Interview: Zurück aus ...

Zurück aus … Atlanta

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„Zurück auf Los“ – so drückt es Tina aus nach zwei Jahren in den USA und 10 Jahren in der Schweiz. Im Sommer zog sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter (6) nach Backnang in Baden-Württemberg. Wie sie diese „Rückkehr“ nach Deutschland erlebt, erzählt sie heute in meiner Interview-Reihe „Zurück aus …“. Genau wie Johanna, die hier letzte Woche über ihre ersten Erfahrungen nach drei Jahren in Seoul gesprochen hat, vermisst sie vor allem eines: Freundlichkeit.

e/m: War der Umzug nach Deutschland ein Neuanfang für Euch oder mehr eine Rückkehr in ein bereits bekanntes Leben?
Tina: Für uns war es ein kompletter Neuanfang an neuem Ort. Zurück auf Los, neue Gegend, neues Haus, dazu Schulbeginn und neue Kontakte suchen. Familie und Freunde sind deutlich näher als früher, aber nicht um die Ecke.
Die Abteilung meines Mannes war das Einzige, was schon bekannt war, der Job hat sich auf dem Papier nicht verändert, sein Aufgabenspektrum schon.

e/m: Warum seid ihr zurückgekommen?
Tina: Der Aufenthalt war von vornherein auf 2 Jahre festgelegt, als Abenteuer sozusagen und wir konnten Zeitpunkte selbst bestimmen. Das Projekt meines Mannes in USA ging planmäßig dem Ende zu. Unser Ziel war, zum Schulbeginn unserer Tochter wieder zurück in Deutschland zu sein. Daran haben wir letztendlich festgehalten, da es für sie mit 6 Jahren endlich feste Freundschaften und Strukturen braucht, wobei es immer super lief bei ihr bzgl. Umzug und Sprache. Wir hatten auch Optionen, in den USA zu bleiben, oder zurück in die Schweiz zu gehen. Aber wir haben uns bewusst für Deutschland entschieden. Nach 12 tollen Jahren Ausland wollten wir wieder im Land unserer Staatbürgerschaft leben, nicht von Wahlen oder Visa abhängig sein, die Gewissheit eines soziales Netzes haben, die Möglichkeit, sesshaft zu werden und eine Heimat zu finden.

e/m: Was gefällt dir an der deutschen Lebensart?
Tina: Draußen sein, Fahrrad fahren, auf der Straße spielen können, alleine zur Schule laufen, spazieren gehen können hinterm Haus, ohne ins Auto zu steigen und in den Park fahren zu müssen, öffentliche Verkehrsmittel;
Feste (Stadt-, Land-, Dorf-, Volks-, Weihnachtsmärkte, etc.), Biergärten (auch wenn es gefühlt viel zu wenig Zeit gibt, hinzugehen);
Sonntags kein Rasenmähen und Laubblasen, auch wenn mir der Tag zum Einkaufen etwas fehlt;
Deutsche Küche mit Hausgemachtem, oft vermisste Brot und Wurstwaren;
Pünktlichkeit und Verlässlichkeit, ungefähre Termineinhaltung (scheint nicht mehr ganz zu sein, wie es mal war);
Vertrauen haben können in Behörden und Gesetze, soziale Absicherung und öffentliche Sicherheit;
Ehrlichkeit und direkte Kommunikation.

e/m: Woran wirst du dich vielleicht nie (wieder) gewöhnen?
Tina: Das deutsche Wetter, es ist gefühlt immer zu kalt (und ich habe extreme Wetterlagen wie Hurricanes, Tornados, Sturzregen und Schneefrei wegen 2cm schon verdrängt);
Die Engstirnigkeit der Leute, Muffeltum und an allen rummeckern müssen, mangelnde Flexibilität, fehlende Weltoffenheit und Prinzipiendenken;
Das deutsche Maximum an Freundlichkeit in Supermärkten, Behörden, Werkstätten oder die Kundenorientierung generell (wir hatten es verdrängt, wie wenig es sein kann);
Die erfolglose Suche nach verkaufsoffenen Sonntagen oder die Öffnungszeiten eines Wertstoffhofes;
Mamis, die immer schon verplant sind, wenn du spontan, was unternehmen willst (mit oder ohne Kind);
Dass alles immer so „schwierig“ ist, und keiner einfach sagt, komm wir machen’s!
Dass es gefühlt ewig dauert, bis man neue Freunde findet, seinen Platz im neuen Umfeld findet, gebraucht wird und dazugehört;
Feste Blitzer, und das Verrenken an der Ampel (in USA gegenüber der Kreuzung);
Behördentum und Spitzfindigkeit

