Expat-Leben

Mitgehen oder dableiben?

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Papa geht ins Ausland und die Familie geht mit. Oder doch nicht? Wenn das Angebot kommt, im Ausland zu arbeiten, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass alle Familienmitglieder sofort die Koffer packen. Manchmal muss man Wege finden jenseits des „Alle hier“ oder „Alle dort“. Ilka z.B. ist erst im zweiten Anlauf mit ihrem Partner nach Singapur gegangen und ich freue mich sehr, dass sie bereit war, ihre Erfahrungen mit einer Fernbeziehung über Ländergrenzen hier zu teilen. (Übrigens: schon 2018 war ein Beitrag von Ilka der Blogauftakt des Jahres. Ich bin gespannt, was 2020 ihr Thema hier sein wird.)


e/m: Liebe Ilka, du lebst seit 2 Jahren mit deinem Partner und eurer 13-jährigen Tochter in Singapur. Für dich und deine Tochter ist es das erste Expat-Abenteuer, dein Mann hat schon einmal in Singapur gearbeitet. Warum seid ihr dieses Mal mitgegangen?

IL: Nach unserer Fernbeziehung und der nicht gerade entspannten Phase des Wieder-Aneinander-Gewöhnens in den 1,5 Jahren seiner Tätigkeit in Deutschland, die zwischen den beiden Auslandsaufenthalten lag, habe ich befürchtet, dass unsere Beziehung das kein zweites Mal überleben würde.

e/m: Aus welchen Gründen seid ihr beim ersten Mal in Hamburg geblieben?

IL: Zunächst hatten wir keinen Platz an der Deutschen Schule – prognostizierte Wartezeit war damals 3 bis 6 Monate – und wir wollten unsere Tochter in die Deutsche Sektion einschulen, nicht in die Europäische. Also habe ich entschieden, dass eine Eingewöhnungsphase von einem halben Jahr für meinen Partner allein im Ausland für uns alle recht problemlos zu bewältigen sein müsste, da er auch vorher schon viel auf Reisen war. Er sollte sich in Ruhe überlegen können, ob der Job wirklich das Richtige ist, bevor wir alle die Zelte in Deutschland abbrechen und ich meinen Job kündigen würde ohne Aussicht auf eine Arbeitserlaubnis als Apothekerin hier in Singapur.

Nachdem wir dann die Zusage für den Schulplatz bekommen haben, wurde bei unserer Tochter ein beidseitiger schwerer Mittelohrschaden diagnostiziert, der mehrere Operationen mit jeweils anschließendem Flugverbot nach sich zog.

Jobtechnisch musste mein Partner die Position, die er in Singapur innehatte, von diesem Zeitpunkt an (also nach einem halben Jahr nach seiner Ausreise) dann auch in Hamburg ausfüllen. Das war zunächst nur übergangsweise gedacht, klappte aber offensichtlich zu gut. Es hatte zur Folge, dass er alle vier bis acht Wochen für mindestens 10 Tage im Büro in Hamburg (unserer Heimatstadt) war.

e/m: Wie lange habt ihr dann die Fernbeziehung über Ländergrenzen hinweg geführt?

Fast drei Jahre, von Juni 2012 bis Mai 2015.

e/m: Was waren in dieser Zeit die schwierigsten Momente für dich? 

IL: Zuallererst für uns alle generell die Zeitverschiebung. 6-7 Stunden sind ganz blöd! Egal wer fliegt, einer hat immer Jetlag und deshalb Beschwerden oder nur mäßige Laune. Nach der Euphorie der ersten „Besuche“, als die Reiserei sozusagen Alltag war, wurde es immer schwieriger, sich an den jeweiligen Rhythmus anzupassen.

