Aus erster Hand

Leben in der Expat-Blase

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Ein Gastbeitrag von Jana Ludolf

Ich weiß, dass man darüber nicht spricht. Schon gar nicht schreibt und schon gar nicht öffentlich. Doch ich weiß auch, dass Vielen das Thema bekannt ist. Das Viele um die Schwierigkeiten wissen und das Viele nichts dazu sagen.

Ich spreche das folgende Thema an, weil ich um die Gedanken und Gefühle dahinter weiß – nicht um andere Personen zu kritisieren oder zu verurteilen. Ich spreche das Thema an, weil es zu wenig angesprochen wird und doch so präsent ist. Ich spreche es an, weil es mir ein Bedürfnis ist.

Jedes Mal wenn ich in der Vergangenheit umgezogen bin, durfte ich mich neu orientieren. Geografisch, beruflich und sozial. Gerade die soziale Neuorientierung wird mit jedem Mal schwieriger. Nicht, weil ich mich dem verschließe oder keine Freude an neuen Begegnungen habe. Ganz im Gegenteil. Es ist eher, weil die Meisten von uns ein Familien- und Arbeitsleben haben, welches zeitintensiv ist und damit wenig Freiraum für neue Bekanntschaften lässt. Zudem kann die Kennlernphase anstrengend sein, wenn wir zum hundertsten Mal erzählen, wo wir herkommen, was wir machen, wie viele Kinder wir haben und wie lange unsere Ehe schon hält. In der Jugend fällt diese Phase kürzer aus, da die Fakten noch spärlich gesät sind. Hinzukommt, dass wir, je älter wir werden, uns immer besser kennen und damit auch unsere Vorlieben und Abneigungen. In Bezug auf fremde Personen bedeutet das, dass mein erstes Augenmerk darauf liegt, eine gemeinsame positive Grundstimmung wahrzunehmen. Eine Art Verbindung, gleiches Ticken … auf die dann alles weitere aufgebaut werden kann.

Mit dem Umzug nach China war klar, dass genau DAS mich wieder erwartet. Zusätzlich zu den vorhandenen Verlustängsten, bald niemanden mehr in Deutschland zu haben. (Dass dem nicht so ist, eine wertvolle Erkenntnis nach einem Jahr als Expat).

Als ich im letzten Jahr ankam, da gab es eine Reihe von Kennlernmomenten. Es gab Veranstaltungen dazu, schließlich war ich nicht alleine hier. Zu einigen bin ich gegangen, zu anderen nicht.

Die Expatcommunity ist vielfältig und gleichzeitig eingeschränkt. Warum? Ich kann nur aus denen wählen, die da sind. Wogegen ich in Deutschland einfach in die nächste Stadt fahren kann, weil da meine Freundin wohnt.

Ja, und genau diese Community hat mich an der einen oder anderen Stelle an meine emotionale Grenze gebracht. Wieso?

Also, zuallererst: Nicht dazuzugehören ist ein blödes Gefühl. Zur Gruppe, zu den Frauen, zu was auch immer. Doch, wenn du dazugehören willst, dann hat das einen Preis. Der Preis ist die Gemeinschaft. Die Gemeinschaft, die alles miteinander teilt. Ständig Zeit miteinander verbringt. Die neusten Kochrezepte tauscht, Shoppen am Morgen, Prosecco am Nachmittag und dazwischen die tägliche Sporteinheit, um am Pool, bei der Massage und beim abendlichen Event eine gute Figur zu machen.

Jetzt kann natürlich jeder Leser sagen, oh Mann – um was geht es jetzt eigentlich? Soll doch Jede/r sein Leben nach seinen Vorstellungen gestalten. Du brauchst ja nicht mitmachen.

Stimmt. Ich bin da ganz bei euch, dass Jede/r andere Interessen und Vorlieben hat. Das finde ich auch gut so, weil dadurch gestalten wir die Welt bunt.

