Ich bin als Kind dreimal umgezogen – wenn auch nur innerhalb Deutschlands. Trotzdem fällt es mir heute schwer, eine Frage zu beantworten: Woher kommst du? Wie viel komplizierter wird es da für manche Expat-Kinder, die in anderen Ländern gelebt haben. Und was bedeutet das für ihre Entwicklung? Wie wirkt sich das auf ihre Identität aus? Äußerlich Meister der Anpassung und innerlich zerrissen? Weltoffen oder bindungsarm? Diesen Fragen geht Ann in ihrem heutigen Beitrag zu unserer Serie „Third Culture Kids“ auf den Grund.
Wo ist mein Zuhause? – Über die Folgen des Nomadenlebens
Ein Gastbeitrag von Ann Wöste
Die Frage „Wo kommst du her?“ lässt viele junge Menschen, die ein Leben als Expat-Kind geführt haben, verstummen. Was genau ist gemeint? Der Ort, wo ich gerade lebe? Der Ort, wo ich geboren bin? Die Nationalität, die in meinem Pass steht? Das Land, in dem ein Großteil meiner Familie lebt?
Die Antwort könnte lauten: Eigentlich bin ich deutsch, aber geboren wurde ich in den USA. Aufgewachsen bin ich in Japan und China, und im Moment studiere ich in Singapur. Wenn dann auch noch die Eltern eine binationale Ehe führen, wird es richtig kompliziert. Außerdem stellt sich dann immer die Frage: Interessiert das überhaupt jemanden? Wie viel will ich denn überhaupt von mir preisgeben bei einer Frage, die vielleicht nur als Smalltalk gedacht war? Und noch viel wichtiger: Wo fühle ich mich denn wirklich zu Hause?
Fragen, die sich offensichtlich auch Alice Merton schon gestellt hat, beschreibt sie doch in ihrem Song „No Roots“ genau dieses Gefühl der Wurzellosigkeit sehr eindrucksvoll. Als Tochter eines Deutsch-Irischen Paares, wuchs sie in Kanada, Deutschland und England auf und erfüllt damit das Profil eines klassischen Third Culture Kids.
Junge Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, wie Alice Merton, berichten ebenfalls, dass Heimat für sie weniger geographisch, also an keinen bestimmten Ort gebunden ist, sondern eher ein Gefühl in ihrem Innern. Vor allem in der Gemeinschaft mit anderen TCKs fühlen sie sich zugehörig. Ich finde es bemerkenswert, dass eine deutsche junge Frau, die in China aufgewachsen ist, eine größere emotionale Verbindung zu einem gleichaltrigen Amerikaner spürt, der seine Jugend in Dubai verbracht hat, als zu einer Deutschen, die ihr Leben lang in Deutschland gelebt hat.
Ein gemeinsamer Lebensstil als verbindendes Element
Expat-Familien wissen zu Beginn einer Entsendung, dass es irgendwann zurück in die Heimat gehen wird. Dieses Wissen unterscheidet sie von Einwanderern, die versuchen, sich möglichst gut in die neue Kultur zu integrieren, um möglichst bald ein Teil davon zu sein.
Expats sind leider meist nur Zaungäste, vielleicht sind sie dem neuen Land gegenüber offen, reiselustig und kulturell interessiert. Aber der Umstand, dass sie nicht wirklich Teil ihrer Gastkultur werden wollen, hält sie davon ab, ganz in Sprache und Kultur einzutauchen. Sie entwickeln ihre eigene Kultur, die bereits erwähnte Drittkultur, die ihre Kinder maßgeblich prägt.
Allerdings geht es für viele Familien nicht direkt wieder zurück in die Heimat, sondern sie wechseln vor der Rückkehr noch einige Male den Standort. Jeder Standortwechsel beinhaltet wieder einen emotional stressigen Übergangs- und Neuanpassungsprozess.
Viele TCKs sind Meister im „Sich Anpassen“. Aus der jahrelangen Erfahrung, erst einmal zu beobachten, um dann möglichst wenig anzuecken, scheint es ihnen augenscheinlich leicht zu fallen, sich zu integrieren.
Allerdings wird so oft ein Großteil ihrer Persönlichkeit verleugnet, eben all dass, was sie anders sein lässt. Immer eine Rolle spielen zu müssen, das Gefühl, nicht man selbst sein zu können, ist belastend und auf Dauer ungesund und findet oft ein Ventil in schlechter Laune, die wir Eltern z.B. von unseren Kinder nach Schulschluss zu spüren bekommen. Andere TCKs können diese Gefühle besser verstehen, weil sie sie kennen.
