Interview: Zurück aus ...

Zurück aus … Singapur

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Nach zweieinhalb Jahren in Singapur ist Nadine im Sommer mit ihrem Mann und Sohn wieder nach München zurückgekehrt – allerdings nicht auf direktem Weg. Von ihrer Rück-Reise (im wahrsten Sinne des Wortes) und ihrem Ankommen in Deutschland erzählt sie heute im Interview.

Rückkehr als Weltreise

e/m: Liebe Nadine, ihr seid im Sommer aus Singapur zurückgekehrt, wie geht es euch im Moment?

Vielen Dank für die Einladung, bei Deiner Interview-Reihe mitzumachen!

Uns geht es ganz wunderbar, wir genießen die herbstlich-winterliche Jahreszeit in München und die Nähe zu den Alpen, das haben wir in den vergangenen drei Jahren vermisst. 

e/m: Eigentlich hattet ihr für eure Rückreise einen besonderen Plan…

Ja, von Februar bis Juli 2020 sollte es auf dem Landweg von Singapur zurück nach München gehen allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln – über Malaysia, Thailand und Laos durch ganz China, vom Süden über Zentralchina bis an die westliche Grenze.

Ursprünglich wollten wir dann den Spuren Marco Polos auf der Seidenstraße folgen und Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan und Turkmenistan durchqueren. Per Bus und Zug wollten wir durch den Iran und die Türkei fahren und in Istanbul zum ersten Mal wieder europäischen Boden betreten, von wo wir der alten Eisenbahnlinie des Orient-Express’ über Budapest und Wien bis nach Deutschland folgen wollten…

Seit vielen Jahren, eigentlich seit der Geburt unseres Sohnes, hatten wir uns vorgenommen, vor seiner Einschulung eine längere Familien-Auszeit zu nehmen und zusammen eine Weltreise zu machen. Der Zeitpunkt zwischen Singapur und München war ideal, um unsere sechs Monate lange Reise genau dazwischen zu legen.

e/m: Was ist daraus geworden?

Auch uns kam die COVID-19 Pandemie in die Quere. Wir waren uns immer bewusst, dass wir flexibel bleiben müssen: Von China aus konnten wir nicht über Land weiter, da alle Landesgrenzen langfristig geschlossen wurden – das Gleiche galt auch für viele weitere Länder auf der Strecke. Daher haben wir einfach viele Monate in China verbracht und sind von Xi’an aus nicht nach Westen, sondern nach Osten abgebogen mit dem Ziel Shanghai. Von Shanghai aus ging es per Direktflug zurück nach Deutschland.

Nachdem sich die COVID-Situation gebessert hatte, haben wir noch den letzten Teil der ursprünglich geplanten Route “rückwärts” bereist – von Deutschland aus durch Österreich, die Slowakei und Ungarn. Und dann waren es plötzlich August und unsere Reisezeit vorbei!

e/m: Was war die eindrücklichste Erfahrung in dieser Zeit zwischen den Welten?

Vieles war wegen Corona anders als im Vorfeld geplant. Trotzdem – oder gerade deswegen? – sind wir stolz und glücklich, uns diese Auszeit genommen zu haben. Viele Reiseziele scheinen nun unerreichbar zu sein; wir durften sie aber besuchen und hatten das Glück, Südostasien und vor allem China so zu bereisen, wie es wohl in naher Zukunft erst einmal nicht mehr möglich sein wird. 

Zu erleben, wie schön Europa im Sommer ist und wie problemlos das Reisen auch ohne Auto funktioniert, hat uns sehr darin bestärkt, dass wir auch ohne Flugreisen in den kommenden Jahren genug Urlaubsziele finden. „Zum Glück“ haben wir Europa bislang kaum erkundet!

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Ankommen

e/m: War es nach den sechs Monaten unterwegs schwierig, wieder anzukommen?

Überhaupt nicht. Wer einmal in seinem Leben als langzeitreisender Backpacker unterwegs war, weiß vielleicht, dass Reisen – im Gegensatz zu Urlaub – nichts mit Erholung und Relaxen zu tun hat. Es ist inspirierend, spannend, manchmal abenteuerlich, manchmal mühsam, und auf Dauer auch anstrengend. 

Insgesamt waren wir 162 Tage unterwegs, haben aus dem Koffer (oder besser gesagt: dem Rucksack) gelebt und hatten kein Zuhause. Ohne Wohnsitz zu sein, verleiht ein besonderes Gefühl der Freiheit.

Neun Länder haben wir bereist, in 36 verschiedenen Betten geschlafen, und sind insgesamt mehr als 10.000 Kilometer auf dem Landweg gereist.

