Aus erster Hand Expat-Leben

Expat-Leben: Wenn der Terror näher kommt – Vier Expatmamas berichten

Wenn der Terror näher kommt - www.expatmamas.de/ - #imauslandzuhause #expatmamas

In diesem Sommer schrieb DER SPIEGEL, in Deutschland sei die Gefahr an seinem Essen zu ersticken statistisch immer noch größer als Opfer eines Terroraktes zu werden. In anderen Ländern ist das nicht so. Expat-Familien sehen sich mancherorts Situationen gegenüber, die sie vor die Fragen stellen: Können bzw. wollen wir hier noch leben?

Als ich mit meiner Familie vor ein paar Monaten in Rom war, konnten wir ahnen, wie sich mancherorts der Alltag verändert hat. Die Stadt glich einem Hochsicherheitstrakt. An jedem Platz ein Jeep und zwei bis unter die Zähne bewaffnete Soldaten; Taschenkontrollen im Kolosseum; Durchleuchtung wie am Flughafen für alle, die den Petersplatz betreten wollten. Und das war Wochen VOR den Anschlägen in Istanbul, Brüssel und Nizza. Wir alle empfanden die Militärpräsenz als beklemmend.

„Das ist bei uns Alltag“, sagt Jeanette, die mit ihrer Familie in Istanbul lebt. Schon vor dem Attentat am Flughafen gab es Taschenkontrollen an jeder Mall, vor jedem Basar. „Es wird in jedes Auto geschaut, wenn man ins Parkhaus fährt“, erzählt sie. Wie gründlich? Sie zuckt mit den Schultern. Schlimm wird es, wenn über Nacht die Deutsche Schule geschlossen wird, weil es konkrete Hinweise für eine Gefährdung deutscher Einrichtungen gibt. „Bombenfrei“, so wie andere „Hitzefrei“ bekommen – das nennt man wohl Galgenhumor. „Der Putsch bzw. der verhängte Ausnahmezustand geben mir viel eher zu denken“, sagt Jeanette. „Wir müssen abwarten und sehen, was das für unseren Alltag in Istanbul bedeutet und ob wir dort so weiter leben können.“

Bleiben oder gehen? Plötzlich stehen Expats vor einer Entscheidung

Julia hat diese Entscheidung schon getroffen und ist mit den Kindern nach Deutschland ausgereist  – Monate vor der geplanten Rückkehr. „Die deutsche Schule liegt im Zentrum in unmittelbarer Nähe zu den Haupt-Demonstrationsorten. Die Kinder müssen das letzte Stück zu Fuß gehen und ich mache mir Sorgen, dass sie in Krawalle geraten.“ Ihr Mann blieb in Istanbul, um sein Entsendungsmandat zu beenden. Die Familie nimmt dafür eine Fernbeziehung über Monate in Kauf. „Immerhin hatten wir die Wahl, da wir unsere Wohnung in Deutschland nicht vermietet hatten“, erklärt Julia. „So konnten wir ohne viel Aufwand zurück.“

Zurück? Für Inke in Paris keine Option: „Der Terror betrifft Europa und die westliche Welt. Da macht es für mich keinen Unterschied, wo in Europa ich lebe.“ Aber sie sagt auch:

„Wir sind dünnhäutiger geworden und ein bisschen aufmerksamer und misstrauischer vielleicht. Auf der Autoshow hier stand z.B. ein Rucksack rum und ich habe sofort meine Familie weitergeschoben. Man sieht sich die Mitreisenden im Zug an: ist einer nervös, blass, schwitzt viel (daran hat man den Stadion Attentäter im Nachhinein erkannt), hat jemand ein Gepäckstück dabei usw. Ich meide eigentlich Massen wie bei der Autoshow. Auf den Markt gehe ich aber auch weiterhin, es macht zu viel Spaß.“

