch sämtliche Spielwarengeschäfte bis zum Hersteller durch, um eine Doppelgängerin zu finden (seither weiß ich, dass es bei Stofftieren Kollektionen gibt, die sich saisonal ändern). Doch wir hatten kein Glück. Nur eine ähnliche, kleinere Maus aus der gleichen Kollektion war aufzutreiben. Sie kam dann eines Tages in einem Paket zu uns nach England wie bei Jim Knopf, begleitet von einem liebevollen Brief (meiner Mama): Ob wir uns um Baby-Maus kümmern könnten, bis ihre Mama-Maus von ihrer Reise zurück sei. Wir konnten. Ein kleines Pflaster für die Kinderseele meiner Tochter, die ihren ersten großen Verlust verkraften musste. Denn Maus war ihre Freundin, nicht nur ein Schmusetier. Über solche Verluste schreibt Ann heute in ihrem letzten Beitrag unserer Serie „Third Culture Kids“ und vor allem darüber, wie wir mit den Verlusten unserer Kinder umgehen sollten.   

Zum richtigen Umgang mit Abschied, Verlust und Trauer

Ein Gastbeitrag von Ann Wöste

Wir Eltern denken oft ja praktisch bei einem Umzug ins Gastland oder zurück in die Heimat. Vieles hat sich angesammelt und muss aussortiert werden, wollen wir doch nachher nicht in Umzugsgut ersticken oder wissen bereits, dass wir das neue Haus möbliert vorfinden. Kinder hängen sehr an ihren gewohnten Sachen und diese tragen ganz wesentlich zum Wohlfühlen bei.

Meine Tochter sprach oft davon, dass sie gerne ein neues Bett hätte. Also dachte ich, die Rückkehr nach Hause sei ein guter Zeitpunkt dafür. Ein sperriges Teil weniger im Container und zu Hause kein langes Warten und notdürftiges Schlafen auf einer Matratze auch dem Fußboden. Ihr Bett blieb einfach stehen, während die Umzugsfirma alles andere verpackte. Als meine Tochter, die es nicht ertragen konnte, beim Packen dabei zu sein, abends nach Hause kam und das Bett noch stehen sah, bekam sie einen Weinkrampf. Auf keinen Fall würde sie ohne ihr Bett ausreisen! Auch die Aussicht auf ein schönes Neues, das sie sich doch gewünscht hatte, war kein Trost. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Schließlich fanden wir einen Kompromiss. Das Bett sollte bis zu den Herbstferien im Haus bleiben, da wir dann noch einmal zu Besuch kämen, weil der Vertrag meines Mannes bis zum Jahresende ging, und dann sollte das Bett im Container eines Kollegen seine Reise nach Deutschland antreten. Die Aussicht, ein halbes Jahr auf der besagten Matratze auf dem Fußboden zu nächtigen, schreckte sie nicht, und das Bett hat sie bis heute.

Warum Ausmisten nicht immer eine gute Idee ist

Von vielen Freundinnen, die ebenfalls mit ihrer Familie einige Jahre im Ausland verbracht haben, weiß ich, dass ihre Kinder sich ausgesprochen schwer damit tun, sich von Dingen zu trennen. Das Ausmisten des Kleiderschrankes wird zum Kampf, in dem um jedes zu klein gewordene Kleidungsstück hart verhandelt wird. Auch das Zimmer dem Alter anzupassen und Bücher, Spiele, Kuscheltiere oder Kleinkram auszusortieren, scheint schier unmöglich und kostet die Eltern und Kinder gleichermaßen Kraft und Nerven.

Aber natürlich ist das Sich-Trennen-müssen von Kleidung und Besitz nichts im Vergleich zum Sich-Trennen-müssen von Menschen und Tieren.

Sich trennen müssen

Auch wenn diese Menschen oder Tiere nicht sterben, kommt der Verlust dem eines Todesfalls doch sehr nah. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, die Ayi, die einen die Kindheitsjahre begleitet hat, wiederzusehen? Wie realistisch ist es für einen Neunjährigen, eine Freundschaft über eine große Distanz aufrecht zu erhalten? Wie hart muss es für ein jugendliches TCK sein, seine erste große Liebe zurücklassen zu müssen, ohne diese Entscheidung mit beeinflussen zu können? Allein die Vorstellung, ihr geliebtes Pony nun nie wieder zu sehen, hat meiner Tochter das Herz gebrochen und uns einige schlaflose Nächte beschert.

Diese Verluste gehören zum Leben eines Expat-Kindes dazu, und wir Eltern können sie ihnen leider nicht ersparen, wenn wir uns für dieses Leben entscheiden. Aber wir können uns bewusst machen, dass die Verluste real sind, sie ernst nehmen und unseren Kindern helfen, damit fertig zu werden. Leichter gesagt als getan.

Trauer ist noch zu oft ein Tabu

Trauer ist immer noch so etwas wie ein Tabu-Thema zwischen Eltern und Kindern und findet in unserem Leben oft keinen Platz und keine Ausdrucksmöglichkeit. Es mangelt einerseits an etablierten Ritualen und der Übung im Umgang damit, und andererseits an der Bereitschaft, diese Gefühle überhaupt an sich heranzulassen. Die Heftigkeit der Emotionen, mit der Kinder und Jugendliche ihrer Trauer oft Ausdruck verleihen, erweckt in uns eine gewisse Hilflosigkeit.

