Es ist schön, wenn Bücher, die man aus beruflichen Gründen liest (um z.B. einen Buchtipp für euch zu schreiben) auch privat Spaß machen – und das gleich in zweifacher Hinsicht. „Mama, I need to kotz!“ von Lucie Marshall erzählt von meinen zwei Leib- und Seelen-Themen: dem Expatmama-Leben und dem Leben in England. Genauer gesagt in London (und das ist vielleicht nicht ganz mit dem Rest von England gleichzusetzen, wie nicht zuletzt die Brexit-Ergebnisse gezeigt haben.) Aber der Reihe nach.
Familienabenteuer London
Lucie Marshall ist eine der bekanntesten Mama-Bloggerinnen und verbrachte 2014 mit ihrem Mann und dem damals vierjährigen Sohn Sam sieben Monate in der britischen Metropole – eine der immer häufiger anzutreffenden Kurzzeit-Entsendungen. Wer jetzt denkt: „Sieben Monate! Das ist doch Expat-Leben light!“, hat nur bedingt recht. Denn egal, wie lange man entsandt wird, die Herausforderungen in der Anfangszeit sind für alle gleich, die Anpassungsschwierigkeiten nicht kleiner. Vielleicht kann man sich leichter trösten mit der Perspektive, dass es ja nur für ein paar Monate ist, aber wenn man Pech hat, muss man genau dann zurück, wenn man sich gerade erst richtig gut eingelebt hat.
Das Familienabenteuer London erzählt Lucie witzig und pointiert: die schwierige Wohnungs- und Kindergartensuche, das Einleben für ihren Sohn, der Konflikt mit den eigenen Ansprüchen als Working Mum, die neuen sozialen Gepflogenheiten in der bunten Expat-Schar, die typisch englischen Herausforderungen (Regen, undichte Fenster und Decken oder die Kunst des Small talk), nicht unbedingt die Sprache, denn Denglisch ist ohnehin immer schon Familiensprache gewesen. Zwei Themen ziehen sich dabei wie ein roter Faden durch ihre Anekdoten: das englische Bildungssystem mit der frühen Einschulung und ihre Selbstreflexion zu ihren eigenen Ansprüchen an sich als Mama (daher der Untertitel: „Was ich in London als Mutter lernte“). Die frühe Schulpflicht in England ist etwas, mit dem sie bis zur Rückkehr hadert und ein Aspekt (vielleicht sogar der entscheidende), warum aus der Kurzzeit-Entsendung keine längerfristige wird. Ihre vielen Eindrücke zum Umgang mit Kindern im Schmelztiegel London nimmt sie zum Anlass, die eigenen Standards aufs Korn zu nehmen. Sie trifft Mütter aus aller Herren Länder (nicht unbedingt englische) und sieht sich mit anderen Maßstäben konfrontiert, die sie vor allem in zwei Erkenntnissen zusammenfasst: Man hört auf, ständig andere in ihrem Tun zu bewerten (Good for you, not for me) und wird ein Stück weit demütiger, wenn man erkennt, wie sehr man im eignen Land sozialisiert ist. Eine Erfahrung, die alle Expatmamas kennen.
Fazit: Ein eloquent erzähltes Memoir, das nicht nur unterhaltsam sondern mitunter auch nachdenklich vom Mama-Sein hier und jenseits des Kanals erzählt. Eine kurzweilige Sommerlektüre definitiv nicht nur für Mütter und London-Fans.
Lucie Marshall
Mama, I need to kotz! Was ich in London als Mutter lernte
Goldmann 2016
ISBN: 978-3-442-17548-2
253 Seiten, 8,99 EUR