Als Expatmama hat man nicht immer das Gefühl, Herrin der Lage zu sein. Angesichts der gegenwärtigen Pandemie schon gar nicht. Als ich dann das Wort „Selbstwirksamkeit“ bei Expat-Coach Ann Wöste auf Instagram las, war ich deshalb gleich hellhörig. Was soll das sein? Wie soll das gehen? Gerade jetzt? Sie hat sich Zeit genommen, es mir und euch zu erklären. Damit wir als Familien im Ausland nicht nur besser durch die nächsten Wochen kommen, sondern der gesamte Aufenthalt zu einer positiven Lebenserfahrung werden kann.
Ein Gespräch über Selbstwirksamkeit
e/m: Liebe Ann, vor kurzem las ich bei dir, wie wichtig das Gefühl der Selbstwirksamkeit bei einer Entsendung ist. Was meint Selbstwirksamkeit?
Ann: Selbstwirksamkeit ist das Vertrauen, eine schwierige Aufgabe oder eine herausfordernde Lebenssituation aus eigner Kraft heraus und mit den eigenen, bewusst erlebten Fähigkeiten meistern zu können.
Je selbstwirksamer und ressourcenvoller sich Menschen wahrnehmen, desto weniger stressig werden solche herausfordernde Lebenssituationen, wie z.B. ein Umzug ins Ausland, empfunden.
e/m: Ist Selbstwirksamkeit also einfach ein anderes Wort für Selbstvertrauen i.S.v. Vertrauen in sich selbst?
Ann: Ich denke schon, dass man diese beiden Begriffe synonym gebrauchen kann.
e/m: Und worin liegt der Unterschied zu der in den letzten Jahren vielbeschworenen Resilienz?
Ann: Resilienz ist noch ein bisschen mehr. Es ist die Fähigkeit in Lebensstürmen nicht umzufallen und liegen zu bleiben, sondern sich danach wieder aufzurichten und weiterzumachen. Dafür ist die Selbstwirksamkeit ein wichtiger Baustein.
Beim Umzug ins Ausland fühlen sich viele fremdbestimmt
e/m: Gerade bei einem Umzug ins Ausland erleben sich begleitende Partner aber vor allem auch die Kinder oft nicht sehr selbstwirksam; die Kinder vor allem, weil sie auf die Entscheidung der Eltern wenig Einfluss haben.
Ann: Das ist richtig. Von der Entscheidung, ob und wann die Familie in ein fremdes Land aufbricht, wie lange sie dort bleibt und wann sie zurückkehrt, sind die Kinder meistens ausgeschlossen.
Aber auch wir Erwachsenen fühlen uns oft fremdbestimmt oder einer Entscheidung, die von der entsendenden Firma getroffen wird, hilflos ausgeliefert.
Ich selbst habe es zweimal erlebt, dass ein Auslandaufenthalt entweder halbjährlich verlängert wurde und wir damit überhaupt keine Planungssicherheit hatten oder vorzeitig abgebrochen werden musste, da Projekte neu auf andere Standorte verteilt wurden. Das Gefühl, völlig machtlos zu sein und mit dem Widerstand dagegen ins Leere zu laufen, hat mich lange Zeit viel Kraft gekostet und meine Energien gebunden.
Vor allem Frauen und Mütter erleben sich am Anfang in einem neuen Land, in dem sie die Sprache noch nicht beherrschen und die Gepflogenheiten nicht kennen, aber trotzdem im Alltag für einen reibungslosen Ablauf sorgen wollen, in ihrer Selbstwirksamkeit oft sehr eingeschränkt. In unserem alten Leben hatten wir uns so eingerichtet, dass wir uns maximal kompetent erleben und in unserer Komfortzone sind. Da raus zu müssen und das Gefühl von Unsicherheit auszuhalten und immer wieder mit den eigenen Begrenzungen konfrontiert zu werden, ist nicht wirklich angenehm, beinhaltet aber auch ein enormes Entwicklungspotenzial, über sich selbst hinauszuwachsen.