e/m: Wie hat sich deine Familie wieder eingelebt?
Tina: Im Grunde fühlen wir uns sehr wohl und sind uns einig, dass wir es richtig gemacht haben. Der Start war sehr herzlich und freundlich, mit Nachbarn und Vermietern haben wir es super getroffen. Schönes Dorf nahe schönem Städtchen, Haus und Umfeld super, wie gewünscht, die Welt noch in Ordnung. Glück gehabt. Wenn mal Zeit zum Genießen ist, was selten vorkommt, tun wir’s.
Es ist halt wieder alles neu aufzubauen, kennen wir, lieben wir aber nicht. Nach 5 Monaten ist jetzt Ernüchterung und Stillstand, man sieht sich immer noch nicht bereichert an unzähligen Sozialkontakten, hat es noch nicht geschafft, einem Verein beizuwohnen oder mit alten Arbeitskollegen was auszumachen. Wird alles kommen, wir glauben fest daran. Irgendwann.
Mein Mann hat die alte Abteilung wieder, mit allen Höhen und Tiefen, arbeitet länger als er sich das eigentlich vorgestellt hat, und kämpft damit, dass er zu Bürozeiten zum Friseur, Bank oder Amt muss.
Unsere Tochter hatte solche Sehnsucht nach der Schule und Sozialkontakten (in USA war sie schon ab 5 in der Schule), nach den gefühlt ewigen Sommerferien von Mai bis September blüht sie in der ersten Klasse nun richtig auf. Sie hat Freundinnen und Aktivitäten gefunden. Sie kämpft etwas mit der Tatsache, in existierende Cliquen reinzukommen und dazuzugehören, aber es wird schon. Kulturschock für sie: nur 5 Schulstunden statt bis 15h, Freundinnen brauchen länger für Hausaufgaben und müssen früher ins Bett als sie…für sie unverständlich, auch für mich. Ihr Deutsch wird fester und verbessert sich täglich, Englisch wird passiver mangels Anwendung.
Generell wollen wir uns nicht beschweren, klagen etwas auf hohem Niveau (wir sind ja Deutsche!), trauern ein bisschen den schönen Dingen und Erfahrungen nach und hoffen, dass sich irgendwann ein Heimat- und Zugehörigkeitsgefühl einstellt.

Was vermisst du am Meisten?
Tina: Die Freundlichkeit der Menschen und Hilfsbereitschaft, „Think positive“-Mentalität der Amerikaner, Weltoffenheit und Globales Denken;
So genommen werden wie du bist, chaotisch sein zu dürfen oder durchgeplant, egal nach Laune;
Kinderfreundliche Restaurants und Einrichtungen generell, öffentliche WCs überall;
Immer noch das Wetter, Pool und Tennisplätze in der Nachbarschaft, Ladenöffnungszeiten, Auswahl an Einkaufsmöglichkeiten, für jedes Ding einen extra Shop (hat mich drüben eher genervt, wegen der ewigen Wege, aber wenn man es nicht hat fehlt was);
Ordentliche Steaks, Wasser ohne Kalk und Klimaanlagen, die den Staub filtern;

Und natürlich vermisse ich meine Freunde im Ausland.

e/m: Wie geht es dir jetzt? Welche Pläne hast du für deine Zukunft?
Tina: Das Projekt Umzug ist soweit abgeschlossen, auch wenn noch viel ausgemistet werden sollte. Der Alltag hat mich wieder. Im Moment bin ich noch in der Durchschnaufphase, etwas gelangweilt von Haushalt und Vollzeit-Mami sein, allerdings noch nicht bereit, an einen beruflichen Wiedereinstieg zu denken. Wenn es darum geht, fühl ich mich plötzlich wieder voll ausgelastet und mit den kurzen Schulzeiten und Betreuungsmöglichkeiten (Hort-Wartelisten, aber nur für berufstätige Mütter! Henne-Ei-Problem) vor eine Wand gestellt.
Meine Ziele stehen irgendwo in den Sternen, das in Worte zu fassen bzw. in eine Bewerbung, schiebe ich vor mir her.
Kontakte knüpfen außerhalb von Schulmamis, ist das nächste Projekt was jetzt ansteht.
Geht mir alles zu zäh und nicht schnell genug, aber muss mich schon wieder dran gewöhnen, selbst ist die Frau und von nix kommt nix. Ich wünsch mir jetzt auch ein magisches Einhorn…so.

e/m: Würdest du etwas anders machen, wenn du die Uhr zu einem Zeitpunkt vor dem Umzug zurückdrehen könntest?
Tina: Eigentlich nicht, gibt immer was, was man optimieren könnte… Vielleicht würde ich den Möbelpackern noch besser auf die Finger schauen, dass sie sortenrein packen, ein Schrank in eine Kiste, nicht MISCHEN! Und von uns gepackte Kisten NICHT aus- und wieder neu zusammenpacken!
Aber am Ende wird alles gut, wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende!

e/m: Vielen Dank, liebe Tina, dass du dir die Zeit genommen hast! Ich wünsche dir, dass ihr euch bald besser eingebunden fühlt und du wieder an deinen Zielen arbeiten kannst.

Und du? Bist du auch gerade wieder nach Deutschland zurückgekommen und hast Lust, deine Erfahrungen auf dem Blog zu teilen? Dann schreibe mir an blog@expatmamas.de. Ich freue mich, von dir zu lesen.

Mehr zum Thema Rückkehr nach Deutschland findest du hier: Expatmamas-Wissen: R – Rückkehr und Reverse Culture Shock

2 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Julia sagt:

    Hi,
    Wir wohnen seit 11 Jahren in den USA (3 Jahre Kalifornien und seit 8 Jahren in Austin,Texas).Mein Mann ist Amerikaner, und wir haben zwei Kinder (5&10).
    Wir wollen jetzt nächsten Sommer zurück nach Deutschland.Es ist unser beider Wunsch,aber ich habe auch riesen Respekt und es etwas Muffensausen haha.
    Haben hier win tollen Leben,großes Haus,Pool und super Wetter meistens.
    In Deutschland sind wir immer nur zum Urlaub gewesen.Irgendwelche Tipps??

    1. Jonna sagt:

      Das Wichtigste ist vielleicht, es nicht als Rückkehr sondern als Auslandserfahrung anzugehen. Denn für die Kinder ist es das auf alle Fälle.

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