Doch, wenn du hier sitzt – mitten in China. Fern ab allem, was dir jemals vertraut war, dann sind das die Momente, wo du – in dem Fall ich – an meine sozialen und emotionalen Grenzen gekommen bin. Das Gefühl, den Kennlernprozess immer und immer wieder durchlaufen zu müssen, dass empfinde ich als sehr anstrengend. Zumal diese Gespräche oft an der Oberfläche hängen bleiben und nicht in die Tiefe gehen. Übrigens sind tiefe Gespräche hier eher spärlich gesät. Niemand lässt sich gerne in die Karten schauen. Niemand redet hier über Gefühle und Ängste. Oder gar über die Bedürfnisse, die unerfüllt bleiben. Viele reden hier über das, was sie haben. Zeigen es gern und erhaschen sich die Komplimente dafür. Neid und Eifersucht ist ein Thema, dass nicht angesprochen wird und doch so präsent ist. Ich kenne wenige hier, die wirklich authentisch sind. Die sich so zeigen, wie sie wirklich sind. Wie sie denken und fühlen. Die ihre Unsicherheiten ansprechen und nicht gleich ein nagenden Gedanken hinterherschicken.

Ich liebe Gemeinschaft, das Miteinander. Doch hier wird das irgendwie anders gelebt. Wenn ich dazugehören will, dann habe ich das Gefühl, ich verschreibe mich dieser Gruppe. Ganz. Und das nimmt mir dann den Atem, den ich brauche, um der Welt offen zu begegnen.

Es gibt Tage, da fühlt sich das wie auf dem Schulhof an. In der einen Ecke stehen die Menschen, die ‚In’ sind. Die den Ton angeben. Die entscheiden, wer bei ihnen mitmachen darf und wer nicht. Die die Regeln aufstellen und bestimmen, was geht und was nicht. Auf der anderen Seite stehen die, die das Gegenteil sind. Kontra auf allen Ebenen.

Und dazwischen steh ich. Ich möchte gerne dazugehören. Doch der Preis auf beiden Seiten ist mir zu hoch. Ich will mich weder verbiegen noch darstellen, wie ich gar nicht bin. Ich möchte sagen dürfen, was ich denke, ohne Bedenken, dass ich danach nicht mehr dazugehöre. Ich möchte selber entscheiden, mit wem ich wann Zeit verbringe und wie lange. Dafür möchte ich weder be- noch verurteilt werden.

Die Frage „Was mach ich jetzt mit der Situation?“ hat mich die letzten Monate täglich begleitet. Ebenso die dazugehörigen Gefühle von ‚in mir ruhend‘ bis hin zu ‚ich bin traurig und allein‘.

Eine Patentlösung habe ich nicht. Was ich dafür habe, sind liebe Menschen in meiner Nähe, bei denen ich ICH sein kann. Menschen, die wirklich interessiert sind, an dem, wie es mir geht und was mich beschäftigt.

Und die Erkenntnis, dass es nur eine Person braucht, um sich dazugehörig zu fühlen – sich selbst. Denn wenn ich nicht zu mir gehöre, mich ernst nehme, mir zuzuhören – wer soll es dann für mich tun? Und kann ich im Außen das finden, was mir im Inneren fehlt?

Hochspannende Fragen, die Jede/r gerne für sich philosophisch betrachten und beantworten darf.

Ich weiß jetzt, dass alles gut ist, wie es ist und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich jetzt darüber schreiben kann. Warum ich das Thema jetzt anspreche.

Suoyou de ài  (Alles Liebe)

Jana Ludolf lebt mit ihrer Familie seit einem Jahr in Suzhou (China). Über ihr Leben dort und ihre Gedanken zum Expat-Abenteuer berichtet sie auf ihrem Blog „Einmal Suzhou und zurück„. Dort erschien ihr Beitrag im Original unter dem Titel „Desperate Housewives„.

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3 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Christine sagt:

    Liebe Jana, Danke für deinen wunderbaren Artikel zu einem Thema, das mich gerade (nach zehn Jahren im Ausland, an ein und demselben Ort!) auch mal wieder sehr umtreibt. Danke für deine Gedanken dazu und deine Schluss-Erkenntnis! Herzliche Grüße von Sardinien, Christine

