Ein Baby im Ausland zu bekommen, ist ein kleines Abenteuer für sich. Es gibt durchaus Länder, in denen sich Expatmamas eine Entbindung spontan nicht vorstellen können – so ging es Antje erst in Saudi-Arabien und dann in Indien. Warum ihre zweite Tochter aber schließlich doch in Delhi das Licht der Welt erblickte und dort nicht unbedingt begeistert empfangen wurde, das erzählt sie euch heute in ihrem Gastbeitrag. In loser Folge berichten hier immer wieder Expatmamas „Aus erster Hand„.
Ein Baby im Ausland
Ein Gastbeitrag von Antje Döhring
Das erste Kind habe ich in Saudi-Arabien – nicht – zur Welt gebracht. Obwohl ich damals, vor nunmehr fast zwanzig Jahren – bereits eine moderne Enbindungsstation dort besichtigt hatte. Im noch unschwangeren Zustand, was beim herumführenen medizinischen Personal auf größten Unglauben stieß: Wozu sollte man einen Kreissaal nebst Bettentrakt anschauen wollen, wenn diese in nächster Zeit noch gar nicht vonnöten sind? Gelernt hatte ich dabei einiges, vor allem: Entbindungen fanden im saudischen Gebärgewerbe, zumindest zu der damaligen Zeit (aber es wird sich wenig geändert haben) stets unter Vollnarkose statt. Und andertags wurde die frischgebackene Mutter dann samt Kind bereits in den sorgenden Kreis ihrer Großfamilie entlassen. Letzters hatten mein Mann und ich dort nicht. Ersteres kam mir eigenartig vor. So flog ich mit dem letzten für mich zugelassenen Flug zurück nach Deutschland und brachte unsere ältere Tochter dort zu Welt – ganz ohne Schmerz- und sonstigen Hilfsmittelchen aller Art, dafür mit anschließendem Aufenthalt.
Schwanger in Indien: Blutproben-Mix und andere Seltsamkeiten
Ein paar Jahre später lebten wir dann in Delhi. Dass ich einmal ein Kind in Indien entbinden würde, hätte ich in meiner Jugend sicher niemandem geglaubt, der mir das geweissagt hätte! Und als ich mit Tochter Nr. 2 schwanger war und hauptstädtische Krankenhäuser zwecks Wahl besichtigte, sah es auch lange nicht danach aus … Ich erinnere mich noch heute mit einem Grinsen an jene super-schicke Klinik, deren Foyer mit verspiegelter Rezeption, tiefen Ledersesseln und Kronleuchter eher zu einem Fünfsterne-Hotel zu gehören schien als zu einem Krankenhaus.
Als ich in den Kellergängen des Labors schließlich meine Blutprobe abgeben sollte und fragte, wohin denn damit, erhielt ich von einer desinteressierten Angestellten mit einer Handbewegung nach Irgendwohin die Auskunft: „Stellen sie die eben dort irgendwo mit dazu.“ Ich lagerte meine Schwangerschaftsblutprobe also neben zig anderen, dort bereits wartenden Reagenzgläsern und fragte mich leicht besorgt: Wenn ich später die Auswertung erhalte – kann es dann sein, dass es statt meiner die Blutbeschaffenheit eines Mr. Aggarwal oder einer Priti oder eines Vishal ist?
Ich ging nie wieder zu diesem Krankenhaus, und auch die anderen überzeugten nicht. So schien mir als einzige gangbare Variante eine erneute Entbindung in Deutschland – diesmal allerdings dann mit einer Schwester im Kindergartenalter im Schlepptau, während Papa in Indien bei der Arbeit würde bleiben müssen. Das war nicht sehr verlockend.
Dr. Loveleena und die Birth Boutique
Die Rettung war Madam Loveleena, meine Gynäkologin. Sie hieß nicht nur so lieblich, sondern war auch eine zauberhafte Frau im Sari, die sowohl alle indischen als auch amerikanischen Meriten ihrer Zunft innehatte. Also sie vorschlug, ich solle zumindest noch ein ganz neues Krankenhaus ansehen, die erste „Birth Boutique“, eine nur auf Mutterschaft und Neugeborene ausgerichtete Klinik in Delhi, nahm ich an. Da in Indien die Ärzte fast immer an mehreren Hospitälern gleichzeitig arbeiten, konnte sie einschätzen, dass diese Einrichtung sich tatsächlich sehr positiv von den anderen unterschied. Also beschlossen wir, dass ich zur Entbindung doch in Indien bliebe.
