„Jetzt bin ich ein Schulkind“ – so steht es auf der Postkarte, die Oma und Opa vor ein paar Wochen zur Einschulung geschickt haben. Das war so nicht geplant, aber wie so oft im Expat-Leben kommt vieles anders als man denkt oder beim Umzug ins Ausland geplant hat.
Unverhofft kommt oft
Ich lebe seit mehr als vier Jahren mit meinem Mann und meinen beiden Kindern (5 und fast 3) im Südosten der USA, genauer in Chattanooga, Tennessee. Als uns 2011 der Job meines Mannes hierher gebracht hat, sind wir von zwei, vielleicht auch drei Jahren im Ausland ausgegangen. Jetzt wird es insgesamt wohl auf 5 Jahre hinauslaufen.
Unsere Tochter – damals 18 Monate alt – ist von Anfang an in den Kindergarten gegangen. Es war mir als Linguistin ganz wichtig, dass sie Englisch „nebenbei“ mitlernt – ganz spielerisch, kontinuierlich und in natürlicher Umgebung. Dass schon sehr bald das Thema „Schule“ für uns wichtig werden könnte, daran haben wir im ersten Jahr im Traum nicht gedacht. Mit unserer deutschen Neu-Expat-Brille sind wir davon ausgegangen, dass die Schulzeit ja eh erst mit 6 Jahren anfängt und wir bis dahin längst wieder zurück in Deutschland sind. Und überhaupt – jetzt soll sie im Kindergarten malen, basteln, singen, springen, einfach viel Spaß haben. Der Ernst des Lebens beginnt noch früh genug.
Frühe Vorbereitung auf die Schule
Wie früh, haben wir aber schnell gemerkt. In den USA beginnt ein straff strukturierter, einem Schultag sehr ähnlicher Ablauf, nämlich schon bei den ganz Kleinen. Freies Spielen begrenzt sich auf zwei Mal 30 Minuten am Tag; Ähnliches gilt für Spielen an der frischen Luft. Mit spätestens 3 Jahren werden die ersten Buchstaben eingeführt, es wird fleißig gezählt und geübt, den eigenen Namen zu schreiben. Spaß haben und unbeschwertes Spielen hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt. Aber unsere Tochter hatte immer sehr viel Spaß und hat eine Menge gelernt.
Als sie mit 4 Jahren in die sogenannte Pre-K-Gruppe kam, waren wir erst einmal überrascht, als uns erklärt wurde, dass Pre-K die letzte Gruppe vor der Schule ist. Aber unsere Tochter ist doch dann erst 5!?
Wie das amerikanische Schulsystem funktioniert
Grund genug also, um sich intensiver mit dem amerikanischen Schulsystem auseinanderzusetzen. Pre-K bzw. K – wofür steht das eigentlich? K steht für Kindergarten. Aber nicht für das, was wir Deutschen unter „Kindergarten“ verstehen – also Kinderbetreuung für die 3-6jährigen. Im amerikanischen System ist Kindergarten das erste Jahr in der Schule und zwar für die 5-Jährigen. Pre-K ist somit die Vorbereitung auf dieses erste Schuljahr.
Und genauso war es auch: es wurde fleißig geschrieben, gereimt, die ersten Hefte gelesen, gerechnet und Hausaufgaben gemacht, damit der Schuleignungstest mühelos bestanden wird. Ein wichtiger Testpunkt: den eigenen Namen in korrekter Groß- und Kleinschreibung zu können. Und ich stand staunend daneben: Meine Tochter, zu dem Zeitpunkt noch keine 5 Jahre alt, wird also tatsächlich ein amerikanisches Schulkind. Denn mittlerweile war klar, dass wir noch zwei Jahre länger in den USA bleiben würden.
Die richtige Schule finden
Also haben wir uns auf die Suche nach der richtigen Schule gemacht. Hier im Süden der USA gibt es grundsätzlich drei verschiedene Schul-Typen: öffentliche Schulen, kostenlos, aber dafür oft mit einem schlechten Ruf; private kirchliche Schulen und private konfessionslose Schulen mit kleinen Klassen, 1A-Ausstattung, Deutsch-Programm und richtig teuer.
