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Was das Smartphone für unsere Kinder bedeutet

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„Wenn du nicht endlich dieses verdammte Ding weglegst, dann ist es weg! Und zwar für drei Tage!“ Zugegeben: Wenn ich so durchs Haus brülle, ist das nicht gerade eine meiner elterlichen Sternstunden, sondern eher eine Bankrott-Erklärung. Und schlimmer noch: ich bin auf dem besten Weg, den letzten Zugang zu meinem Kind zu blockieren; ich verbaue mit der Drohung die Möglichkeit, dass es sich an mich wendet, wenn es dem Horror im Netz begegnet. Daran hat der Digitaltrainer Daniel Wolff auf der Elternbloggerkonferenz denkst! keinen Zweifel gelassen. Und ich war nicht die einzige, die sich in diesem Moment ertappt gefühlt hat. Unsere Ohnmacht war entlarvt angesichts der Sogkraft dieses kleinen Elektronikteils in der Hand der Kinder. Wie kann man es also besser machen?

Das Smartphone als Schlüssel zur Welt

Wie immer führt eine Lösung auch hier nur darüber, dass wir verstehen, was Smartphones für die Kinder bedeuten. Meist überreichen wir die Geräte ja in elterlicher Naivität und Sorge mit dem Kommentar: „Damit du uns besser erreichen kannst!“ (Zu deutsch eigentlich: Damit wir dich anrufen können, um zu sehen, wo du steckst.)

Aber die Kinder begreifen sofort, dass wir ihnen damit den Schlüssel zur Welt in die Hand gegeben haben. Quasi ein „Schweizer Messer unserer Zeit„, wie Daniel Wolff es ausdrückt. Nur: bei einem Schweizer Messer hätten wir die Handhabung erklärt und uns die ersten Male daneben gesetzt, damit auch nichts passiert und wir hätten die Wunden gepflastert beim ersten bösen Schnitt und hätten getröstet mit den Worten: „Das passiert, das braucht Übung.“ Aber hätten wir gebrüllt: „Jetzt kommt das Messer weg!“? Eben.

Wir geben den Kindern dieses Wunderding Smartphone und das wollen sie um keinen Preis wieder hergeben müssen. Auch wenn dieser Preis die ersten Alpträume sind, weil sie Sachen gelesen und gesehen haben, die ihnen unglaublich Angst machen. Aber die Angst, dass wir ihnen das Smartphone wieder wegnehmen, ist noch größer, denn das Smartphone bedeutet für die Kinder erstmal Spaß, Unterhaltung, Freiheit und soziale Anerkennung.

„Durch Whatsapp sind die Kinder jede Nacht im Zeltlager.“

Laut der JIM-Studie* von 2017 besitzen 97 Prozent der 12-19 Jährigen ein Smartphone, am häufigsten nutzen die Kinder WhatsApp, am meisten Zeit verbringen sie auf YouTube. 80 Prozent der Internet-Zugriffe von Kindern und Jugendlichen erfolgt über das Smartphone, im Durchschnitt sind sie 3 Stunden am Tag online, 4 von 10 Kindern surfen ohne Limit. Das sind nur einige Zahlen. Was heißt das?

WhatsApp als beliebteste App versetzt die Kinder in Dauer-Alarmbereitschaft, sie können sich dem Aufforderungscharakter nicht entziehen und schon jetzt reden Ärzte vom sogenannten „WhatsApp-Stress“, denn die emotionale Beteiligung der Kinder am Chat-Verlauf ist groß; jedes Jahr erkranken laut Ärztezeitung 20.000 Kinder an Mediensucht. WhatsApp als „Einstiegsdroge“.  

„Wenn Kinder das Smartphone neben dem Bett liegen haben, dann sind sie jede Nacht im Zeltlager“, wie Daniel Wolff sagt. Hier hilft nur eines: von Anfang an kein Telefon im Kinderzimmer, schon gar nicht nachts, Benachrichtigungen stumm schalten, und in den Einstellungen die Funktion ausschalten, die anderen Nutzern zeigt, wann das Kind auf Whatsapp ist (gilt übrigens auch für Instagram). Und das alles muss mit den Kindern von Anfang an vereinbart werden, so wie man beim Schnitzmesser sagt: „Immer mit der Klinge von dir weg schnitzen.“

Was Vielen auch nicht klar ist: schon über WhatsApp kommen die Kinder zum ersten Mal mit jugendgefährdenden Inhalten in Kontakt.

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Wo die Eltern über die Rechtschreibung lachen, fürchten sich Grundschüler zu Tode

Kettenbriefe (wie auf dem Foto) versetzen schon Grundschüler in Angst und Schrecken, gruselige Bilder wie von „Momo“ (leider hat sie nichts mit der Figur von Michael Ende gemein, sondern sieht aus wie dem letzten Horrorfilm entstiegen) kennt jedes Kind. Ich war skeptisch und machte die Probe aufs Exempel, als ich von der Konferenz nach Hause kam, und fragte den 12-jährigen beiläufig: „Hast du eigentlich schon Momo auf deinem Handy gesehen?“ – „Oh, ja, die ist so schrecklich, Mama!“ Und es sprudelte aus dem Kind nur so hervor. Wie lange war er schon mit diesem Bild allein, weil er sich nicht getraut hat, was zu sagen?

