Wie wird es wohl sein, dieses Mal mit Teenagern ins Ausland zu gehen, frage ich mich. In vielerlei Hinsicht sicher komplett anders als damals mit Baby. Aber die Anfangsfragen an mich könnten wohl ähnlich lauten: Do you like it over here? Nur: wird meine Antwort auch ähnlich sein, wie einst in der englischen Babygruppe? Die ausgesprochene bzw. die gedachte? Ich krame derzeit immer wieder in Erinnerungen und entdecke alte Anekdoten wieder.
Im Juni vor 14 Jahren fuhr ich jeden Montagmorgen nach Crick, wo sich in der Village Hall eine Babygruppe traf. Jeden Montag war es dort eiskalt und jeden Montag war der Fußboden in einem Zustand, dass ich mich freute, dass das Töchterlein auf ihrer Decke liegen konnte – zumindest bis «Decken-Sam» zur Tat schritt.
Die Babygruppe bestand aus lauter kleinen Mädchen zwischen 6 und 12 Monaten und zweimal Sam. Zur Unterscheidung hatte ich im Stillen den einen «Steifen Sam» getauft (er war einen Monat älter als das Töchterlein und lag 90 Prozent der Zeit steif wie ein Brett auf dem Rücken) und den anderen «Decken-Sam».
«Decken-Sam» war eigentlich ‚nur‘ Geschwisterkind, räumte aber bei seinen regelmäßigen Besuchen sämtliche Babys von ihren Spieldecken, um sich anschließend unter einem Berg erbeuteter Stücke zu verkriechen. Die ursprünglich auf den Decken heimische Bevölkerung tauschte derweil in meist friedlicher Runde halb angeschlotzte Beißringe aus, sodass mein Kind seinen ersten Schnupfen mit nach Hause nehmen konnte.
Mehr noch als «Decken-Sam» fürchtete ich allerdings die Kinder, die von den Mamas nicht auf Decken gelegt, sondern in Laufwägen mit Rundum-Schaltpult gesteckt wurden. Manövrierunfähig schossen sie durch den Raum und wehe ein anderes Kind mit Decke lag im Weg. Es war ein Kampf der Kulturen: Holzrasselschwenker versus Fahrer halbautomatisierter Plastik-Blinke-Stühle, ein Stellvertreterkrieg von Haba und Sigikid versus Fisherprice und Mattel.
Während das Kind in unserer Babygruppenstunde die Gefährte in Bedrängnis brachten, geriet ich bei den wohlmeinenden Fragen der Mütter in Verlegenheit.
«Do you like it over here?» – Was antwortet man auf so eine Frage? – Klar, die wunderschöne Landschaft und die Freundlichkeit…
«Do you miss your friends and family?» – Sicher doch, aber insgeheim auch den Kinderarzt, den Bäcker und meinen Friseur…
Sollte ich darüber plaudern, dass ich eine Wagenladung Milchpulver und Gemüsegläschen importiert hatte, weil wir Deutsche glauben, man müsste Babys an jedes Lebensmittel einzeln gewöhnen?
Sollte ich gestehen, dass ich lieber in der Stadt wohne und gerne spazieren gehe?
Sollte ich sagen, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich meine Doktorarbeit fertig schreiben sollte?
Sollte ich mich beklagen, dass ich in Hollowell kein Handynetz hatte und keiner Freundin einen kurzen SMS-Gruß schicken konnte; und jedes Mal wenn ich versuchte zu telefonieren, mein Kind quengelte?
Ich glaube, ganz so genau wollte es niemand wissen. Also blieb mir Zeit für freundliches Zuhören, denn beim Baby-Thema fehlte mir schnell das Fachvokabular und beim Männer-Thema der Kerl, der am Samstag im Pub versackte.*
Ja, wie wird es dieses Mal werden? Am Anfang sicher wieder viel Gelegenheit für freundliches Zuhören und stilles Abwägen, welche Antworten Small Talk-tauglich sind. Die kulturellen Gräben werden sich nicht mehr an der Frage Holz oder Plastik zeigen, sondern anderswo. Und ich werde das Auslandsabenteuer nicht mehr 24 Stunden am Tag mit meinen Kindern teilen. Sie sind groß genug, um selbst die Frage gestellt zu bekommen: Do you like it over here? Sie werden ihre eigenen Eindrücke sammeln und ich hoffe, wir erzählen sie uns abends gegenseitig. Stoff für neue Anekdoten. Vielleicht auch ein neues Buch? We’ll see….
*Dieser Text ist ein Auszug aus meinem Buch: „Von Babys und Briten – Anekdoten einer Expatmama“ (Anm. d. Red.: Vergriffen seit 09-2023)
Liebe Jonna, ich bin gespannt, wie es dieses Mal für dich sein wird. Die Kinder sind größer, die technischen Möglichkeiten noch ausgereifter. Schön, dass du uns an deinen Gedanken teilhaben lässt. Alles Gute für alles, was kommt. Viele Grüße, Susan
Ich wünsche euch alles Gute und hoffe du musst dir dieses Mal keine Small-Talk Anekdoten ausdenken. Viel Glück!