Expat-Leben

Schöne neue digitale Schulwelt*

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In Deutschland beklagt ja mancher den analogen Unterricht mit Stift, Papier und Buch. Fast schon reflexartig erschallt der Ruf nach Laptop oder iPad und gerne werden die USA als leuchtendes Beispiel ins Feld geführt. Meine Kinder dürfen nun gerade erleben (und erlernen), wie so ein digitaler Schulalltag aussieht. Und wir stellen fest: wie immer im Leben haben die Dinge zwei Seiten.

Das Organisatorische

Mit der Zusage, dass unsere Kinder an der Schule in Atlanta aufgenommen waren (in Klasse 8 und 10), kam die Materialliste ins Haus geflattert. Sie war recht kurz, dafür stand an erster Stelle: ein MacBook bitte pro Kind. Die Eltern schluckten, Kind 2 fühlte sich wie an Geburtstag und Weihnachten zusammen, Kind 1 rollte dagegen mit den Augen. Weiter hieß es in der Elternpost: Um alle Programme würde sich in der Schule gekümmert. Hört, hört! Wir durften an der Software sparen.

Da standen dann also die Kinder mit ihren Geräten an Tag 1 und waren komplett arbeitsunfähig. Denn ach, man braucht ja einen Zugang zum Schul-Intranet und für den Zugang bitte eine Schul-Email-Adresse und dann Bitteschön GoogleClassroom für alle Fächer und außerdem die Noodle Tools und Excel und, und, und. Beide Kinder kamen heulend nach Hause.

Die ersten zwei Wochen gingen ins Land, bis alles installiert war, halbwegs verstanden und Fehler bereinigt. Ein Prozess, der mitunter komplexer war, als wenn man in einer Firma als neuer Mitarbeiter angeheuert hätte. Immerhin: die Schule leistet sich eine IT-Abteilung und die haben wir in Woche 4 auch dringend gebraucht, als eines freitags von jetzt auf gleich, das Kind keinen Zugang mehr zu keinem System hatte. Blöd, wenn man alle Hausaufgaben nur online hat und am Montag eine Abgabe-Deadline droht. Wieder Tränen beim Kind und ein Papa der samstags morgens mit dem Laptop unterm Arm losmarschiert: „Ich gehe jetzt so lange durch diese Schule, bis ich jemanden habe, der das richtet.“ Hat geklappt. Uff. Erinnerung an längst vergangene Berater-Nächte, wenn vor der Präsentation das System abstürzt.

Das Inhaltliche

Nach zwei Wochen hatten die Kinder also den Dreh raus, wie man welche Dokumente für den Unterricht aufruft, Hausaufgaben abfragt und wieder einreicht, Mails des Lehrers checkt oder mit Klassenkameraden an ein und demselben Dokument arbeitet. Chapeau! Ich war beeindruckt.

Nach zwei Wochen hatten die Kinder aber auch raus, dass man nebenher der Mama iMessages schicken kann, dass Klassenkameraden heimlich YouTube schauen oder in Französisch GoogleTranslate die Sätze schreiben lassen. Dank Rechtschreibprüfung machen meine Kinder keine Fehler im Englischen, lernen aber in Fächern wie Product Design mit Architektensoftware spielen.

In ihrer neuen digitalen Schulwelt gibt es kein einziges Buch mehr, dafür wiegt der Computer so schwer in ihrer Tasche wie in Deutschland Mathe-, Deutsch- und Englischbuch zusammen. Ein Heft gibt es nur noch in Mathe, eine Postmappe für Arbeitsblätter kann man sich sparen. All-in-one.

Doch wehe das Kind vergisst das gute Stück! Dann kann es in keinem Fach auch nur irgendwie am Unterricht teilnehmen. Es kann nichts lesen, nichts aufschreiben, nichts lösen – sprich es wäre besser mit dem PC zu Hause geblieben. Nachdem die Mutter schon diverse Male den Laptop hinterher getragen hat, lautet jetzt das Mantra morgens an der Wohnungstür: „Essen? Laptop? Sportzeug?“ Nur wer dreimal Ja sagt, darf gehen.

Das Soziale

Der Laptop-Unterricht bringt noch etwas mit sich: die totale soziale Kontrolle. Hausaufgaben sind nicht nur an bestimmten Tagen sondern zu genauen Uhrzeiten einzureichen (Montag, 11:59 bitte); jedes Zuspätkommen ist sofort im System erfasst und wird mir auf meinem Eltern-Account übermittelt; ich sehe jede Note, jeden Lehrer-Kommentar, jede Deadline. Der gläserne Schüler.

Auch Kranksein ist eigentlich unmöglich geworden, denn das Kind kann ja daheim im Bett auf dem Laptop die Aufgaben im Unterricht mitverfolgen, mit letzter Kraft noch an der Gruppenpräsentation mitarbeiten oder um 11:58 den Knopf zum Hochladen der Hausaufgabe drücken. Mental abschalten wie beim Büromensch erst ab 39 Fieber oder bei leerem Akku.

