Das Leben im Ausland schweißt Paare zusammen, weil man niemanden sonst hat. Das Leben im Ausland treibt Paare auseinander, weil man niemanden sonst hat. Beide Sätze können stimmen, auch wenn es im ersten Moment nach Widerspruch klingt. Das Expatleben bedeutet emotionale Belastung: man ist vor allem am Anfang mangels anderer Kontakte sehr aufeinander angewiesen und gleichzeitig erlebt man das neue Land und den neuen Alltag sehr unterschiedlich. Ich habe hier auf dem Blog davon erzählt, wie ich dieses Dilemma selbst erlebt habe. Und vor ein paar Wochen trat das Thema auch wieder in unserer Facebook-Gruppe zu Tage. Eine der Expatmamas dort schrieb mir: „Mir brennt das Thema so unter den Nägeln, ich habe das selbst erlebt, wie der erste Auslandsaufenthalt unserer Ehe zugesetzt hat. Und wie es nun bei der zweiten Entsendung besser geht.“ Und ich freue mich sehr, dass ich sie für ein Interview hier auf dem Blog gewinnen konnte.
„Wir wären fast gescheitert an der Belastung“
e/m: Liebe Lilli, ihr seid schon das zweite Mal im Ausland. Wo lebt ihr und seit wann?
Lilli: Wir wohnen seit Juni in Mason/ Ohio.
e/m: Habt ihr euch gut eingelebt?
Lilli: Ich würde sagen ja. Den Kindern gefällt es sehr gut in Kindergarten und Pre-School, sie sprechen immer besser Englisch, wir haben Freunde und alles, was wir für die nächsten drei Jahre brauchen.
e/m: Bei eurem ersten Auslandsaufenthalt ward ihr in Italien. Inwiefern war die Zeit dort anders als jetzt? Was ist vergleichbar?
Lilli: Vergleichbar ist, dass wir im Ausland sind und ich grundsätzlich neuen Situationen aufgeschlossen gegenüber bin. Ansonsten ist fast alles anders. In Italien hatten wir ein Baby, das miserabel schlief und viel schrie. Jetzt haben wir drei Kinder, die nicht super, aber doch schon viel besser schlafen. Insgesamt sind wir als Familie besser eingespielt. Als Paar kennen wir uns gegenseitig jetzt viel besser gerade auch in Stresssituationen. Wir können uns besser gegenseitig den Rückzugsraum zugestehen, den der Andere braucht. Wir sind einfach ein besseres Team geworden.
e/m: Wie haben sich die Alltagsbelastungen damals in Italien mit Baby und fernab der Heimat auf eure Ehe ausgewirkt?
Lilli: Es hat die gesamte Situation zusätzlich stark erschwert. Dazu muss ich sagen, dass unsere Große als Baby in der Nacht sehr oft beruhigt werden musste. In guten Nächten wurde ich nur 8 mal geweckt, in schlechten 18 mal. Ich war jenseits von allen Grenzen, an denen man sein kann. Mein Mann kam gestresst von der Arbeit nach Hause, die erste Führungsfunktion und dann im Ausland und er traf abends auf eine Frau in völlig desolatem Zustand.
Keiner von uns hatte auch nur ein Fünkchen Kapazität übrig, um den anderen aufzufangen.
e/m: Wie seid ihr damit umgegangen? Was hat dir/euch geholfen?
Lilli: Glücklicherweise lebten wir „nur“ in Italien. Wenn es überhaupt nicht mehr ging, habe ich mir ein Flugticket gebucht und bin mit Baby zu meinen Eltern geflogen, um mich mal auszuschlafen. Wir selbst haben die Situation damals auch gar nicht so richtig durchblickt. Wir haben irgendwie versucht, die Situation so gut es ging hinzukriegen. Schön war es, in Italien Freundinnen zu haben, die mir einfach mal die Kleine abgenommen haben. Etwas besser wurde es, als wir eine Babysitterin gefunden hatten, so dass ich regelmäßig Freiräume hatte.
e/m: Hat diese Erfahrung Einfluss gehabt auf eure Entscheidung, noch einmal ins Ausland zu gehen? Seid ihr die zweite Entsendung anders angegangen?