Selbstwirksamkeit fördern
e/m: Kann man die erlebte Selbstwirksamkeit anderer beeinflussen, können also Eltern dafür sorgen, dass die Kinder sich als selbstwirksam empfinden?
Ann: Unbedingt! Es ist ein Teil unserer Erziehungsaufgabe, die Selbstwirksamkeit unserer Kinder zu fördern und ihnen immer wieder Aufgaben und Herausforderungen zu geben, an denen sie wachsen können und sich als kompetent erleben. Da geht es in erster Linie weg von der Haltung Defizite optimieren zu wollen und Hin zum Thema Stärken stärken: Was kann mein Kind gut? Was fällt ihm leicht? Woran hat es Freude? Wofür wird es von anderen geschätzt oder bewundert?
Einerseits sollten Eltern ihrem Kind diese Talente als wertvolle Ressource bewusst machen und ihm andererseits immer wieder die Möglichkeit geben, diese inneren Stärken oder Fähigkeiten einzusetzen. Diese Möglichkeiten am besten so gestalten, dass die Fähigkeiten daran wachsen, also ruhig ein bisschen herausfordernd, ohne überfordernd zu werden. Vergleichbar mit einem Sport oder dem Erlernen eines Musikinstruments.
e/m: Hast du ein Beispiel, was man ganz konkret tun kann?
Ann: Jedes Kind kann unterschiedliche Dinge gut und meist sind sie ihm dann gar nicht wirklich als Stärke oder Talent bewusst. Es kann zum Beispiel ein schönes Ritual bei jüngeren Kindern sein, abends am Bett zu sitzen und darüber zu sprechen, was ihm heute richtig gut gelungen ist, womit es sehr zufrieden mit sich war, oder wo ihm andere gespiegelt haben, dass es etwas gut gemacht hat. Das lenkt den Fokus auf die eigene Selbstwirksamkeit und schließt den Tag positiv und mit einem zufriedenen Gefühl ab.
Ältere Kinder können eine Art Erfolge-Tagebuch führen, in das sie jeden Abend drei Dinge eintragen, auf die sie stolz sind. Wichtig ist, die vorherigen Eintragungen immer erst noch einmal zu lesen, bevor etwas Neues dazu kommt. Das schärft die selektive Wahrnehmung von „Alles ist doof“ und „Ich kann nichts“ zu „Ich bin eigentlich ziemlich gut und kann mehr als mir bewusst ist“.
Selbstwirksamkeit angesichts Corona
e/m: So ein Erfolge-Tagebuch könnte meinen Kindern gut gefallen. Gerade jetzt, wo ihr Gestaltungsspielraum und Radius durch die Corona-Pandemie sehr eingeschränkt ist. Können wir als Eltern noch mehr tun?
Ann: Gerade in Corona-Zeiten ist es wichtig, Kindern Aufgaben zu übertragen. Sie können einen Kuchen backen oder Essen kochen, mit dem Hund gehen oder irgendetwas Kreatives gestalten, bauen oder basteln. Meine Tochter hat gerade viel Freude daran, dem Hund neue Dinge beizubringen und für das Pferd einen „Equizaum“ zu nähen, der viele Stunden in Anspruch genommen hat, auf den sie aber mega stolz ist, und den sie auch wirklich gut gebrauchen kann. Sofort steigt hier die Stimmung. Ein nicht zu unterschätzender Faktor, wenn alle Familienmitglieder für längere Zeit miteinander auskommen müssen.
Und es gibt natürlich noch etwas sehr Grundsätzliches, das unabhängig von Lebensumbrüchen wichtig ist, aber mir in diesem Zusammenhang am Herzen liegt. Wir können unseren Kommunikationsstil bewusst in einen aktiv konstruktiven verwandeln.
