Winter in Shanghai – Frierend und frustriert überlegt sich der Expat, fern der heimatlichen Zentralheizung, wie er oder vielmehr sie denn die Körpertemperatur wieder auf ein erträgliches Maß bekommt. Zuhause unter einer wachsenden Anzahl von Wolldecken wäre eine Möglichkeit, aber das erschien mir dann doch zu langweilig. Also haben eine Freundin und ich beschlossen, andere Möglichkeiten zu erkunden. Eine Internetseite mit Besprechungen diverser Badehäuser gab den Ausschlag: Das wollen wir ausprobieren!
Zum New Star, bitte!
Ab ins Taxi, zum Badehaus gefahren, am Empfang freundlich begrüßt von den jugendlichen Mitarbeitern mit Manga-Haarschnitt, in ein Separée geführt, dort den Riesen-Flachbildschirm eingeschaltet… Moment mal!
Wir sind total falsch!! Das hier ist eindeutig kein Badehaus. Viel zu wenig Wasser, viel zu viel Plüsch und Teppich. Willkommen im Karaoke-Paradies. Nachdem wir den Mitarbeitern klar gemacht hatten, dass wir den Nachmittag nicht singend, sondern schwimmend verbringen wollen, wird uns die Adresse des Schwesterunternehmens mit gleichem Namen aufgeschrieben. Wir wieder ab ins Taxi und ein paar Straßen weiter gefahren.
Kaum sind wir durch die Glastüren des Badetempels „New Star“ eingetreten, schmettert uns auch schon eine Riege von Mitarbeitern ein herzhaftes „Willkommen“ entgegen, die Stiefel werden uns förmlich von den Füßen gerissen und kaum haben wir uns umgedreht, tragen wir auch schon ein Plastikarmband mit einer Nummer ums Handgelenk und werden mit ungeduldigen Handbewegungen die Treppe hinaufgescheucht – der Eingang soll schließlich frei bleiben für all die anderen Badegäste an einem Sonntagnachmittag. Auf Socken eine glatt geflieste Treppe hinauf ist nur die erste von vielen Herausforderungen, die an diesem Nachmittag auf uns warten.
Baden für Anfänger
Wir konnten mittlerweile feststellen, dass es im Badehaus wirklich angenehm warm ist; also nichts wie raus aus den Klamotten und diese im Hightech-Spind eingeschlossen (nur mit 2 Schlüsseln zu öffnen – dem eigenen und dem einer Angestellten). Mit dutzenden anderen Nackten – natürlich nur weiblichen, denn ein seriöses Badehaus ist streng nach Geschlechtern getrennt – stiefeln wir dann munter in den Nassbereich. Dort erstmal Füße waschen und orientieren. In mehreren Becken plantschen Frauen und Kinder, es gibt einen großen Bereich mit Spiegeln, Hockern und Duschköpfen, wo man anscheinend ausgiebige Körperreinigung betreibt und den neuesten Klatsch austauscht, außerdem noch Sauna und Dampfbad und einen geheimnisvollen Raum im Hintergrund. Erstmal Sauna, schließlich wollten wir es warm.
In der Sauna läuft schnulzige chinesische Musik, aber es ist schön warm und angenehm, also schwitzen wir eine Weile vor uns hin und lassen uns von unseren chinesischen/koreanischen/ japanischen Mitbadenden angucken. Die finden es offenbar super lustig, dass sich zwei Ausländerinnen hierher verirrt haben. Danach ab ins kalte Tauchbecken, wo wir wieder für offene Münder sorgen. Ein Kleinkind fängt an zu heulen, was an unserem Selbstbewußtsein nagt. Zeit, den geheimnisvollen Raum zu erkunden.
Badeparadies oder Fischmarkt?
Was wir vorfinden, ist entweder die Hölle oder der Himmel – Auslegungssache. In dem komplett gefliesten Raum stehen 12 Stahltische mit Plastikauflagen, auf denen Frauen liegen, die von Bademeisterinnen in schwarzer Spitzenunterwäsche und in schwarzen Gummistiefeln geschrubbt und mit Schläuchen abgespritzt werden. Das Ganze hat was von Fischmarkt, nach Wellness sieht es jedenfalls nicht aus. Aber wir sind ja neuen Erfahrungen gegenüber aufgeschlossen und lassen uns daher von einer der Bade-Dominas in Gummistiefeln eine Nummer geben. Wir sollen ins Dampfbad und dann im Wasserbecken warten, bis unsere Nummer aufgerufen wird. Na gut. Das Problem ist nur, dass uns im Dampfbad zu heiss ist, das Wasserbecken auch 46 Grad hat und wir daher schon nach 5 Minuten krebsrot sind – um bei der Fischmarkt-Thematik zu bleiben.