Als wir nach vielen Jahren in China nach Deutschland zurückgekehrt sind, habe ich gezielt nach einer Schule gesucht, die die TCK-Problematik kennt, und die von vielen Expat-Kindern besucht wird, um meinen Kindern die Möglichkeit zu geben, diesen großen Anteil ihrer Persönlichkeit selbstverständlich zeigen zu können. Wie wenige Berührungspunkte unser Leben mit der Alltagswelt deutscher Grundschulkinder hatte, wurde mir bewusst, als wir gemeinsam an einem Chorprojekt teilnahmen und mit den Worten vorgestellt wurden, das wir in China gelebt hätten. Mein Sohn wurde gleich mehrfach gefragt, warum er denn nicht chinesisch aussähe, und als mir dann auch noch eine Jugendliche das Kompliment machte, dass ich aber gut Deutsch spräche, war ich sprachlos.
Ein Haus als Zuhause
Mir selbst war es immer wichtig, ein Haus und damit eine Homebase zu haben. Ich wollte, dass meine Kinder zu Hause mit einem festen Standort verbinden konnten und es klar war, dass, wenn ich sagte, „Wir fahren in den Ferien nach Hause“, es eben zu diesem Haus ging. Ich weiß, dass das für Viele nicht passt, da sie so viel Zeit im Ausland verbringen und über Jahre wissen, dass sie in diesem Haus nicht leben werden, dass sie die Mühen, so ein Haus zu pflegen, scheuen. Andere vermieten ihr Eigenheim während der Stationierung und können es deshalb in den Ferien nicht selbst bewohnen. Aber meine Erfahrung ist, dass so ein Haus hilft, auch einen Ort „sein Zuhause“ nennen zu können, und die Reintegration hinterher leichter fällt.
Aber nicht nur die schwierige Beziehung zu dem Begriff Heimat ist eine der Schattenseiten des Aufwachsens in mehreren Kulturen, sondern auch die vielen Standortwechsel. Nicht nur die eigene Familie verändert sich räumlich, sondern in der ganzen Expat-Community herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Wenn wir im Sommer von unserem Heimaturlaub zurück nach Changchun kamen, hatte sich ein Drittel der Bewohner unseres Compounds verändert und musste neu integriert werden. Auch das bedeutet Unruhe und den Verlust liebgewonnener Menschen.
Nach mehreren solchen Verlusterfahrungen tun sich Kinder immer schwerer, in tiefe Beziehungen zu investieren, weil ihre bisherige Geschichte sie gelehrt hat, dass nichts von Dauer ist und es weh tut, etwas zu verlieren, das man liebt. Häufige Umzüge sind der Nährboden für Bindungsprobleme, die sich im Erwachsenenalter vor allem dann bemerkbar machen, wenn es darum geht, sich auf eine Partnerschaft einzulassen und diese dann auch länger als nur die üblichen zwei bis drei Jahre durchzuhalten, bevor unbewusst ein Szenario kreiert wird, dass eine Trennung notwendig erscheinen lässt.
Rastlosigkeit und Migrationsinstinkt
Die für TCKs typische Rastlosigkeit kommt jedoch nicht nur in der Partnerschaft zum Tragen, sondern äußert sich auch in einem vom David C. Pollock beschriebenen „Migrationsinstinkt“. Wie ein innerer Drang treibt es Menschen, die während ihrer Entwicklungsjahre der hohen Mobilität eines Expat-Lebens unterworfen waren, immer wieder dazu, Job, Stadt oder gar Land nach einem bestimmten Zeitraum zu verlassen und nach etwas Neuem zu suchen. Dieses ständige innere Getriebensein verhindert Sesshaftigkeit, echtes Ankommen und innere Ruhe.
Es wäre wünschenswert, wenn TCKs zu diesen wichtigen Themen mehr Unterstützung und Hilfe erfahren würden. Beispielsweise wären „Übergangsberater“ – psychologisch geschulte Mitarbeiter an Schulen – denkbar, die als Ansprechpartner zur Aufarbeitung von Verlusterfahrung, Trauer und Anpassung an das neue Umfeld hilfreich zur Seite stehen könnten.
Ann Wöste ist zertifizierter Schema- und Hypno-Coach ebenso wie zertifizierter Kinder- und Jugendcoach (IPE). Das Thema, sich auch als globale Nomaden zu Hause fühlen zu dürfen, liegt ihr sehr am Herzen. „Überall zu Hause“ heißt deshalb ihr Coaching-Angebot für Expat-Partner und Third Culture Kids.