Von Kirgisistan nach Nordmazedonien – im Pandemie-Sommer 2020 hatte die Familie von Katja einen nervenaufreibenden Umzug vor sich. Schon unter normalen Umständen gibt es aus dem kleinen zentralasiatischen Land Kirgisistan keine Direktflüge nach West- und Zentraleuropa. Dass ihnen wegen Corona am Ende aber nur blieb, zu Fuß über die Grenze das Land zu verlassen, war auch für die erprobten Expats ein Abenteuer.
Ausreise zu Fuß
Als ich Katja auf Instagram traf, wollte ich sie eigentlich für meine Serie „Neu in…“ interviewen. Doch als wir über ihr An-Kommen in Skopje sprachen, stellte sich heraus, dass schon ihr Hin-Kommen so ungewöhnlich war, dass ich fand: auch diese Geschichte sollte erzählt werden.
e/m: Liebe Katja, der Umzug im Sommer gestaltete sich aufregender als gedacht. Wann wusstet ihr, dass für euch die Zeit in Kirgisistan im Sommer zu Ende sein würde?
Durch die Arbeit meines Mannes sind unsere Versetzungen (glücklicherweise) in der Regel ziemlich gut planbar. Wir wussten also schon zu Beginn unserer Zeit in Kirgisistan, dass unser Aufenthalt grundsätzlich auf vier Jahre begrenzt sein wird und haben dann im Herbst 2019 mit großer Freude von unserer neuen Destination – Nordmazedonien – erfahren.
e/m: Wie sah euer ursprünglicher Plan zur Ausreise aus?
Wir haben uns unsagbar auf die letzten Monate im Land gefreut und darauf, noch einmal ganz entspannt die wunderschöne Natur zu genießen, noch einige unentdeckte Orte zu erforschen und einfach die Zeit mit liebgewonnen Menschen zu verbringen.
Gegen Ende Juni wollten wir dann entlang der üblichen Route mit Zwischenlandung in Istanbul in die Schweiz reisen.
e/m: Wann kamen die ersten Einschränkungen im Land wegen der Pandemie? Und wie habt ihr die letzten Monate vor der Ausreise verbracht?
In der zweiten Märzwoche, noch vor den Frühlingsferien unserer Schule, wurden von Freitag auf Montag plötzlich alle Schulen geschlossen bzw. auf Online-Unterricht umgestellt. Auch wenn unsere Schule die Umstellung dank eines jungen und sehr motivierten Lehrteams wirklich gut gemeistert hat, war es doch eine Belastung – so von heute auf morgen. Einen 6-jährigen Socialiser für Zoom-Calls und eigenverantwortliches Arbeiten zu begeistern, wurde meine neue Herausforderung.
In den Wochen nach Schulschließung wurden dann auch Ausgangssperren verhängt. Ein Kommandant übernahm die öffentliche Ordnung in der Hauptstadt Bischkek. Es wurden Straßensperren am Stadtrand und zwischen verschiedenen Stadtvierteln aufgestellt, um die Mobilität der Menschen einzuschränken und den Verkehr zu limitieren. Dabei war die epidemiologische Lage zu dem Zeitpunkt noch viel besser als in Europa.
Ab März saßen wir also quasi in unserem Haus im Stadtzentrum von Bischkek fest. Wir waren dankbar, dass wir einen Garten mit einem Trampolin hatten und es in Bischkek schon früh sommerlich wird. Meine Kinder haben zwei Monate am Stück das Haus gar nicht verlassen. Uns war das Risiko einfach zu groß, an einem noch so unbekannten Virus zu erkranken in einem Land mit einem Gesundheitssystem fernab europäischer Standards.
Nach Wochen der Isolation haben wir uns dann mit gleichermaßen vorsichtigen Freunden zu „Corona Buddies“ zusammengetan und uns vor unserer Ausreise noch ein paar Mal getroffen. Beim ersten Treffen waren die Kinder nach wochenlanger sozialer Isolation so aufgeregt, dass sie sich rausputzten und schick machten, als gingen sie auf eine glamouröse Hochzeit.
e/m: Wie ging es euren Kindern in den letzten Wochen vor der Ausreise?
Ich bin immer noch ganz erstaunt, wie gut die Kinder das gemeistert haben. Als sich herauskristallisierte, dass die Schulen bis zum Sommer geschlossen bleiben und sie nicht einmal mehr die Möglichkeit eines Abschiedes von Freunden bekommen werden, hat es mir als Mama und TCK-Expertin fast das Herz gebrochen. Wir haben viel darüber gesprochen und ich habe immer wieder versucht, sie in ihrer Trauer abzuholen. Diese war jedoch gar nicht so groß, wie ich es befürchtet hatte. Da die Kommunikation mit Großeltern, Verwandten und Freunden in der Schweiz und Deutschland ja eh immer virtuell stattfindet, war das nicht so wahnsinnig neu für sie.
e/m: Eure Ausreise war dann tatsächlich eher ungewöhnlich. Kannst du uns die Geschichte erzählen?
Uff, wo soll ich anfangen? Ich könnte ein Buch darüber schreiben.