Wir sind als Familie enger zusammengewachsen, haben wir doch fünfeinhalb Monate Tag und Nacht miteinander verbracht. Am Ende sehnte Titus sich unmissverständlich nach anderen Bezugspersonen (vor allem den Großeltern) und anderen Kindern. Immer wieder hatten wir auch mit der Sehnsucht nach Singapur, den Lieben dort und der gewohnten Umgebung zu kämpfen.

Irgendwann bricht sich der Wunsch Bahn, wieder ein eigenes Zuhause zu haben. Alltagsroutinen werden verklärt und herbei gesehnt, und ich wünschte mir, endlich meine Kleidung wieder aus den Packbeuteln auspacken und dauerhaft in einem Schrank verstauen zu dürfen. Auch das Gefühl, einen Hausschlüssel sein Eigen nennen zu dürfen, fühlte sich erstaunlich verlockend an.

e/m: Was gefällt dir an eurem neuen, deutschen Leben am Besten?

München ist einfach eine sehr lebenswerte Stadt! Und wir wohnten und wohnen in einer der schönsten Ecken, umgeben von vielen lieben Menschen. 

Ehrlich gesagt, fühlen wir uns auch mit dem neuen Arbeitsalltag, der geprägt vom Home Office ist, sehr wohl. Alle früheren Streitthemen, die vor allem aus der ungerechten Verteilung der Care- und Haushaltsarbeit entstanden sind, sind praktisch nichtig. Durch die Flexibilität und die Tatsache, dass mein Mann nun auch jeden Tag zuhause ist und erlebt, was alles an Aufgaben anfällt, fällt es uns viel leichter, gemeinsam anzupacken. Uns tun die gemeinsamen Mittagessen und Kaffeepausen tagsüber sehr gut.

Unser Sohn geht glücklich in die 1. Klasse einer internationalen, bilingualen Grundschule und hat sich dort vom ersten Tag an wohlgefühlt. Er hat zwar einen relativ weiten Schulweg, dafür kann er weiterhin Englisch sprechen und kennt das IB Programme bereits aus seinem Singapurer Kindergarten.

Ich genieße vor allem, wie sehr das Leben hier draußen stattfindet. Das mag komisch klingen, aber im heißen, feuchten, tropischen Singapur waren viele Spielplätze drinnen in klimatisierten Gebäuden, Fahrradfahren mit Kindern war wegen des Verkehrs fast unmöglich in der City und wer keinen Kreislaufkollaps riskieren wollte, joggte draußen nur vor 9 Uhr morgens.

In München schwingen wir uns auf das Fahrrad, um zur Schule und zum Einkaufen zu radeln, wir gehen täglich spazieren und joggen, und sind jedes Wochenende in den Alpen zum Wandern. Das habe ich im Rückblick extrem vermisst: Herbst ist schön!

Mein persönliches Highlight ist natürlich, dass ich meinen Mann bei unserer Rückkehr endlich überreden konnte, mir einen Herzenswunsch zu erfüllen. Seit Ende August sind wir stolze Besitzer einer griechischen Straßenhündin namens Olivia.

Eingewöhnen

e/m: Woran wirst du dich vielleicht nie (wieder) gewöhnen?

Kälte! Ich haderte immer schon mit den kalten, dunklen Monaten von November bis Februar. Wie sehr ich die Dauerwärme Südostasiens vermisse! Und die geradezu unwirklich anmutende Sauberkeit der öffentlichen Toiletten. 

Kulturell kann ich mich wohl nie mehr an die Abschätzigkeit gewöhnen, mit der viele Deutsche China betrachten. Seit wir so viele Monate dort verbringen durften, in denen wir von der Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und dem Organisations-Perfektionismus der Einheimischen schier überwältigt wurden, blicke ich mit Sorge auf das Bild, das man in Deutschland von China hat. 

e/m: Was vermisst du am Meisten aus eurer Zeit in Singapur?

Außer den Freunden und Bekannten: Singapurs perfekte Organisation, die „Melting-Pot“-Mentalität, die Toleranz, die Disziplin der Bewohner beim Anstehen und der gelebte digitale Fortschritt fehlen uns sehr. 

Um die in Deutschland so häufig anzutreffenden „typisch asiatischen“ Speisen mache ich einen großen Bogen und sehne mich nach der unübertroffenen kulinarischen Diversität Singapurs. Und nach meinem internationalen Kochclub und Chor!

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Neue Perspektiven

e/m: Du hast in Singapur eine Zeitschrift herausgegeben und ein Buch* geschrieben, was tust du im Moment?

Vornehmlich arbeite ich (weiterhin) freiberuflich im Musikmanagement, bin allerdings aktuell auf der Suche nach einer zusätzlichen festen Stelle. Leider liegt „meine“ Branche, Konzertveranstaltung und Theater, aktuell am Boden und der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig.