Die Untersuchungen sahen schon um einiges anders aus, als deutsche Schwangere das gewöhnt sind bzw. damals schon waren. Gespräch, Blutabnahme, Umfang messen. Kein „Babyfernsehen“, höchstens einmal Abhorchen mit dem Herztongeber des Ungeborenen. Wichtiger war mir, dass ich mich bei dieser Ärztin in sehr erfahrenen Händen fühlte.
In den „Genuss“ eins Ultraschalls kam ich dann eher unfreiwillig doch noch. Etwa sechs Wochen vor dem Termin musste ich ungeplant in die Sprechstunde. Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern; es war der 2. Weihnachtsfeiertag, an dem morgens in den Nachrichten über den schlimmen Tsunami im asiatischen Raum berichtet wurde. Ich war ohnehin schon unruhig, denn seit der letzten Nacht hatte sich das sonst so muntere Baby im Bauch nicht mehr gerührt. Horroszenarien überschwemmten meine Phantasie. Was, wenn etwas Ernstes eingetreten war? Ich musste also zum Arzt – und unsere Tochter mitnehmen, weil mein Mann auf Arbeit war und sie zu klein, allein daheim zu bleiben.
Es wurden sehr bange Stunden, die ich vor meiner Tochter zu überspielen versuchte, bis ich von einer Bereitschaftsärztin mit dem Herztongerät verbunden wurde und sie „Entwarnung“ gab. Alles in Ordnung, doch mehr zu meiner eigenen Beruhigung überwies sie mich noch in eine auf Schwangeren-Ultraschall spezialisierte Praxis bei mir in der Nachbarschaft. Bereits wieder frohgemut gestimmt traf ich dort ein, durfte dann doch unser Ungeborenes auf dem Bildschirm schon einmal sehen. Und versuchte – nun wieder etwas kecker – dem Arzt die Information abzuluchsen, ob das Baby ein Junge oder ein Mädchen sei.
Man muss dazu wissen, dass an allen Krankenhäusern und Ultraschallpraxen ein Schild angebracht ist, auf dem steht, dass das Informieren über das Geschlecht des Kindes durch das medizinische Personal für dieses mit strengen Strafen belegt sei.
Dennoch lassen sich jedes Jahr viele tausende Eltern in spe das Geschlecht vorher sagen (gegen Bestechungsgeld natürlich) – und unfassbar viele weibliche Föten werden daher nach wie vor in Indien abgetrieben und manchmal weibliche Neugeborene umgebracht oder deutlich schlechter behandelt als die kleinen männlichen Nachkommen. Eine abscheuliche Praktik, deren Folgen ich mich daher nicht entziehen konnte. Der Arzt bemerkte noch mitten in der Antwort auf meine kleine Fangfrage den Fallstrick und drückte sich so neutral aus, dass wir bis zur Geburt tatsächlich nicht wussten, „was es wird“.