Ich habe mir alle drei Schultypen angeguckt, mit vielen Amerikanern und anderen deutschen Expats geredet und natürlich die unterschiedlichsten Antworten bekommen. Letztendlich blieb uns nichts anderes übrig, als uns auf das Bauchgefühl zu verlassen. Und das Glück!
Ein Platz an der Schule als Losgewinn
Seit August geht unsere Tochter auf eine öffentliche Schule, die man nur über den Gewinn einer Lotterie besuchen kann! Ja wirklich, eine Lotterie! Die Plätze für das Kindergarten-Jahr wurden im letzten Jahr unter mehr als 600 Bewerbern verlost. Diese Schule hat einen sehr guten Ruf und ist so beliebt, dass fast jeder – egal ob wohlhabend oder nicht, religiös oder nicht – seine Kinder dorthin schicken möchte. Und da es in den Jahren zuvor zu Tumulten bei der Anmeldung kam (nicht nur der Andrang allgemein war sehr groß, sondern es wurde sogar vor dem Schulgebäude übernachtet, um am Tag der Anmeldung einen Platz ganz Vorne in der Schlange zu ergattern), werden die Plätze seit ein paar Jahren über ein Losverfahren vergeben. Und wir hatten Glück!
Einschulung mit 5 Jahren
Trotz des Losglücks habe ich weiterhin mit der Situation gehadert und viel nachgedacht: sie ist doch erst 5 und eigentlich noch klein. In Deutschland hätten wir doch noch dieses eine Jahr… In dieser Zeit war es auch nicht besonders hilfreich, wenn Familie und Freunde aus Deutschland regelrecht geschockt reagiert haben, dass die kleine Große JETZT SCHON eingeschult wird. Und dann geht sie auch noch bis 16 Uhr in die Schule? Jeden Tag???
Als Expat muss – und will – man sich aber den Gegebenheiten des Gastlandes anpassen (nicht allen natürlich: bewaffnen werden wir uns nicht, ein Pick-Up-Truck kommt mir nicht in die Garage, Antibiotika gibt’s wirklich nur, wenn es nicht anders geht, und Urlaub machen wir auch mal länger als ein verlängertes Wochenende!). In unserem Fall heißt dass, dass unsere Tochter eingeschult wird, mit 5 Jahren. So wie alle amerikanischen Kinder.
Mein großes Kind
An den Gedanken habe ich mich irgendwann gewöhnt und die Entscheidung bislang nicht bereut. Und selber habe ich schon so viel dazugelernt! Loslassen, zum Beispiel. So möchte sie morgens nicht von mir in die Aula gebracht werden, wo sich alle Kinder versammeln, bevor sie gemeinsam mit ihrer Lehrerin in ihre Klassenräume gehen. Ordentlich aufgereiht nach ihren Nummern natürlich (jedes Kind hat eine Nummer; sie ist Nummer 10). Sie möchte immer die car line machen, d.h. sich abschnallen, ganz alleine aus dem Auto aussteigen, um zusammen mit den großen Kindern in die Aula zu gehen. Also reihe ich mich – typisch amerikanisch – in die lange Autoschlange ein, anstatt mich für ein paar Minuten auf den fast leeren Parkplatz zu stellen.
Und beim Abholen geht es ähnlich weiter: bereits seit dem ersten Schultag möchte sie ein bus rider sein, kein car rider. Also warte ich ab 16 Uhr auf dem riesengroßen Supermarktparkplatz darauf, dass der große gelbe Schulbus um die Ecke biegt. Und steige nicht aus dem Auto aus, um ihr den schweren Rucksack und die lunch bag anzunehmen: „Nein, Mama, ich kann das alleine. So wie mein 7th grade buddy!“
Ich lasse sie. Ich lasse sie los. Auch wenn es mir schwerfällt und ich das Gefühl habe, dass sie hier noch schneller selbstständig wird als in Deutschland. Oder doch nicht? Wenigstens kann sie hier ja nicht mit dem Fahrrad zur Schule fahren…
Tina Busch schreibt auf ihrem Blog (tinabusch.com) über ihr Leben als Expat-Wife in den USA und genießt zur Zeit ihr wahrscheinlich letztes Jahr im Ausland.