  2. Ann Wöste sagt:

    Liebe Jana,
    Auch habe in meinen Jahren in China die Erfahrung gemacht, das Gemeinschaft Fluch und Segen zugleich sein kann. Da man sich oft wie auf einem Präsentierteller vorkommt, versucht sich nach außen jeder von seiner besten Seite zu zeigen. Das ist auf Dauer anstrengend und Authentizität geht verloren. Ich habe allerdings auch die Erfahrung gemacht, dass, wenn ich den ersten Schritt gemacht habe, und ehrlich angesprochen habe, wo es bei mir oder den Kindern gerade so gar nicht läuft, dass meine Ehrlichkeit meist dankbar von meinem Gegenüber aufgenommen wurde und ein “ genau so sieht es bei mir auch aus“ die Reaktion war. Daraus konnte sich dann ein tiefes und für beide Seiten
    bereicherndes Gespräch entwickeln. Das funktioniert in einer kleinen Runde natürlich besser als in der großen Gruppe, aber es lohnt sich auf jeden Fall, die Maske mal fallen zu lassen und damit Anderen Raum zu geben, dies ebenfalls tun zu können!

  3. Vici sagt:

    Liebe Jana,

    Vielen, vielen Dank für diesen mutigen Artikel. Er hat so gut getan!!!!
    Mit 46 Jahren gehöre ich hier in den Vereinigten Staaten fast schon zu den Expat-Omas. Und falle als diese plötzlich hinein in eine Art und Weise, seine Sozialbeziehungen zu gestalten, die ich zuletzt in der elften Klasse miterleben durfte.
    Echte Menschen? Offenheit und Vertrauen? Weit gefehlt.
    Es wird vorne herum gelächelt, sich eifrig eingeladen und getan also ob die Welt in Ordnung wäre.
    Und hinten herum?
    Gestänkert, geneidet.
    Da ich mit so etwas nicht umgehen kann und will habe ich ein einziges Mal den Versuch gemacht, die Dinge anzusprechen. Die Antwort war knapp und einfach: „Hier ist eben 80 Prozent nur Oberfläche, daran musst du dich gewöhnen!“
    Noch nie in meinem Leben habe ich so viel über die Gehaltsstufe meines Mannes gewusst. Doch nicht von ihm. Sondern von „der Blase“!
    Noch nie wusste ich, wann wohl wer in seiner Firma befördert wird.
    Natürlich aus der gleichen Quelle.
    An manchen Tagen graut es mir schon davor, mein Kind von der Schule abzuholen, weil sich dieses ewig träge, graue Gefühl anschleicht: Wie werde ich wohl angeschaut von den anderen? Wer spricht mit mir? Spricht überhaupt jemand mit mir?
    Der gutgemeinte Tipp meines Mannes hilft mir da nicht weiter: Das kann dir doch egal sein! Da stehst du doch drüber!
    Nein.
    Ist es nicht. Und ich stehe auch nicht drüber.
    Der Umzug ins Ausland – noch dazu ohne die Gewohnheit des eigenen Berufes, der doch in den letzten Jahren einen so großen Einfluss hatte auf meine Identität – macht mich verletzlich. So verletzlich wie noch nie in meinem Leben.
    Ich brauche Beziehungen wie die Luft zum Atmen. Und hier im Ausland sind sie schwierig zu gestalten.
    Ja.
    Ich bin verletzlich.
    Und Nein, ich möchte nicht um jeden Preis dazuzugehören.
    Schon gar nicht um den Preis einer „Gemeinschaft“, die sich täglich in Negativität suhlt und im Kern mehr Angst als Abenteuerlust verspürt.

    Denn darum sollte es doch eigentlich gehen, wenn wir die Hochglanzbroschüren der Firmen in den Händen halten, kaum dass wir der Auslandsentsendung zugesagt haben. „Sie begleiten ihren Partner ins Ausland? Herzlichen Glückwunsch!!!“
    Als wäre es damit getan. Stempel drauf und gut. Die Begleitung. Sie wird schon wissen, was sie tut.
    Wir brauchen Unterstützung. Vielleicht manchmal auch eine die weh tut. Weil sie uns raus aus unserem Schneckenhaus drängt.
    Eine Unterstützung, die uns nach vorne blicken lässt, ins neue Land hinein, die uns aber auch in uns hineinblicken lässt, wo wir uns dem Neuen gegenüber verschließen.
    In solch einem Unterstützungssystem würde ich sehr gerne Menschen kennenlernen.
    So eines dürfte gerne meine „Blase“ sein.
    Aber doch nicht diese seelische Vereinsamung, das Verstecken hinter dem Erfolg des Mannes und der damit einhergehenden Etablierung einer Hackordnung im Netzwerk derer, die nur scheinbar im gleichen Boot sitzen…

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