Es kam also langsam der Monat Mai. Ich hatte beruflich sehr viele Mandate und mein Mann und ich mussten uns die Zeit und die Aufgaben mit dem Home-Schooling aufteilen. Bischkek war zwar nach wie vor im Lockdown, die Maßnahmen wurden dann Ende Mai jedoch langsam gelockert. Leider gab es wenig konkrete Empfehlungen, wie man sich zu verhalten hat. Entsprechend wurde die Lage um unseren Umzug herum immer brisanter. Der internationale Flughafen in Bischkek war vollständig geschlossen und die Grenzübergänge in alle Nachbarländer ebenso.
Im Mai gab es dann ein paar wenige Sonderflüge zur Repatriierung und Evakuierung von ansässigen Ausländern, oftmals organisiert von der türkischen Botschaft. Dort hätte es die ein oder andere Möglichkeit gegeben, mit einem Vorlauf von 2-3 Tagen einen Flug anzutreten. Es fehlte uns jedoch jedes Mal die Absicherung, dass wir ab Istanbul auch tatsächlich weiterkommen. Weiterflüge waren nicht existent bis spärlich, und bei einem Aufenthalt in Istanbul über Nacht war unsere Einreise wegen der Pandemie und den Beschränkungen nicht geklärt. Das war uns dann doch zu heikel.
Entsprechend haben wir bis Ende Juni ausgeharrt und dann eine Ausreise über Almaty in Kasachstan organisiert. Da auch dieser Grenzübergang für den regulären Publikumsverkehr geschlossen war, ließ sich die Überquerung lediglich mit der tatkräftigen Unterstützung der Schweizer Botschaften in Kirgisistan und Kasachstan, einem negativen Covid-Test, viel Organisationsgeschick seitens meines Mannes und ganz viel Zuversicht organisieren.
Schlussendlich überquerten wir die Grenze zu Fuß, mit beiden Kindern und 6 Koffern in der staubigen Hitze und mit den Bergen des Tian-Shan im Hintergrund.
Wir haben es schlussendlich dank eines organisierten Transfers von der kasachischen Seite ins vier Stunden entfernte Almaty geschafft. Dort konnten wir dann am nächsten Morgen einen Flug mit Turkish Airlines besteigen, der zweite seit März, der stattfand. Als uns das Flugzeug tatsächlich auf dem Rollfeld entgegen rollte, kamen mir vor Erleichterung die Tränen. Diese Versetzung war sehr emotional und bietet wirklich unglaublich viel Gesprächsstoff. Die Gefühle kommen bei mir immer wieder hoch und der Umzug wird uns wohl stets in Erinnerung bleiben.
Neu in Skopje
e/m: Inzwischen lebt ihr in Skopje, in Nordmazedonien. Was war dein erster Eindruck? Kanntest du das Land?
Ich kannte Skopje bereits von einer Urlaubsreise 2017. Wir haben den Balkan viel und gerne bereist, da uns die Region so anspricht. Schon damals mochte ich Skopje sehr und nach vier Jahren im schönen und spannenden, gleichzeitig auch entlegenen Zentralasien denke ich oft: endlich wieder in EUROPA.
Nordmazedonien bietet für mich ein wenig „the best of both worlds“: immer noch ein klein wenig Exotik und doch viel näher dran an daheim. Was wahrscheinlich keiner weiß: hier gibt es sogar DM (den deutschen Drogeriemarkt) – eins meiner großen Highlights.
e/m: Wie war der Start für deine Familie? Hattet ihr die Möglichkeit, die Stadt und Umgebung zu erkunden?
Wir hatten einen wirklich positiven und erfreulichen Start.
Bei unserer Ankunft war die Corona-Lage vor Ort eher entspannt und da das Leben hier im Sommer sowieso meistens draußen stattfindet, konnten wir bereits erste Kontakte aufbauen und zarte Freundschaftsbande knüpfen.
Die Kinder haben in der Schule zunächst online gestartet, durften dann aber auf Präsenzunterricht umstellen, worüber alle sehr glücklich sind – zwar mit Maske und Abstand, aber sie sind schon zufrieden, dass sie nach dieser 6-monatigen Pause endlich wieder (neue) Freunde treffen durften. Für Erkundungen blieb im ganzen Umzugstreiben bloß wenig Zeit. Wir durften jedoch schon ein paar Tage am schönen Ohridsee verbringen, und ein paar Ausflüge in die unmittelbare Umgebung von Skopje waren auch drin.
e/m: Hast du vielleicht schon einen ersten Lieblingsort?
Im Moment ist mein Lieblingsort mein Home Office mit Blick über die Stadt.
Aufgrund der verschlimmerten hiesigen Lage und der kälteren Temperaturen hat sich unser Bewegungsradius nun doch wieder stark verkleinert. Wir möchten auf keinen Fall riskieren, dass unsere Schule für die Kinder wieder schließen muss, drum isolieren wir uns wieder stärker.
In Skopje mag ich besonders gerne den Alten Basar, das Stadtviertel auf der Ost-Seite des Flusses Vardar mit seinen vielen Gässchen, Händlern und kleinen Beizen.
