Expat-Leben

Expat-Leben und Corona-Krise

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Ich lese gerade manchmal, Expats wären für Quarantäne & Co besser gerüstet als Otto Normalverbraucher. Das Leben im Ausland beginne immer mit Einschränkungen und sozialer Isolation. Diese Erfahrung mache Expats flexibler und langmütiger. Ist das so? Können Expats tatsächlich besser mit den Einschränkungen im Alltag umgehen? Und ist das überhaupt die richtige Frage? Was bedeutet die Corona-Krise für unser aller Expatleben?

Die Behauptung, Expats kämen zur Zeit leichter zurecht, setzt für mich am falschen Punkt an. Die Antwort führt dazu, individuelle Lebenssituationen miteinander zu vergleichen und damit Äpfel mit Birnen gleichzusetzen.

Die Expat-Gemeinschaft ist genauso heterogen wie jede andere Gemeinschaft auch. Wenn man Familie A mit Familie B vergleicht, was ist damit gewonnen? Haben die einen mehr oder weniger Recht, sich über ihre derzeitige Lage zu beklagen? Ist die Einschränkung des einen schlimmer als die des anderen?

Es wird gerade so viel relativiert. Aber jede derzeit empfundene Trauer oder Wut oder Sorge hat doch ihre Berechtigung.

(Expat)Leben mit der Isolation

Ja, Expats wissen, wie es ist, zeitweise ein Leben ohne soziales Umfeld zu führen, reduziert auf die Kernfamilie. Sie können Freunde und Verwandte nur über FaceTime oder Skype sprechen und stehen mitunter ratlos im Supermarkt, was man mit dem ungewohnten und für den eigenen Geschmack reduzierten Angebot nun auf den Tisch zaubern soll.

Ja, als Expat erlebt man einen nie gekannten Kontrollverlust in vielen Lebensbereichen. Vielleicht ist sogar der Bewegungsradius eingeschränkt – mangels Sprachkenntnissen oder angesichts schwieriger Sicherheitsverhältnisse.

Ja, Expats kennen das, wenn der persönliche Alltag Konturen verliert, aber nicht, dass die ganze Welt aus den Fugen gerät. Was die ganze Welt derzeit erlebt, ist einmalig. Was wir alle erleben ist einmalig.

Warum sollten Expats das alles also leichter wegstecken?

Wo Trost finden, wenn alle trauern

Der Unterschied zur derzeitigen Situation: Bei einer normalen Entsendung hat man viele Fixpunkte: Dienstleister, die mit den praktischen Details Erfahrung haben; einen Arbeitgeber, der eine (mehr oder weniger genaue) Vorstellung hat, was man wo tun soll; Freunde, die einem unter die Arme greifen; Familie, die ein offenes Ohr hat, und andere Expats, die Starthilfe vor Ort geben.

Die eigene Verunsicherung wird flankiert und damit relativiert von der Sicherheit anderer. Wir wissen, wo wir uns Trost holen können. Jetzt aber scheint die ganze Welt gleichzeitig Trost zu brauchen.

Ja Trost, denn wir alle trauern. Eine Art vorausschauende, vorwegnehmende Trauer über all die Dinge, die wir nicht werden tun können; Menschen, die wir nicht sehen werden; Gelegenheiten, die wir nicht ergreifen können; Ereignisse, die nicht stattfinden. Trauer-Experte David Kessler hat das in diesem Interview sehr schön und knapp erklärt.

Und Expats sind in dieser neuen Situation genauso wenig gerüstet wie alle anderen. Mehr noch: Ihr erlebter Verlust enthält oft noch den Verlust an Zugehörigkeit.

Expats erleben sich als Zaungäste

Selbst wenn man schon länger im Gastland lebt, seinen Alltag lebt und sich integriert fühlt, stellen jetzt einige Expats fest, wie sehr sie eben doch nur Gäste sind.

Ich höre von Expats, die angefeindet werden, weil es immer wieder und überall Menschen gibt, die einen Schuldigen für die Pandemie suchen.

Ich sehe Expats, die sich jahrelang mit einem miserablen Gesundheitssystem im Gastland arrangieren konnten, weil sie jede Vorsorge daheim in Deutschland wahrgenommen haben und die jetzt erkennen: Das wird hier im Notfall nicht mal für die reichen, die es sich leisten können, und daheim in Deutschland halten sie dir auch kein Bett frei.