Für mich kamen mehrere Dinge zusammen. Obwohl mein Partner zu den Operationen unserer Tochter in Deutschland war, musste ich sowohl Voruntersuchungen als auch fast die komplette Nachsorge und die Kontrolluntersuchungen alleine stemmen, neben meiner Arbeit und ohne Verwandtschaft direkt vor Ort und das, nachdem ich selber mit einem akuten Bandscheibenvorfall auf dem OP-Tisch gelandet war – natürlich genau, als er gerade Ende April 2012 zum Look-and-See-Trip und zur Vertragsunterzeichnung in Singapur war. Die OP zwei Tage nach dem Geburtstag unserer Tochter, der natürlich auch ohne den Papa stattfand, meine Entlassung nach nur drei Nächten, genau einen Tag vor der geplanten Kindergeburtstagsparty, das war eine Zeit, die ich nur mit Hilfe meiner Schwägerin, die extra angereist kam und ihren Urlaub nicht mit ihrem Mann verbrachte, und unserer tollen Nachbarn und von Freunden geschafft habe, die sich als Chauffeur und Bäcker zur Verfügung gestellt hatten.

Ich war zu der Zeit quasi der reitende Bote, der immer wieder die schlechten Nachrichten überbrachte: weiterhin Hördefizite, deswegen Hänseleien in der Schule, im Hort, Schwindel, Schmerzen, erneute OP…. Ich musste mich entscheiden, wie „dramatisch“ oder dringend ich die Dinge schildere, denn ich war ja ständig allein bei den Ärzten. Außerdem hatte ich genau das, was ich nie haben wollte: einen Partner, der auf Besuch nach Hause kommt. 

Mein Partner ist, bevor wir uns kennenlernten, zur See gefahren (Containerschiffe, zuletzt als 1. Offizier). Von ehemaligen Kollegen wusste ich, was für abstruse Dinge sich vor der Rückkehr der „Seebären“ häufig abspielten: da wurden in schönster Regelmäßigkeit Teppiche wieder ausgerollt oder eben weggepackt, Möbel wieder verrückt, das soziale Umfeld änderte sich jedes Mal, denn nun sollte/wollte Papa ja die volle Aufmerksamkeit haben… der gewohnte Tagesablauf mit Kindermädchen/Oma/Hort/Tagesmutter wirbelte häufig durcheinander, denn nun war Papa ja da.

Als wir uns kennenlernten, hatte mein Partner gerade im „Innendienst“ bei einer Reederei angefangen; er war trotzdem viel unterwegs, da er für die technische Betreuung von verschiedenen Schiffen der Flotte zuständig war, aber es war möglich, das Familienleben für uns angenehmer zu gestalten als bei den Freunden, wo die Männer noch aktiv zur See fuhren.

Damit war es dann im Januar 2013 vorbei. Durch die häufigen Probleme, die sich durch die gesundheitlichen Beschwerden unserer Tochter ergaben, trat (im Nachhinein betrachtet) alles, was unser Miteinander als Paar betraf, völlig in den Hintergrund. Selbst Probleme wurden nicht thematisiert, schließlich hatten wir ja schon genug Negatives.

e/m: Und wie erlebte eure Tochter die Zeit der Fernbeziehung?

IL: Unsere Tochter war sauer, weil Papa zu gefühlt keiner Schulaufführung kam. Skypen oder FaceTime-Anrufe mit ihr funktionier(t)en nicht wirklich gut, danach hatten wir zuhause richtig Stress, weil Papa entweder doch mal nicht erreichbar war, die Verbindung schlecht war oder er JETZT SOFORT da sein sollte.

Ich war ihrer Meinung nach schuld, dass wir komplett in Hamburg geblieben sind, denn ihr Papa hatte ja schließlich schon ihr Zimmer in Singapur eingerichtet und hat – wenn wir ihn in den Ferien besuchten – ja auch immer die coolsten Dinge mit uns unternommen; nicht so wie in Hamburg, wo wir beide arbeiten gingen.

e/m: Und für deinen Mann?