Ihre innere Standfestigkeit hat sich aber auch Inke erst wieder schrittweise zurück erobern müssen nach der Terrornacht von Paris. Ihr Mann und ihr mittlerer Sohn waren im Stadion, um sich das Deutschland-Spiel anzusehen, sie selbst saß mit ihrem ältesten Sohn zu Hause vor dem Fernseher. „Es waren qualvolle Stunden daheim. Zum Glück waren meine Männer unter den ersten, die es in der Nacht nach Hause geschafft haben. Es war ja alles lahmgelegt, Bahnen, das Funknetz, der Verkehr, die ganze Umgebung des Stadions. Weil beide mit verschiedenen Gruppen unterwegs waren, mussten sie sich erst mühsam finden, bevor sie zusammen den Heimweg antreten konnten. Dabei wurden sie Zeugen von leichter Panik in den Gängen, ein kleiner Junge war gestürzt und Menschen sprangen über ihn, jemand anderes blutete am Kopf, eine Frau schrie plötzlich und alle fingen an zu rennen. Trotzdem hat das Stadionpersonal wunderbar professionell reagiert. Da kann man gar nicht dankbar genug sein. Hinterher waren wir alle einige Tage wie gelähmt und haben uns zu Hause „verschanzt“, keiner wollte vor die Tür.“

Langfristig hat sich ihr Alltag jedoch kaum verändert. Lediglich rund um die Schule und in den Straßen geht es jetzt anders zu. „Die Schule ist jetzt im Programm „Vigipirate“ der frz. Regierung und hat verstärkte Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Die Polizei patrouilliert mehrmals am Tag und man muss sich am Empfang als Besucher per Ausweis anmelden, die Eingangstür ist zu und wird per Kamera überwacht. Bewaffnete Soldaten und Polizei sind jetzt sehr präsent überall. Das gibt erst einmal ein Gefühl der Sicherheit, auch wenn das trügerisch sein mag. Insgesamt bleibt die Wahrscheinlichkeit, bei einem Terrorangriff betroffen zu sein in Frankreich bei 2/1.000.000. Das muss man sich immer wieder vor Augen halten. Jede Autofahrt ist um ein Vielfaches gefährlicher als der pure Aufenthalt hier. Angst ist nie ein guter Berater.“

Auch in Istanbul geht der Alltag an der Deutschen Schule seit den Sommerferien normal weiter. „Es kann dich überall treffen; man darf sich nicht verrückt machen“, findet Jeannette.

Mancherorts wird der Umgang mit Expats neuerdings als Risiko gesehen

Doch je konkreter die Gefahr, je unmittelbarer die Erlebnisse sind, desto schwieriger wird es, solche Überzeugungen am Leben zu halten. Miriam, lebte mit ihrer Familie seit einem knappen Jahr in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeshs, als am 1. Juli Terroristen die „Holey Bakery“ in ihrem Viertel Gulshan überfielen und 20 Menschen grausam hinrichteten. „Für uns war von einem Tag auf den anderen nichts mehr wie vorher“, erzählt sie heute. Die räumliche und persönliche Nähe zum Anschlag und seinen Opfern haben ihr Leben nachhaltig verändert. Noch am Tag vor dem Anschlag war Miriam, wie so oft, in der Holey Bakery gewesen, die ca. fünf Minuten im Auto von ihrem Haus entfernt lag. Sie kannte eine der ermordeten Italienerinnen. Ihr Mann und sie hatten mit dem toten Pizzabäcker, der versehentlich von Einsatzkräften erschossen worden war, wenige Wochen zuvor auf Deutsch geplaudert, da er mal in Deutschland gearbeitet hatte. Eine Frau aus ihrem Zumba-Kurs hat den Anschlag nur überlebt, weil sie sich in einem alten Pizzaofen versteckt hatte. Freundinnen der Tochter einer Bekannten konnten im letzten Moment vom Parkplatz des Cafés flüchten. Ein Bekannter war mit seiner Tochter auf dem Weg zum Abendessen in der „Holey Bakery“, stellte fest, dass er nicht genügend Bargeld dabeihatte, kehrte um – und überlebte.