Karrieretechnisch liegt unsere Rückkehr nach Deutschland also zeitlich äußerst schlecht für mich.

Mein zweites Steckenpferd, Reiseorganisation, kann ich noch ein bisschen ausleben. Bei unserer großen Familienreise habe ich nämlich in Shanghai Carina (eine echte Expatmama mit drei Kindern) kennengelernt – Instagram sei Dank! Sie hat mir von ihrem Plan erzählt, mit ihrem Bekannten Peter ein Online-Reisemagazin für Familien zu launchen. Daran beteilige ich mich seitdem als redaktionelle Leitung, und seit Dezember 2020 sind wir tatsächlich online mit dem Family Travel Journal.

Langweilig wird mir also nicht, es gib wieder so viel Neues in meiner alten und neuen Heimatstadt zu entdecken, und sämtliche Freund- und Bekanntschaften wollen wiederbelebt und gepflegt werden! 

Lessons learned

e/m: Würdest du rückblickend irgendeinen Aspekt der Entsendung anders angehen?

Nicht so kurzfristig ausreisen – wir mussten innerhalb von nicht einmal zwei Monaten in München alles auflösen und den Umzug antreten. Den Großteil davon hatte ich, bis zum letzten Tag praktisch Vollzeit arbeitend, alleine mit dem dreijährigen Sohnemann im Schlepptau bestritten, da mein Mann zeitweise bereits in Singapur zur Einarbeitung war. Geschlafen hatte ich kaum noch, und die emotionale Verarbeitung kam erst Wochen später. 

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Außerdem hätte ich mir eine Form von Unterstützung hinsichtlich meiner beruflichen Perspektive durch das entsendende Unternehmen gewünscht. Leider hat der Arbeitgeber meines Mannes uns außer den praktischen Handreichungen wie Spedition, Makler zur Wohnungssuche und Steuerfachfirma keinerlei Entsendungs-Coaching gegeben.

e/m: Welche Erfahrung, die du im Ausland gemacht hast, hat dich überrascht?

Dass am Ende die Resilienz der mitreisenden Partner (also meistens der Frauen) über den Erfolg einer Entsendung entscheidet – und wie wenig das bei den entsendenden Unternehmen und der Gesellschaft gesehen wird. Dein Post „Was mich als Expat-Partnerin ganz schnell auf die Palme bringt“ hat es genau auf den Punkt gebracht!

Außerdem war mir vorher nicht bewusst, welche Sorgen sich vor allem Mütter machen, wenn es darum geht, mit einem (Klein-)Kind alleine zu verreisen. Ich bin praktisch jeden Monat mit meinem Sohn in ein anderes asiatisches Land geflogen, denn ich wollte den Kontinent so gut wie möglich kennenlernen – und ein Kindergartenkind ist ein toller Reisebegleiter!

Überrascht hat mich auch, wie sehr ich doch „deutsch“ geprägt bin, auch wenn ich das vorher nie zugegeben hätte. In Singapur ist es z.B. ganz normal, dass Säuglinge bereits ganztags in Einrichtungen betreut werden, da beide Eltern Vollzeit arbeiten. Kinder ab drei Jahren gehen von 8-18 Uhr in Kindergärten, die einem genauen Lehrplan folgen, inklusive Zeugnis und Lehrerwechsel in den verschiedenen Fächern. Abends und am Wochenende stehen dann Tennis-, Klavier-, Ballett- und Englisch-Vertiefungsstunden an.

Was mir anfangs sehr suspekt vorkam – „Wann sollen die armen Kinder denn dann spielen?“ – wurde mir von einer Singapurer Freundin schnell nahegebracht: Kinder wollen ja lernen, und so lange der Unterricht gut gemacht ist (und das ist er!) und Spaß macht, ist doch alles in Ordnung. Darüber musste ich eine Weile nachdenken.

e/m: Hast du einen Tipp für Rückkehrer?

Ich kann nur von mir sprechen: Es war eine unglaublich gute Entscheidung, unser Leben in Singapur nicht damit zu beenden, in ein Flugzeug zu steigen und 12 Stunden später wieder in Deutschland zu sein. Das wäre mir viel zu schnell gegangen.

Der Abschiedsschmerz von Singapur wurde durch die Vorfreude auf unsere große Reise gemildert. Und die Traurigkeit über das Ende unserer Reise wurde wiederum durch die Vorfreude auf München abgefangen. Es war also ein Abschied auf Raten – und damit viel leichter erträglich als so ein plötzlicher Kulturschock.

e/m: Vielen Dank Nadine, dass du dir die Zeit genommen hast! Ich wünsche dir eine schöne Vorweihnachtszeit und viel Erfolg bei deinen Plänen!
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