Mein Fazit bislang

Zweifellos haben meine Kinder in kürzester Zeit den Umgang mit ihrem neuen Gerät und allerlei Software gelernt – nur: sie hätten es zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Leben genauso gut und schnell erfasst. Ob sie dadurch jetzt einen Vorteil haben? Sie schnitzen sozusagen mit anderem Werkzeug, aber das Endergebnis bleibt doch das gleiche. Ob getippt oder handgeschrieben – denken müssen sie selbst und ob sie das am Laptop besser lernen, wage ich zu bezweifeln. Im Sprachunterricht (Mutter- genauso wie Fremdsprache) sehe ich eher, dass man sich auf das Gerät verlässt, anstatt selbst zu wissen, wie man was schreibt. Einzig, dass man immer und überall mit dem Lehrer kommunizieren kann, und zu jedem Dokument Feedback bekommt, sehe ich als echten Vorteil. Die Betreuungsintensität für den Einzelnen ist ein Mehrwert, doch das liegt wohl eher daran, dass wir von einer Privatschule sprechen. Das Digitale ist nur der Kommunikationskanal. Die Ressource ist Zeit.

*In Anlehnung an: Aldous Huxley: Schöne neue Welt

Autor

Jonna Struwe, freiberufliche Autorin, Bloggerin und Gründerin von Expatmamas.de, dem Portal für Familien im Ausland

3 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Ilka sagt:

    Oh ja, der Computer…. eine Quelle der Freude. WhatsApp auf dem PC führt das bestehende Handyverbot ad absurdum, tolle share-points ermöglichen eben auch, das andere die Dokumente verändern und nicht immer funktioniert es reibungslos, auf die alten Versionen zurückzugreifen, denn nicht immer sind diese Änderungen im Sinne aller Autoren.
    Hier gibt es aber nicht nur den PC sondern zusätzlich noch die handschriftlichen Aufgaben und auch jedes Schuljahr wandert ein Stapel Schulbücher und selten benutzte Arbeitshefte (letztere teuer im Schulshop zu kaufen, wenn man es in Deutschland in den Sommerferien verpeilt hat, diese zu besorgen). Dementsprechend würde ich morgens am liebsten den Rollenkoffer aushändigen, denn mit Proviant und Instrument ist die Tasche dermaßen schwer, das es nicht mehr schön ist.
    Und natürlich fehlen die Bücher grundsätzlich; entweder in der Schule – weil sie doch zu Hause waren, weil eben nicht jedes Buch online verfügbar ist und manche Aufgaben tatsächlich durch schnödes Papierseiten umblättern erledigt werden müssen – oder übers Wochenende daheim, weil sie Freitag den Weg nicht aus dem Spind herausgefunden haben, weil die Langzeithausaufgabe nicht im Gehirn des Teenagers präsent war, bevor man sich und seinen Laptop auf den Weg zu Starbucks begeben hat, zum gemeinsamen Arbeiten ….oder so ;-)

  2. Andrea sagt:

    Also Du solltest nach Québec kommen, hier finde ich die Online-Geschichte gut geregelt, oder sagen wir mal so an unserer Schule.

    Bei uns bezahlen wir mit dem Schulgeld einen Beitrag für Notebooks etc, denn die Schule stellt diese Geräte, so haben in der Schule alle dieselben Geräte und die funktionieren dann auch. Zu Hause kann man dann selbst entscheiden, was man seinem Kind aushändigen möchte, damit es die Hausaufgaben erledigen kann. Bücher und Co gibt es immer noch und die werden auch rege genutzt. Lustigerweise, hatte mein Kind keine Probleme mit der Anwendung, ich vermute sie wurden wahrscheinlich gut instruiert.
    Ich finde sogar, dass „Gruppenarbeit“ über Google-Classroom gut funktioniert und so manches Mal macht sie Hausaufgaben mit ihren Freundinnen, die in anderen Städten wohnen via Telefonkonversation.

    Auch die Zeugnisse gibt es über das Portal, das hat sich hier im Laufe der Zeit geändert, in den ersten Jahren der Grundschule bekamen wir die noch ausgedruckt. Nun gibt es eine Mail und man loggt sich ein und lädt runter.

    Ja, und auch wir haben einen gläsernen Schüler, dies wird hier aber von niemandem bemängelt. In der Grundschule hatten wir das nicht, also war es in der Secondaire für meine Tochter auch neu, aber sie hat sich nicht einmal darüber beschwert. Wir bekommen ständig e-mails von der Schule und meist schaue ich noch nicht mal rein (Ups). Die Noten teilt sie uns sowieso immer schon vorher mit, deshalb ist das jetzt nicht so ein grosses Geheimnis. Es wird hier als normal angesehen. Ehrlich gesagt muss ich auch sagen, dass ich mich quasi darauf freue, meinen nicht ganz so fleissigen Sohn im Folgejahr besser überwachen zu können….

    1. Jonna sagt:

      Liebe Andrea,

      ich denke, das ist tatsächlich an den Schulen sehr unterschiedlich gehandhabt. Bei euch scheint es eine gute Mischung zu sein. Ich kann auch nicht wirklich sagen, wie das hier in den unteren Klassen ist. Meine sind in Klasse 8 und 10 und da mag es Unterschiede geben. Es geht mir hier auch nur um unsere sehr persönlichen Erfahrungen und die können natürlich nur unseren Ausschnitt der Welt widerspiegeln. Und dazu gehört auch, dass sich die Kinder im Gymnasium in Deutschland sehr viel freier und selbstständiger gefühlt haben. Beide sind zuverlässig und die durchgehende Kontrolle ist für sie gewöhnungsbedürftig.
      Viele Grüße nach Kanada
      Jonna

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