Ich merke selbst oft, dass ich manchmal nur mit einem Ohr hinhöre, wenn mir meine Kinder etwas erzählen, dass ich doch mal kurz aufs Handy schaue oder aufstehe und schnell noch etwas zwischendurch erledige…. Das ist dem Gefühl, da interessiert sich jemand wirklich für das, was ich sage, nicht wirklich zuträglich.
Sich bewusst zeitnehmen, wirklich präsent sein und aktiv zuhören, nachfragen, emotional beteiligt sein, sich zuwenden und Blickkontakt halten, das sind die Zauberworte der wirklich beziehungsfördernden Unterhaltung.
Je mehr ich von mir selbst gebe, desto mehr bekomme ich von meinem Gegenüber zurück. Auch dadurch erleben sich Kinder als selbstwirksam, weil sie gespiegelt bekommen, ich interessiere mich für dich, es ist mir wichtig, was du erlebt hast und ich höre dir gerne zu.
e/m: Das finde ich sehr wichtig, was du über die Art des Zuhörens sagst (auch für Erwachsene untereinander). Gibt es auch Inhaltliches, also Dinge, die ich sagen kann?
Ann: Weniger sagen, als vielmehr fragen. Wenn es gerade mal nicht rund läuft, kann es hilfreich sein, das Kind daran zu erinnern, wann es in der Vergangenheit schon mal eine vergleichbare oder ebenfalls schwierige Situation im Leben hatte, die es gut gemeistert hat.
Was genau hat es selbst dazu beigetragen, dass die Situation weniger schlimm wurde? Welche seiner Fähigkeiten konnte er erfolgreich einsetzen?
Was sind seine Stärken in anderen Bereichen und welche davon könnte in dieser Situation hilfreich sein?
Auch da hilft ein einfühlsames Gegenüber als Sparringspartner, an die eigenen Ressourcen zu erinnern und Mut zu machen, sie auch einzusetzen. Aber natürlich ist die Frage, was wir als Eltern zur Unterstützung beitragen können, ebenfalls sinnvoll. Das Gefühl, ein stützendes Umfeld im Rücken zu haben und sich in der Familie geborgen und sicher zu fühlen macht Kinder ebenfalls stark und nimmt viel Druck von ihnen.
Kinder stützen
e/m: In Krisenmomenten wie jetzt fühlen sich manche Eltern selbst nicht sehr selbstwirksam, sondern ohnmächtig. Viele Familien bewegt die Frage, können wir bleiben in dem Land? Müssen wir nach Deutschland zurück? Wie sollen wir das durchstehen? Wie können sie dann ihren Kindern diese Stütze sein, von der du sprichst?
Ann: Kinder lernen bekanntlich am meisten am Modell. Wir müssen uns gerade in solchen schwierigen Zeiten, in der auch wir unsicher sind, immer wieder klar machen, dass unser Verhalten Vorbildfunktion für unsere Kinder hat. Es würde wenig glaubwürdig wirken, wenn wir so täten, als hätten wir alles im Griff, obwohl unser Innenleben ganz anders aussieht. Kinder spüren, ob wir ehrlich sind oder nur so tun als ob. Auf der einen Ebene hören sie: „alles ist gut“, auf einer andern Ebene spüren sie Unsicherheit und wissen dann nicht, welcher Botschaft sie glauben sollen. Das verunsichert sie viel mehr, als wenn wir uns zu unserer eigenen Unsicherheit bekennen.
Natürlich ist es gut, wenn wir nicht gerade vor unseren Kindern zusammenbrechen. Aber es ist ehrlicher, klar zu kommunizieren, dass es auch für uns gerade eine neue und unbekannte Situation ist, in der wir nicht immer wissen, was das Richtige ist, wir uns aber trotzdem darum bemühen, das Beste daraus zu machen, und positiv und zuversichtlich zu bleiben. Das ist sicher manchmal eine Gradwanderung.