Entsprechend entspannt konnte ich dann also der Geburt entgegensehen. Als es dann soweit war und mein Mann mit unserem Fahrer eintrafen (in Indien durften wir aus gutem Grund nicht selbst Auto fahren), um mich zur Klinik zu fahren, riefen wir parallel Dr. Loveleena an, die zum Glück nicht gerade in einer OP steckte und sich ebenfalls sofort auf den Weg zur „Birth Boutique“ machte. Sie hatte den weiteren Weg. Doch wir steckten im Stau auf einer neugebauten Brücke fest! Ganz normales Delhi-Verkehrschaos. Ich glaube, ich habe im Versuch, mich zusammenzureißen und den Fahrer nicht zu sehr zu verschrecken, fast das Bodenblech des alten Ambassador durchgetreten …
Stelldichein im Kreißsaal und keiner gratuliert
Dr. Loveleena und wir trafen zeitgleich an der Klinik ein; es dauerte dann nur noch zwei Stunden. Die können aber bekanntlich unter solchen Umständen lang werden. Besonders lästig fand ich dabei, dass neben Ärztin und ohnehin vier Krankenschwestern (nebst meinem Mann) nach und nach immer mehr Schwestern hinzukamen. Ich schätze, ganz zum Schluss hatten sich an die zwölf Personen in meinem Kreissaal versammelt, um mir beim Gebären zuzusehen! Als Zuallerletzt auch noch ein Mann die Szenerie betrat, wäre ich fast „gegangen“! (wenn das möglich gewesen wäre). Doch man beruhigte mich: „Noch zwei Mal pressen; das ist der Kinderarzt, der das Baby dann sofort untersucht.“
Als das Kind kurz darauf seinen ersten Schrei tat und alles um mich herumwuselte, musste ich erst einmal meinen Mann fragen: „Sag mal, was ist es denn eigentlich geworden?“ Er bestätigte mir die Ankunft einer weiteren kleinen Tochter. Dem Krankenhauspersonal war offenkundig die Geburt eines „nur“ Mädchens keine weiteren Glückwünsche wert gewesen. Dass ich mir diese schäbige Geschlechterbevorzugung nicht eingebildet hatte, bemerkte ich noch einige Male. Obwohl meinem Mann, mit dem Neuankömmling auf dem Arm, das Glück ins Gesicht geschrieben stand, drückte mir beim Nähen eine Krankenschwester mitfühlend die Hand und erkundigte sich:
„Sie haben schon ein Kind? Aber das ist doch ein Junge, nicht wahr?“
Als ich erklärte, die ältere Schwester freue sich bereits, wirkte die Frau ehrlich bekümmert über mein Schicksal. Und als abends mein Mann und die inzwischen herbeigeholte, frischgebackene „große Schwester“ wieder heimgingen, fiel mir der Unterschied wieder auf. In Indien ist es sehr üblich, dass ganze Großfamilien das Krankenzimmer eines Kranken oder auch einer Wöchnerin Tag und Nacht belegen, so als „Gesellschaft“. Dass mein Mann samt älterem Kind heimging, musste in deren Augen Schlechtes bedeuten. Als eine Frau kam, um die Ausziehcouch für die Nacht bereit zu machen und ich freundlich erklärte, dass ich dies nicht brauche, weil alle bereits auf dem Heimweg seien, betrachtete mich die Hilfskraft voll so viel Anteilnahme, als sei ich soeben verstoßen worden!
Im Übrigen kann ich nur Gutes von diesem zweitägigen Aufenthalt in der „Birth Boutique“ berichten. Vor den Mahlzeiten kam ein Herr im Anzug mit dem Wahlmenü ans Bett, immerhin! Die Ärzte und Schwestern waren hilfsbereit und kompetent. Eine Physiotherapeutin und eine Stillberaterin kamen sogar ans Bett. Letztere verblüffte mich damit, dass ich ein paar Wochen lang wegen des Stillens „Meersfrüchte, Äpfel und Gurken meiden“ solle. Als ich nachfragte, was denn mit Zwiebeln, Hüsenfrüchten oder Knoblauch sei (den „Feinden“ jeder deutschen Stillmutter), erklärte sie mir, das sei doch alles gar kein Problem! Wie auch – in Indien bekommen ja schon zwei, drei Monate alte Babies Dhal zu essen: den omnipräsenten Linsenbrei! Und das wohl ohne nennenswerte Folgen in Form von Kolik & Co …
Mein Fazit: Schwanger sein und Entbinden im Ausland ist eben „anders“, aber nicht unbedingt alles schlechter. Voraussetzung dafür ist aber, sich lieber gleich von der deutschen Rundumüberwachung und –schallung zu verabschieden. Wie mein Mann immer zu sagen pflegte: „Ach schau, in Indien kommen jährlich Hunderttausende zur Welt …“
Weitere Geschichten von Antje findet ihr auf ihrem Blog Buchstaben wie Sand am (Wüsten-) Meer.
Und wenn ihr selbst eine Expat-Erfahrung hier auf dem Blog teilen wollt, schreibt mir unter info@expatmamas.de. Ich freue mich auf eure Geschichte!