Lilli: So richtig Lust hatten wir auf eine zweite Entsendung zunächst nicht. Ich bin auch nicht halb so euphorisch da hineingestolpert. Beim ersten Mal habe ich mich richtig gefreut, mir ausgemalt, was wir in Italien als Familie alles unternehmen würden (haben wir kaum, wir waren beide immer zu müde, um überhaupt irgendwas zu machen) oder wie wir abends toll draußen sitzen und Wein trinken würden (konnten wir nicht, wir wohnten im Reisanbaugebiet, wir wären von den Mücken aufgefressen worden). Dieses Mal waren wir zurückhaltender und haben lange überlegt, ob wir einen weiteren Auslandsaufenthalt uns und unseren Kindern zumuten können und wollen. Mir war klar, dass der Auslandsaufenthalt kein längerer Urlaub ist, sondern dass ich im Ausland ganz entscheidende Aufgaben habe: komplett die Familie zu versorgen, Taxi spielen, Werkstatttermine absolvieren, Freizeitgestaltung komplett übernehmen, etc. In Deutschland ergibt sich vieles von selbst, im Ausland muss erst alles neu sortiert, geplant, recherchiert und vorbereitet werden.
„Wir müssen einander teilhaben lassen“
e/m: Worin siehst du die größten Herausforderungen bei eurer jetzigen Entsendung für euch als Familie und für euch als Paar?
Lilli: Die stark getrennten Tage sehe ich als große Herausforderung.
Es besteht eine sehr große Diskrepanz zwischen dem, was mein Mann erlebt und dem, was ich erlebe.
In Italien war das so stark, dass wir sogar ein ganz unterschiedliches Vokabular hatten. Ich kannte alle Spielplatz- und Kinderarztbesuchsvokabeln und mein Mann schrieb die Geschäftsmails. In Deutschland, mit dem sozialen Netzwerk, fühlt es sich für mich nicht so an, als wäre ich auf das Haus reduziert, obwohl ich da ja auch mit unseren kleinen Kindern Zuhause war. Im Ausland bin ich Haus-Frau. Da gibt es zunächst nichts, wo ich mich außerhalb engagieren kann. Das ist nicht so einfach auszuhalten, wenn man auch außerhalb des Hauses nach Bedeutung sucht. Immer wieder zu einer inneren Zufriedenheit zu finden, das ist für mich ein wichtiger Punkt, der Auswirkungen auf die gesamte Familie hat, denn von meiner Zufriedenheit und Ausgeglichenheit ist der Familienfrieden abhängig.
Die Herausforderung besteht auch darin, diese unterschiedlichen Alltage immer wieder zueinander zu bringen, indem wir uns gegenseitig mehr teilhaben lassen. Das ist uns diesmal wichtig, dass wir unsere unterschiedlichen Alltage mehr gemeinsam erleben.
e/m: Wie setzt du das um?
Lilli: An meiner inneren Zufriedenheit kann ich ja arbeiten. Ich unternehme sehr viel mit den Kindern und mache dabei, was mir Spaß macht. Ich habe mir möglichst schnell Babysitter gesucht, damit ich Zeit habe zum Schreiben oder zum Nähen. Ich gehe, wenn der Babysitter da ist, auch einfach mal alleine irgendwohin zum Kaffee trinken oder schlendere einen ganzen Nachmittag durch meinen Lieblingsstoffladen. Ich sorge besser für mich und meine innere Ausgeglichenheit. Ich denke, ich bin unabhängiger geworden.
Während des Tages schicke ich meinem Mann immer wieder Bilder und kleine Videos, damit er direkt dabei sein kann.
Dann kann er abends und an den Wochenenden besser in unseren Alltag einsteigen. Ich „vergeude“ zudem nicht wertvolle Zeit mit dem Erzählen von irgendwelchen Erlebnissen, die eigentlich nicht so wichtig sind, durch die Fotos ist er ja schon im Bilde. So haben wir die Zeit, die zur Verfügung steht, für das, was uns wichtig ist: uns mitzuteilen, wie es uns bei alledem wirklich geht.
Er erzählt mir von schwierigen Entscheidungen, die zu treffen sind, vieles reflektieren wir gemeinsam. Wir versuchen mehr, uns in den Anderen hineinzuversetzen und was immer wir auch machen, unterstellen wir dem Anderen gute Absichten.
e/m: Welche Schwierigkeiten in eurer Ehe sind bzw. waren auf die Entsendung zurückzuführen, welche wären vielleicht auch ohne Ausland zu Tage getreten?