Ca. 30 Minuten außerhalb von Skopje befindet sich der Matka-Canyon mit seiner für mich atemberaubenden Schönheit – dort kann man wandern, Kajaks mieten oder mit dem Boot in eine Höhle fahren. Diesen Ort mag ich sehr gerne!
e/m: Können die Kinder in die Schule gehen? Wie ist die aktuelle Situation bei euch?
Ja, die Kinder haben – wie bereits erwähnt – zunächst online gestartet. Mein 7-jähriger Sohn durfte dann nach 3 Wochen bereits wieder in die Schule, da unsere Schule bis zur 3. Klasse eine Genehmigung erhalten hat und wieder geöffnet wurde. Und meine 9-jährige Tochter freute sich dann nach den Herbstferien im Oktober wieder über den Präsenzunterricht.
Bisher konnte die Schule geöffnet bleiben und wir hatten keinen einzigen Covid-Fall oder Quarantäne-Notwendigkeit – toitoitoi. Nach den Winterferien startet die Schule nun erst einmal mit 2 Wochen Home-Schooling, damit die Weihnachtsheimkehrer sich zunächst noch 2 Wochen isolieren und zur Not auskurieren können, und das Ansteckungsrisiko gering bleibt.
Die Lage in Nordmazedonien bleibt angespannt. Die Anzahl der Neuansteckungen hat sich – wie im Rest Europas – auf einem hohen Niveau eingependelt, aber scheint seit Anfang Dezember ganz langsam zu sinken. Wie die Lage nun nach den ganzen Feiertagen und Festlichkeiten aussehen wird, werden wir wohl erst Mitte oder gar Ende Januar sehen, da hier Weihnachten erst am 07. Januar gefeiert wird.
e/m: Unter den erschwerten Bedingungen: Was gefällt deiner Familie bisher am Besten?
Meine Kinder können gar nicht recht verstehen, warum alle über das Jahr 2020 schimpfen: wir konnten umziehen, wir haben hier ein schönes Haus und einen netten Vermieter. Der wohnt direkt nebenan und wurde von Kindern bereits als Ersatzopa adoptiert, weil er sie in den Sommermonaten nach unserer Ankunft fleißig mit Eiscreme versorgt hat. Außerdem haben wir uns im September einen lange gehegten Wunsch erfüllt und einen kleinen Welpen in unsere Familie aufgenommen.
Es gefällt uns auch, dass es uns möglich war, mit dem Auto aus der Schweiz nach Nordmazedonien zu fahren und dass wir so nah dran sind, dass dies überhaupt möglich ist. Skopje als Stadt und die Menschen hier sind einfach liebenswert und wir freuen uns schon jetzt darauf, wenn sich hoffentlich die Situation ein wenig normalisiert und wir von den vielen schönen Restaurants, Parks und der Natur profitieren können.
e/m: Was vermisst ihr aus Kirgisistan?
Ich vermisse am meisten den Blick auf die imposanten und unglaublich hohen, immer schneebedeckten Berge, die man in Bischkek von jedem Winkel der Stadt vor Augen hat (wenn es denn die Luftverschmutzung zulässt).
Lustigerweise vermisse ich auch die Schule der Kinder, da ich die dortigen Lehrer sehr ins Herz geschlossen hatte. Beim Abholen kamen auch einige der Eltern oft noch am Rande des schönen Spielplatzes der Schule für einen Schwatz zusammen. Am meisten vermissen wir alle die Menschen, die wir dort liebgewonnen haben.
Die Kinder vermissen zudem unseren Lieblingsjapaner Furusato, wo man das beste Sushi in ganz Zentralasien genießen konnte und der unser unmittelbarer Nachbar war.
e/m: Wer oder was hat dir in den ersten Monaten bisher am meisten geholfen?
Die Menschen in Nordmazedonien sind unglaublich freundlich und hilfsbereit und greifen einem sofort – auch ungefragt – unter die Arme. So haben unser Vermieter, seine gesamte Familie und die Kollegen meines Mannes uns das Ankommen wirklich erleichtert.
e/m: Worauf freust du dich in den nächsten Wochen am Meisten?
Ich versuche mit Optimismus in die nächsten Wochen zu schauen – auch wenn es derzeit irgendwie schwerfällt. Gewisse Lichtblicke wie z.B. eine Urlaubsreise oder ein Heimatbesuch sind im Moment nicht geplant. Auch unsere reguläre Winteraktivität – das Skifahren – wäre zwar wahrscheinlich möglich in der Region; aber bei der momentanen hiesigen Auslastung der Krankenhäuser möchten wir auf keinen Fall einen Beinbruch riskieren.
Nichtsdestotrotz freue ich mich auf das Jahr 2021 und die positiven Entwicklungen, die es hoffentlich geben wird und auf die ich sehr neugierig bin. Nach dem anstrengenden 2020 kann es ja eigentlich nur aufwärtsgehen. Außerdem habe ich einige berufliche Projekte geplant und bin sehr motiviert, meine Leidenschaft im Bereich Mental Health/Psychologie vollends auszuleben.