IL: Für ihn war die Tatsache ein Problem, dass ich meinte, unser Leben autark organisieren zu müssen und ihn irgendwann an Entscheidungen über alltägliche Dinge gar nicht mehr beteiligt habe. (Allerdings weiß ich bis heute nicht, was ich hätte anders machen sollen/können…).

Ansonsten gefiel ihm das Leben in Singapur sehr gut, sowohl der Job wie auch das Umfeld: irgendwer hatte immer Mitleid mit dem „Strohwitwer“ und nahm ihn unter seine Fittiche ;-). Sicherlich mochte er auch zu einem Teil das Singleleben: nur sich selber organisieren zu müssen, Freizeitaktivitäten planen zu können, ohne „Rücksicht“ auf die Bedürfnisse der Familie nehmen zu müssen, waren (so unterstelle ich jetzt mal) deutliche Pluspunkte für ihn. Irgendwann haben sich aber durch die viele Fliegerei zunehmend Beschwerden einschlichen. Ständig Kopfschmerzen, Probleme mit dem Biorhythmus, zu wenig Bewegung, …

e/m: In welcher Hinsicht hat sich euer Familienleben in dieser Zeit der Fernbeziehung verändert?

IL: Wir haben uns definitiv auseinander gelebt.

Es gab kaum noch gemeinsame Unternehmungen, denn wenn mein Partner in Hamburg war, war er ja zum Arbeiten da. Und wenn wir in Singapur waren, hatte ich meinen Urlaub mühsam durchsetzen müssen oder mit ordentlich Überstunden und Dienstplan-Tauschaktionen mit meiner Kollegin, mit der ich mich gegenseitig vertreten habe, wenigstens um einige Tage aufstocken müssen. Ich war dann also auch eher müde und erholungsbedürftig. Als mein Partner schließlich nach Hamburg zurückgekehrt ist, war der Neustart schwierig. Zwei Singles mit gemeinsamer Tochter mussten wieder zu einer Familie zusammenwachsen; ein neuer Arbeitgeber für ihn und schließlich ich, die den Anspruch hatte, jetzt mal nicht mehr 24/7 für ALLES verantwortlich sein zu wollen.

e/m: Habt ihr seither neue Traditionen oder Rituale eingeführt?

IL: Wir feiern z.B. Heiligabend jetzt bewusst zu dritt und lassen uns da auch auf keine Diskussion mehr mit unseren Müttern und Omas ein. Mein Partner und ich sind noch mal „erwachsener/reifer“ geworden oder vielleicht sollte ich besser sagen, wir lassen uns weniger durch die Meinung unserer Familien beeindrucken, räumen ihnen weniger Macht ein, als das vorher der Fall war. Da waren wir – obwohl wir definitiv mit 30, als unsere Tochter geboren wurde, keine ganz jungen Eltern mehr waren – sehr darauf bedacht, bloß nicht anzuecken und es allen recht zu machen. Wir haben darüber unsere Wünsche/Pläne häufig über den Haufen geworfen. Dies ist seit 2013 definitiv vorbei. Ansonsten lassen weder seine Arbeitseinstellung noch die häufigen Dienstreisen und auch das Alter unseres Pubertierchens wirklich zu, dass sich neue Rituale wirklich festigen.

e/m: Du hast das Expat-Leben in zwei Formen kennen gelernt, als Fernbeziehung und als gemeinsamen Auslandsaufenthalt. Mit welcher Variante bist du zufriedener?