Lilli: Aufgetreten wären die Schwierigkeiten alle wohl auch ohne Entsendung, aber wahrscheinlich anders. Es sind ja alles Schwierigkeiten, die mit unserem Umgang miteinander unter Stress zu tun haben. Durch das Ausland wurden sie aber verstärkt, da das Ausmaß an Stress auf allen Ebenen hochgefahren wurde und die gewohnten Kompensationsmöglichkeiten weggefallen sind.
e/m: Es gibt Unternehmen, die Statistiken führen, wie viele Ehen ihrer Mitarbeiter während der Entsendung scheitern. Glaubst du, dass entsendende Unternehmen Unterstützung leisten könnten, damit mehr Beziehungen die Expat-Jahre überleben? Wenn ja, inwiefern?
Lilli: Ganz klares Ja. Die Unternehmen können einiges machen: In vorbereitenden Coachings können mögliche Problempunkte für die Beziehung benannt werden und Hilfen bereits vor der Ausreise angesprochen werden. Zudem plädiere ich sehr stark dafür, Persönlichkeitsentwicklung in Führungskräfte-Fortbildungen einzubauen. Mehr Verantwortung bedeutet mehr Stress. Die aufstrebenden Mitarbeiter müssen lernen, mit dem erhöhten Stress umzugehen. Die Unternehmen sind nicht für die Ehen verantwortlich, wohl aber dafür, ihren Mitarbeitern sinnvolle Hilfen im Umgang mit dem Stress anzubieten, der durch die Arbeit entsteht.
Außerdem müssten die Unternehmen Reflexionsmöglichkeiten schaffen. Im Unternehmen sind die Beziehungen immer auch durch Unternehmenspolitik geprägt. Da bleibt zur Reflexion häufig „nur“ die eigene Ehefrau. Die ist aber, wie mein Mann so schön sagt, immer tendenziös und interessengeleitet. Selbst wenn ich versuche, möglichst neutral zu bleiben, ist mein Interesse natürlich nicht das Interesse der Firma, nicht mal unbedingt das meines Mannes. Ich trete ja für mich selbst ein oder für meine Kinder. Reflektiert werden müssten nicht nur schwierige Situationen im Unternehmen, sondern bei Karrieresprüngen gerade auch die eigene Rolle.
Es ist zudem nicht einfach, mit einem höheren Maß an Macht umzugehen. Man könnte es auch freundlicher „Gestaltungsspielraum“ nennen. Es macht etwas mit einem Menschen, wenn der Gestaltungsspielraum größer wird und damit muss man umgehen können. Für einen sinnvollen Aufbau von Führungskräftenachwuchs gehört auch dieses Thema definitiv in den Fortbildungskatalog.
Die Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter darin unterstützen, in allen Karriereschritten auch sinnvolle Wege im Umgang mit sich selbst zu finden, mit erhöhtem Stress gut umzugehen und die eigene Rolle zu reflektieren. Das alles würde zunächst die Aufmerksamkeit des Mitarbeiters für den Job sichern, in zweiter Linie aber auch der Ehe dienen. Zumindest aber würde es die Ehe entlasten, wenn diese Themen nicht nur zuhause besprochen werden, sondern dort, wo sie entstehen: bei der Arbeit.
Ein Blog über Expat-Ehen
e/m: Du hast ganz frisch einen eigenen Blog gestartet zum Thema „Expat-Ehe“. An wen richtet sich der Blog? (Möchtest du beide Ehepartner ansprechen oder vor allem die begleitenden Frauen?)
Lilli: Der Blog wird vor allem meine Sicht spiegeln. Vielleicht bekomme ich meinen Mann auch mal dazu, etwas zu schreiben, aber ehrlich gesagt, bevor er sich am Wochenende hinsetzt und einen Blog-Artikel schreibt, gehe ich lieber mit ihm und den Kindern in den Zoo. Ansprechen möchte ich jedoch schon gerne beide Partner, zumindest ist das mein Anspruch.
e/m: Was möchtest du deinen Lesern bieten? Was ist deine Motivation?
Lilli: Ich suche nach allem, was der Ehe gut tut. Das möchte ich gerne weitergeben. Dazu gehören Buchtipps, Rechercheergebnisse und natürlich auch eigene Erfahrungen. Ich finde es unglaublich spannend, zu hören, und zu lesen, was andere Paare erlebt haben. Auch das wird seinen Platz in meinem Blog finden.
e/m: Ich wünsche Dir viel Erfolg mit deinem Blog und danke dir sehr für das offene Gespräch.
Lilli: Vielen Dank!
Lilli und ich freuen uns, wenn ihr uns von euren Erfahrungen berichten wollt – gerne in den Kommentaren oder auch per Mail an blog@expatmamas.de