Was Expatleben und Pandemie von uns fordern
e/m: Du hattest eben davon gesprochen, wie es Kindern helfen kann, sie an ähnliche Situationen zu erinnern, die sie bewältigt haben. Jetzt sehen sich Kinder wie Eltern einer nie dagewesenen Situation gegenüber. Wie kann die Strategie dennoch funktionieren?
Ann: Ich sehe zwischen der momentanen Situation und dem Umzug in ein anderes Land durchaus Gemeinsamkeiten.
Auch jetzt befinden wir uns in einer Zeit des Übergangs, in dem die alten Strategien und Spielregeln nicht mehr funktionieren und neue noch nicht bekannt sind. Das ist die Zeit der Transition, in der Unsicherheit und emotionales Chaos am größten sind.
Wenn wir uns also fragen, mit welchen unserer Fähigkeiten und inneren Ressourcen wir den ersten Übergang bewältigt haben, was uns geholfen hat, uns wieder sicher und kompetent zu fühlen, und wessen Unterstützung dabei hilfreich war, können wir dies vielleicht auch auch auf den jetzt Moment anwenden.
Außerdem sind wir in den ersten Wochen der Entsendung auch sehr auf unsere Kernfamilie zurückgeworfen und unser Bewegungsradius ist ziemlich beschränkt. Also kennen wir das bereits und haben auch das überstanden und überwunden. Wir müssen im Ausland auf bestimmte Lebensmittel verzichten, sehen Freunde und Familie nur über einen Bildschirm und unsere Kinder müssen sich, wenn sie eine internationale Schule besuchen, oder wie ihr in den USA leben mit reichlich Digitalisierung im Unterricht auseinandersetzen. Ich finde also, dass Menschen mit diesem Erfahrungsschatz ziemlich gut gerüstet sind für die Einschränkung, die wir gerade durch Corona erfahren.
e/m: Würdest du sagen, Selbstwirksamkeit ist etwas, was ein Mensch zu einem gewissen Grade besitzt, der eine mehr, der andere weniger, oder ist das für jeden Menschen situationsabhängig?
Ann: Ich denke, unter optimalen Bedingungen, und wenn uns keiner aus Angst um uns ausbremsen würde, hätten wir alle genug Möglichkeiten, uns durch in der Kindheit gemachte Erfahrungen, hinreichend selbstwirksam zu fühlen. Da das in der Realität allerdings oft anders aussieht und es dort dann schon darauf ankommt, in welches Leben wir hineingeboren wurden, gibt es sicher Menschen, die besser gerüstet sind als andere.
Aber jeder kann als Erwachsener noch daran arbeiten und sich bewusst Situationen schaffen, die einen herausfordern. Eine Aufgabe zu meistern, die man eigentlich lieber nicht machen würde, weil man glaubt, sie nicht gut erfüllen zu können, wirkt Wunder auf das eigene Selbstwirksamkeitsempfinden.
Deshalb ist es nicht nur gut, unsere Kinder in ihren Potenzialen zu fördern und ihnen gute Bedingungen zum Erblühen zu schaffen, sondern auch als Expat-Partnerin die sich bietenden Chancen so einer Zeit im Ausland zu ergreifen und sich weiterzuentwickeln. Vieles bringt diese Zeit ohnehin schon mit sich, aber auch hier können wir bewusst neue Lernfelder angehen und uns Entwicklungsaufgaben stellen.
e/m: Liebe Ann, vielen Dank für das Gespräch!
Ann Wöste ist zertifizierter Coach, Trainerin sowie Kinder- und Jugendcoach. Sie hat selbst mehrere Jahre im Ausland gelebt und berät heute Expat-Partner und Third Culture Kids. Wenn ihr Fragen habt, schreibt ihr an coaching@die-globale-familie.de Mehr Informationen zu ihr und ihrem Angebot findet ihr auch auf ihrer Website.
Ein schönes Interview! Das Wort Selbstwirksamkeit habe ich nicht in meinem Wortschatz. Wunderbar. Danke an Ann und an Dich Jonna! Luise