IL: Das ist eine gemeine Frage. Ich zitiere mal Frank Sinatra: „Regrets, I’ve had a few. But then again, too few to mention. I did what I had to do and saw it through without exemption…“

Ich würde jede Entscheidung bezüglich der Auslandsaufenthalte erneut so fällen, was ich als beruhigend empfinde ;-)

Im Moment bin ich unzufrieden, weil ich meine Unabhängigkeit vermisse und es mich frustriert, dass es so ein steiniger Weg dahin zurück zu werden droht. Dabei bin ich ungerecht und ungeduldig, denn unsere private Deadline – eine frühestmögliche Rückkehr im Sommer 2019 – ist ja noch nicht erreicht. Bis dahin werde ich wie geplant vermutlich mein MBA-Studium erfolgreich abschließen und dann damit auf Jobsuche gehen können; wobei die örtliche Jahresurlaubszeit mal so überhaupt nicht mit den Schulferien korreliert…

Vielleicht sollte ich noch hinzufügen, dass mein Partner einen unbefristeten lokalen Vertrag bei einem nordeuropäischen Unternehmen hier in Singapur hat, wir also nicht entsendet wurden.

Unsere Tochter hat 1,5 Jahre gebraucht, um hier anzukommen und natürlich war ich ihrer Ansicht wieder an allem schuld, den Sprachschwierigkeiten (das Englisch-Niveau ist deutlich höher als auf dem Gymnasium in Hamburg), dass sie ihre Freunde in Hamburg zurücklassen musste (ihre Klasse hier war extrem gewöhnungsbedürftig…). Wir haben jetzt unsere Visa für weitere drei Jahre ausgestellt bekommen; das Pubertierchen kann sich gut vorstellen, die 10. Klasse hier zu beenden, mein Partner ist eh Asien-affin… nur ich weiß gerade nicht so wirklich, ob Fisch oder Fleisch.

Beide Situationen haben ihre ganz eigenen Probleme und Komplikationen; aber auch Chancen. Wobei letztere bei unserem aktuellen Modell überwiegen im Vergleich zu unserer Fernbeziehung.

Ohne den Auslandsaufenthalt hätte ich weder erneut studiert, noch würde ich Querflöte spielen lernen oder hätte mich auf eine Stelle als freie Autorin bei einer pharmazeutischen Fachzeitschrift beworben, die ich auch tatsächlich bekommen habe.

Ich bin nach Aussage von einigen Freunden und Nachbarn entspannter/gelassener/zufriedener geworden in den letzten zwei Jahren, stehe nicht mehr ständig unter Strom.

e/m: Was würdest du rückblickend sagen, sind die entscheidenden Fragen, die man sich stellen muss, um zwischen Mitgehen und Dableiben zu wählen?

IL: Für mich wären das die Fragen:

  • Welche Einschränkungen bezüglich des eigenen Jobs/ der Alterssicherung muss man als mitreisender Partner in Kauf nehmen
  • Wie sieht es mit der Schullaufbahn der Kinder aus?
  • Verlieren sie eventuell ein oder mehrere Schuljahre durch den Wechsel in ein anderes System? Ein internationaler Abschluss ist häufig nicht der Allgemeinen Hochschulreife gleichgestellt!
  • Wie offen ist man für Neues?
  • Wie gefährlich ist das Zielland?
  • Wie sieht die Stellenbeschreibung des arbeitenden Partners aus? Ist er/sie überhaupt regelmäßig vor Ort oder bereist er/sie den halben Kontinent?
  • Lohnt es sich, für einen Auslandsjob auf ein zweites gutes/sicheres Einkommen zu verzichten oder zahlt man als Familie drauf (private Altersabsicherung, die vom Arbeitgeber im Ausland eventuell nicht gezahlt wird/Krankenversicherung/Eigentum in der Heimat, das noch nicht abbezahlt ist/Reisekosten in die alte Heimat/Schulgebühren/Kinderbetreuungskosten?!)
  • Wie lange darf es dauern?

e/m: Vielen Dank, liebe Ilka, für deine Tipps und deine Offenheit, mit uns deine Erfahrungen zu teilen. Ich wünsche euch noch eine gute Zeit in Singapur.

2 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Susan sagt:

    Was für ein ehrlicher Einblick in die Expat-Fernbeziehung und die Herausforderungen, die sich dadurch ergeben haben. Ein beeindruckendes Interview. Herzlichen Dank fürs Teilen.

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