All diese persönlichen Verbindungen gepaart  mit immer mehr grauenvollen Fotos und Details zu der Geiselnahme in den Zeitungen, führte dazu, dass sie sich – wie die meisten Ausländer – kaum noch auf die Straße traute: „Man fällt in Dhaka aufgrund von Haut- und Haarfarbe und Kleidungsstil als Expat extrem auf, man kann nicht in der Masse untertauchen. Wir sind auch vorher immer angestarrt worden, meist neugierig, selten feindselig. Das hat mir nie viel ausgemacht, ich habe mich meist sicher gefühlt – bis zum 1. Juli. Von da an dachte ich immer, so blöd und unbegründet es auch sein mochte: Ist das auch einer, der uns umbringen will? Das Misstrauen und die Angst waren nun immer mit von der Partie, was mich sehr unglücklich machte.“

Aber nicht nur die eigene Angst, Zielscheibe eines Angriffs zu werden, veränderte den Alltag sondern auch die Haltung mancher Einheimischer, die die Ausländer plötzlich mieden. „Als sich eine kleine Gruppe Expats ein paar Wochen nach dem Anschlag wieder in eines der Restaurants im Diplomatenviertel Gulshan traute, verließen die anwesenden Bangladeshis das Lokal – aus Furcht davor, sich in einer weiteren Geiselnahme wiederzufinden, schließlich waren auch Einheimische unter den Todesopfern der „Holey Bakery“ gewesen“, berichtet Miriam. „Eine ganz neue Sicht der Dinge: Als Expat ist man jetzt ein Risiko für andere…“

Und da die Behörden von weiteren Anschlägen in Bangladesh ausgehen, haben im Sommer viele Ausländer das Land verlassen – so auch Miriam und ihre beiden kleinen Mädchen, die inzwischen vorübergehend in Deutschland leben. „Mein Mann und ich haben in den Tagen nach dem Anschlag recht schnell entschieden, dass unsere Kinder und ich nicht erst im August, wie zunächst geplant, nach Kanada fliegen würden, sondern einen ganzen Monat früher. Meine Eltern verbringen im Sommer stets drei Monate an der kanadischen Ostküste; sie waren kurz nach dem Anschlag nach Nova Scotia geflogen, so dass auch die Kinder und ich nachkommen und bei ihnen wohnen konnten. Der lange Flug allein mit unseren Mädels (2 und damals noch 3 Jahre alt) von Dhaka nach Doha und von dort nach Boston, eine Übernachtung im Flughafenhotel und am nächsten Tag die Weiterreise nach Kanada war für mich zwar extrem anstrengend – aber ich fühlte mich auch unendlich erleichtert, Bangladesch verlassen zu können.“

Fernbeziehung oder Umzug sind manchmal die einzigen Optionen

Und bald war für Miriam klar: Es würde keine Rückkehr nach Bangladesh geben. Die Sicherheitslage zu prekär, das soziale Umfeld in der Zwischenzeit zerfallen, denn fast der komplette Freundeskreis hatte sich in alle Himmelsrichtungen verstreut: „Eine befreundete Familie lebt und arbeitet nun in Kambodscha, eine andere in Nepal; eine Ehefrau mit Kindern ist nach Bangkok gezogen, eine andere mit ihren Töchtern nach Deutschland zurückgekehrt, meine Zumba-Lehrerin lebt mit ihrem Nachwuchs wieder in der Schweiz, ein amerikanischer Bekannter wohnt mit seinen drei Kindern in Ohio, während die diversen Ehepartner weiterhin in Dhaka arbeiten und darauf hoffen, bald zu ihren Familien ziehen zu können, genau wie mein Mann auch.“

Plötzlich finden sich die Familien ungewollt in einer Expat-Fernbeziehung wieder. Eine Belastung für die nun quasi alleinerziehende Expatmama, die sich um die Sicherheit des Ehemannes sorgt, und für die Kinder, die ihre Väter vermissen. „Immerhin kann mein Mann uns regelmäßig am Wochenende aus Istanbul besuchen“, erzählt Julia. „Und die Kinder konnten sich hier weitgehend in ihr altes soziales Umfeld einleben trotz Schulwechsel.“ Solche Konstanten werden für die Familien wichtiger denn je. „Die Unterstützung meiner Eltern, meiner Freunde und Verwandten hier in Deutschland bringen uns nicht nur Ablenkung und Abwechslung sondern auch Halt im Alltag“, sagt Miriam. „Trotz allem kann ich es kaum erwarten, dass die beiden Mädchen wieder ganz geregelt in einen Kindergarten gehen können.“