Ich sehe Expats, die von jetzt auf gleich von ihren Unternehmen nach Deutschland zurückgeholt werden. Sie müssen Hals über Kopf Koffer packen, ohne sich verabschieden zu können.

Ich sehe Expats, die noch gar nicht lange im Gastland sind und jetzt auf unbestimmte Zeit, kaum Kontakte werden knüpfen können.

Ich sehe Expat-Familien, die plötzlich getrennt sind, weil während der Dienstreise des einen oder des Heimatbesuches des anderen Grenzen auf unbestimmte Zeit geschlossen wurden.

Wo wird das Expatleben weitergehen?

Bewegungsfreiheit, Reisefreiheit ist die Grundlage des Expatlebens.

Die ganze Welt blickt mit Hoffen und Bangen auf den Sommer. Für viele Expats steht aber steht nicht nur der Urlaub oder Jahresbesuch daheim auf dem Spiel. Für sie geht es ums Grundsätzliche: Wo wird das Leben weitergehen?

Zum Schuljahreswechsel endet für viele die Entsendung, aber kann man überhaupt nach Hause?
Wird es ein Umzugsunternehmen geben, das Container packt?
Kann man Flüge in die Heimat buchen?

Manche müssen gar ein Haus verkaufen. Aber wie, wenn in den nächsten Monaten niemand zum Besichtigen kommen kann und vielleicht im Sommer der ganze Immobilienmarkt brach liegt?

Wie soll man sich bei Ämtern an- und abmelden, wenn sie geschlossen sind?
Wie eine Schule oder einen neuen Kindergarten finden für den Herbst, wenn man nichts ansehen kann?
Wie kann man den Wohnsitz von einem Land in ein anderes verlegen, wenn ein Vorab-Besuch für praktische Fragen ausgeschlossen ist?

Die Verunsicherung potenziert sich, wenn man nicht einfach abwarten kann, bis der Pandemie-Spuk vorbei ist.

Das Gleiche gilt auch für diejenigen, die im Sommer aus Deutschland ausreisen wollten. Die schon alles in die Wege geleitet hatten. Wohnung, Vereine, Müllabfuhr gekündigt haben und die ganz schnell zurückrudern mussten: beim Vermieter (Äh, ‚tschuldigung, wir brauchen die Wohnung doch noch im Sommer); bei der Schule (ja bitte, doch einen Platz für das kommende Schuljahr).

Zurück auf Los.

Angesichts solch existenzieller Fragen sind Expats – wie jeder andere Mensch auch – verunsichert, überfordert, ohnmächtig, aber sicher nicht einfach per definitionem dickhäutiger.

Wer Expats pauschal eine bessere Anpassung an Quarantäne & Co zuschreibt, der spricht ihnen indirekt ab, mit der aktuellen Situation hadern zu dürfen, an den Einschränkungen leiden zu dürfen wie andere auch.

Es tut mir leid zu lesen, wenn Expats ihren Gefühlen ein „ich weiß, das ist Jammern auf hohem Niveau“ vorausschicken müssen. Seit wann wird der Ausdruck von Sorgen als Jammern abgekanzelt? Hat nicht jeder Kummer erst einmal Berechtigung?

Ich jedenfalls will gerne zuhören und wenn du gerade in deinem Expatleben allein nicht weiter weist, dann schreib mir oder besuche uns in der Expatmamas-Gruppe und wir sprechen darüber.

Autor

Jonna Struwe, freiberufliche Autorin, Bloggerin und Gründerin von Expatmamas.de, dem Portal für Familien im Ausland

3 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Luise sagt:

    Liebe Jonna,
    für alle ist es in der Tat eine Ausnahmesituation. Ich vergleiche es gerne mit einer Achterbahnfahrt. Sorge ist berechtigt, Jammern ist berechtigt aber zugleich auch Hoffnung. Das Leben wird irgendwann weitergehen, freier, normaler, unbeschwerter. Alle versuchen das Beste aus ihrer momentanen Situation zu machen. Ich helfe gerne, wo ich kann. Und das gibt ein gutes Gefühl.
    Family first.
    Kopf hoch. USA ist sicher gerade kein besonders gutes Pflaster.
    Sei herzlich gedrückt.
    Luise

    1. Jonna sagt:

      Interessant, dass du den Text so persönlich interpretierst. Es ging mir tatsächlich weniger um mich, als vielmehr um das, wie ich die Situation gerade bei vielen Expats beobachte.
      Trotzdem ist die Situation in den USA im Moment wirklich nicht lustig.

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