Einfacher als uns unseren eigenen Gefühlen von Trauer und Schmerz zu stellen, scheint es uns da, unsere Kinder in dunklen Stunden zu ermutigen und auf die schönen Dinge zu verweisen, die ja ebenfalls zu einem Umzug gehören. Abschied und Neuanfang liegen ja bekanntlich dicht beieinander, und es liegt nahe, den Blick dann eher auf das Positive zu lenken, wie die Aussicht auf eine spannende Erfahrung, viele neue Freunde, die Verwandten nun wieder regelmäßig zu sehen oder eben ein neues Bett.

Aber die Aussicht auf Schönes spendet nur dann Trost, wenn vorher das Trauern erlaubt ist! Sonst sendet sie die Botschaft: „Deine Gefühle sind nicht angemessen, du hast gar keinen Grund traurig zu sein. Freu dich auf all das Schöne und sei nicht undankbar.“

So eine Botschaft ist fatal, lässt sie doch für Trauer keinen Raum. Das Hauptproblem eines TCKs ist nicht der Verlust als solcher und die damit verbundenen Gefühle der Traurigkeit, sondern die Tatsache, dass die Trauer unverarbeitet bleibt, wenn sie nicht gelebt werden darf!

Richtig trösten

Gebt der Trauer Raum, bietet Euch als Zuhörer an, fragt eure Kinder, wie es ihnen geht, was ihnen Angst macht und scheut euch nicht, den Finger vorsichtig in die Wunde zu legen.

Bei jüngeren Kindern ist es sehr hilfreich die Gefühle hinter dem Gesagten herauszufiltern und ihnen verbal zurück zu spiegeln. Beispielsweise: „Da fühlst du dich hilflos, das macht dich wütend, da bist du traurig….“ Das hilft ihnen, ihren Wortschatz für ihre Emotionen zu erweitern und sich in Zukunft besser in diesen Themenbereichen ausdrücken zu können. Außerdem fühlen sie sich sehr verstanden.

Versucht nichts zu beschönigen, hört einfach zu und gebt den Gefühlen eurer Kinder, ob nun Wut oder Trauer, auf diese Weise die Erlaubnis, dass sie sein dürfen. Wenn Kinder spüren, dass ihre Gefühle ernst genommen werden, können sie zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Heftigkeit des Ausbruchs abgeklungen ist, auch das große Ganze wieder besser verstehen.

Ich persönlich finde es wichtig, dass das Kind beim Namen genannt wird. Ein Abschied ist ein Abschied, oft für immer. Er kann nur dann wirklich gelingen, wenn der Zeitpunkt dafür genutzt wird. Kinder können nur dann gesund und mit Freude nach vorne blicken, wenn das Vergangene bewusst abgeschlossen werden durfte, mit allen Gefühlen, die dazugehören.

Kleine Abschiedsrituale helfen

Zuhören und in den Arm nehmen, Verständnis haben und Trösten sind die Zauberworte. Aber natürlich gibt es auch ein paar hilfreiche Rituale, wie man einen Abschied als gemeinsames und wichtiges Ereignis zelebrieren kann: Gemeinsam einen Baum pflanzen hat eine große symbolische Kraft. Bewährt hat sich auch ein kleines Schatzkästchen mit einem Brief, ein paar kleinen symbolischen Gegenständen, das euer Kind vergraben kann, mit einer gemalten Schatzkarte, die es dann mit nach Hause nimmt. Ältere Kinder können ihren Abschiedsbrief mit all den schönen Erinnerungen an das Gastland auch zu einem Schiffchen falten und auf einem Fluss davon fahren lassen.

Für sehr phantasiebegabte Kinder bietet sich eine kleine Imaginationsübung an. Das Kind kann sich beispielsweise einen geheimnisvollen Dachboden oder eine alte Scheune vorstellen, die voll von Gegenständen und Erinnerungen an die vielen Erlebnisse der Vergangenheit ist. Diese Bilder bleiben ihm für immer, und es kann sie in seinem Inneren überall mit hinnehmen.

Liebe Ann, ich danke dir sehr für diese tolle Serie. Und wenn ihr Fragen an Ann habt, dann schreibt ihr gerne an coaching@die-globale-Familie.de

Third Culture Kids - www.expatmamas.de - Portrait Ann Wöste CoachAnn Wöste ist zertifizierter Schema- und Hypno-Coach. Das Thema, sich auch als globale Nomaden zu Hause fühlen zu dürfen, liegt ihr sehr am Herzen. „Überall zu Hause“ heißt deshalb ihr Coaching-Angebot für Expat-Partner und Third Culture Kids.  Im November beendet sie ihre Weiterbildung in Köln beim IPE (Institut für Potentialentfaltung) zum Kinder- und Jugendcoach, um künftig mit minderjährigen TCKs arbeiten zu können.

2 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Hannes sagt:

    Deine Einleitung hat mich sooo be- und gerührt. Wenn auch nicht in DER Ausprägung, so ist doch jeder Umzug für Kinder auch innerhalb eines Landes in eine andere Stadt, Region, in ein anderes Bundesland immer ein großer Abschied und Einschnitt. Auch Du und Deine Schwester, auch ihr musstest das bewältigen. Danke Euch dafür!!

  2. Monique sagt:

    Liebe Ann! Das hast Du genau auf den Punkt gebracht und ich erkenne vieles davon wieder. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich an Spielzeugen mehr haenge als meine Kinder. Wir sind mittlerweile schon so oft umgezogen und haben ein schoenes Ritual geschaffen. Jedes Kind hat neben seinen Kisten und Dingen eine „Erinnerungskiste“ hier kommt alles rein wovon man sich nicht trennen mag z.B. Briefe von Freunden, besondere Kuscheltiere etc., Freunde Buecher usw. – Diese Kiste ist also zu einer wahren Schatzkiste geworden.

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