Wir beschließen, die Wartezeit lieber mit einem Erkundungsgang zu überbrücken. Da wir dafür den Nassbereich verlassen, werden wir von einer Angestellten abgetrocknet und uns wird die „Anstaltskleidung“ ausgehändigt, ein weißer Baumwollanzug mit Wegwerfunterwäsche. Schade eigentlich, dass man keine Fotos machen durfte…
So ausgestattet laufen wir über einen Fußmassage-Pfad aus Kieseln bis zur Teebar. Dort haben wir uns erstmal einen selbigen genehmigt, außerdem eine Packung Popcorn. Man sitzt dann einträchtig mit den anderen weißgekleideten „Insassen“ auf den Bodenmatten vor einem Riesenfernseher und schaut irgendeine chinesische Seifenoper. Oder man kann Mahjongg spielen oder Go oder Karten. Oder einfach auf den Matten vor sich hin schnarchen. Nach unserem Popcorn und dem Tee fühlen wir uns in der Lage, dem „Fischmarkt“ wieder ins Auge zu schauen. Also wieder ab in den Nassbereich, Anstaltskleidung ausziehen, duschen, uns die Standpauke der Domina anhören, weil sie uns schon gesucht hat und ab auf die Stahlliege, die mit einem herzhaften Schwung Wasser sorgfältig gesäubert wurde. Aha.
In den Händen der Bademeisterin
Da uns nicht so richtig klar ist, was genau zum Angebot der Dominas gehört, schauen wir uns die anderen Damen an und zeigen auf die, die noch einen zufriedenen Eindruck machen. Wahrscheinlich haben wir das Paket „Einmal mit allem“ bestellt, denn wir werden die folgenden 2 Stunden auf der Liege verbringen. Erstmal werden wir mit einem Rubbelhandschuh herzhaft geschrubbt, bis ich mir wirklich wie ein geschuppter Fisch vorkomme. Autsch. Und das wirklich am ganzen Körper. Am ganzen. Keine Stelle wird ausgelassen. Nach dem ersten Schmerz ist die Prozedur aber ganz angenehm, und die Bademeisterin entpuppt sich als mütterliche Dame, die mir mit knappen Kommandos zu verstehen gibt, wann ich mich auf der rutschigen Unterlage vom Rücken auf den Bauch oder auf die Seite rollen soll, wann ich mich setzen oder wieder legen muss und die mich in regelmäßigen Abständen mit warmen Wasser übergießt.
Nach dem Ganzkörper-Peeling werden wir mit Mandelmilch eingerieben und weich geklopft. Dann abgetrocknet und anschließend mit Öl massiert. Dafür kniet sich die Bademeisterin samt Gummistiefeln auf die Liege und läßt dich mal spüren, wieviel Kraft in einem Finger stecken kann. Nochmal autsch. Eine frisch geriebene Gurke ins Gesicht gerieben, irgendwas mit Honig auf den Rest des Körpers, in Frischhaltefolie eingewickelt und mit warmen Tücher bedeckt. Fertig ist die Beauty-Packung.
Im Anschluss soll ich mir dann das Gesicht mit dem Gurkensaft waschen, ich werde mit warmer Milch übergossen und spätestens jetzt komme ich mir wirklich wie etwas vor, was demnächst als Sonntagsbraten im Ofen landet. Aber nachdem mir die Badedomina die Gurke, die Milch und den Honig wieder abgespült und mich mit einem Klaps unter die Dusche geschickt hatte, muss ich zugeben, dass das Ganze sehr entspannend und wohltuend war. Das war sicher nicht unser letztes Mal in den Händen der Gummistiefel-Ladies. Und das alles in wirklich geheizten Räumen – Badehaus, wir lieben dich! (Sarah, ehm. Shanghai)
[…] Freundin Sarah mit einigen wunderbaren, originalen “Glückskeksen” aus China (wie z.B. der Besuch im Badehaus oder ihre […]