Und wie geht es Miriam selbst? „Es gibt nach wie vor Situationen, in denen mir plötzlich die Tränen kommen“, gesteht sie. „Wie vor ein paar Wochen in Kanada, als ich ein Mandelcroissant gegessen habe und mit einem Schlag an die Croissants aus der „Holey Bakery“ und an die damals so unschuldigen und im Vergleich sorglosen Tage in Dhaka denken musste. Dabei habe ich es mir dort nie leichtgemacht: Ständig hatte ich Angst vor Dengue-Fieber, vor Erdbeben (aufgrund der mangelhaften Bauweise ein nicht zu unterschätzendes Risiko) oder davor, dass unsere Kinder zu viel schlechte Luft einatmen könnten. Dhaka war nie eine besonders schöne Stadt und das Leben nie einfach. Aber im Vergleich hatten wir es vor dem 1. Juli wirklich gut. Und nach dem Anschlag, als klar wurde, dass es für uns, wie für so viele andere Familien, keinen Rückweg mehr in den normalen Alltag geben würde, wurde mir klar, was ich alles vermissen würde. Die vielen netten Menschen, die wir in Dhaka kennen gelernt haben und von denen wir uns größtenteils nicht verabschieden konnten. Der wunderbare Kindergarten mit den herzlichen Erzieherinnen, die Freunde der Mädchen, die sorglosen Nachmittage am Pool, die Pizza-Abende im Deutschen Club. Viele Kleinigkeiten, die man sonst kaum zu schätzen wusste, die aber nun, da sie für uns unweigerlich vorbei sind, fehlen. Aber ich blicke voraus, freue mich darüber, dass meine Mäuse momentan viel Zeit mit ihren Großeltern verbringen dürfen. Die Arbeit an meinem neuen Roman hält mich über Wasser, wenn sie auch oft stresst, aber gleichzeitig bringt sie Abwechslung und lässt mich in eine andere Welt eintauchen. In eine Welt ohne Terror. Schade, dass es die in der Wirklichkeit längst nicht mehr gibt.“

Nachtrag 2017: Miriam ist inzwischen mit ihrer Familie nach Asien zurückgekehrt, auf einen neuen Auslandsposten in Bangkok. Ihren Blog führt sie dort leider nicht mehr weiter. Hier ihr letzter Eintrag fünf Monate nach den schrecklichen Erlebnissen in Bangladesh. Inzwischen könnten wir weitere furchtbare Anschläge ergänzen, zuletzt in Manchester. Alle unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Familien!

Autor

Jonna Struwe, freiberufliche Autorin, Bloggerin und Gründerin von Expatmamas.de, dem Portal für Familien im Ausland

4 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Sarah sagt:

    Ich bekam gerade Gänsehaut beim Lesen des Artikels. Auch uns hat der Terror im Sommer von Istanbul nach Dubai getrieben und die Entscheidung ist uns nicht leicht gefallen. Beinhae täglich bin ich noch in Kontakt mit meinen Expatfreundinnen dort, die teilweise geblieben, teilweise weitergezogen sind. Bei jeder dramatischen Headline bricht mir der Angstschweiß aus- die Zeiten sind nicht einfach. Ich wünsche allen im Artikel viel Kraft für die kommende Zeit, egal ob sie sich für eine Fernbeziehung oder fürs Bleiben entschieden haben. Beides erfordert Mut!

  2. Astrid sagt:

    Ich hatte für das Konzert in Manchester Karten für mich und meine Tochter.
    Mein Mann arbeitet seit kurzem in Prag. Vor 6 Wochen bin ich mit den Kindern von Manchester zu ihm hinterher gezogen. Wir haben vorher die Karten noch verkauft.
    Das Ganzt ist unvorstellbar. Es waren Schulfreunde von uns beim Konzert. Allen geht es gut aber der Terror kann jeden von uns treffen – egal wo auf der Welt sind.

    1. Jonna sagt:

      Liebe Astrid, das müssen schrecklich ungewisse Momente gewesen sein, bis ihr eure Freunde unversehrt wusstet. Und dann das Wissen, das andere nicht so viel Glück hatten… Ich wünsche allen in Manchester viel Kraft!

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