Wenn dann bei den größeren Kindern YouTube zum Hit wird, wird es noch schwieriger. Über Werbung und Video-Empfehlungen sehen die Kinder früher oder später – meistens unfreiwillig – Dinge, die wir nicht einmal selbst ertragen würden.

„Wann soll ich meinem Kind ein Smartphone geben?“ – „Wann sind Sie bereit, mit ihm über Pornos zu reden?“

So zugespitzt formulierte es Digitaltrainer Wolff auf der denkst! am Wochenende. Wir haben alle geschluckt. Und er sagte auch ganz klar: „Im Internet gibt es keinen funktionierenden Jugendschutz.“

Was mit unfreiwillig geschauten Filmchen beginnt, geht über „Mutproben“ weiter: Wer traut sich, das zu gucken?! Was früher der Sprung von der Brücke in den Fluss war, ist heute „Wer schaut am längsten hin“. Noch lange bevor die Kinder selbst erste sexuelle Erfahrungen haben, sehen sie Bilder, die nichts mit einem realistischen Liebesleben gemein haben. Auch hier zeichnen sich erste Extreme ab: so spricht man in den USA bereits von dem Phänomen der „Porn induced erectile dysfunction“ (PIED), festgestellt bei jungen Männern, die nicht mehr in der Lage sind, mit ihrer ersten Freundin Verkehr zu haben, weil die allein und ziemlich normal vor ihnen steht.

Um den Kindern hier noch schützend zur Seite stehen zu können, ist es also enorm wichtig, nicht vorher ihr Vertrauen verspielt zu haben. Wer will, dass das Kind zum Reden zu Mama oder Papa kommt, darf nicht drohen, das Smartphone wegzusperren und muss bereit sein, sich Dinge anzusehen, die man lieber nicht sehen will. Uff. Im Saal war Stille.

Das heißt aber auch nicht, dass man sich zurücklehnt und wartet: „Das Kind wird schon kommen, wir verstehen uns doch gut.“ Man muss dranbleiben, selbst das Gespräch suchen.

Als ich heimkam und das Kind fragte, ob es „Gronkh“ kennt (ein derzeit angesagter Spiele-YouTuber) oder „Simon Desue“ (ein Prank-Vlogger, zu deutsch: ein Teenie, der Leuten Streiche spielt und Videos dazu macht (früher harmlos: Versteckte Kamera), da plapperte das Kind glücklich los und endete strahlend: „Magst du mich noch was fragen?“ Stolz, die Mama einzuweihen und ihr Dinge erklären zu können. Und ich dachte nur: „Mann, ich hab’ echt nichts mitbekommen in letzter Zeit, was das Kind so beschäftigt.“

Fester Vorsatz: Öfter mal fragen, was es schaut und mitgucken (auch wenn ich das letzte Prank-Video eher albern als witzig fand, während sich das Kind gekringelt hat). Das hat auch nichts mit anbiedern zu tun, sondern mit Interesse an der digitalen Lebenswelt. Klar ist es keine Garantie, dass ich bei anderen Dingen dann ins Vertrauen gezogen werde, aber es schafft eine gemeinsame Grundlage.

„Die Geister, die ich rief, werd’ ich nun nicht los“

Damit es den Kindern nicht so geht, wie dem Zauberlehrling von Goethe, ist es außerdem wichtig, ihnen ein paar Dinge klar zu machen.

Als wir Erwachsenen vor ein paar Jahren auf Facebook auftauchten, zogen die Kinder auf Snapchat weiter, denn wer will schon, dass Papa das letzte Foto kommentiert. Blau-äugig werden dort nun Bilder gepostet nach dem Motto „Alles geht. Wird ja eh nach kürzester Zeit automatisch gelöscht.“

Die Kinder müssen aber verstehen, dass sich per Screenshot jedes Snapchat-Bild verewigen lässt, und sie sich bei jedem Post überlegen sollten, ob sie sich damit nicht eines Tages erpressbar machen. Genauso ist Vorsicht bei so manchen Hashtags geboten: Was erst lustig als #Schülerbeichte etikettiert wird, kann sich jemand anders als Munition speichern, um das Kind bei nächster Gelegenheit fertig zu machen oder unter Druck zu setzen. Cyber-Mobbing frei Haus.

Den Kindern muss bekannt sein, dass sich in den Chats von Spielen und auf Musical.ly bekanntermaßen Leute rumtreiben, die Kontakt zu Minderjährigen suchen. Eltern müssen den Kindern erklären, was man von sich preisgeben darf und immer mal wieder hinhören, wenn die Kinder über Chats reden.

Man muss gemeinsam über die genutzten Apps sprechen und deren automatische Grundeinstellungen:
Willst du wirklich, dass jedem auf Instagram gezeigt wird, wann du die App nutzt?
Willst du wirklich, dass TikTok automatisch Zugriff auf dein Mikrophon hat (und damit deine Gespräche belauschen kann)?
Willst du sicher, dass WhatsApp auf alle deine Kontakte zugreift?

Die Tragweite ist den Kindern oft nicht klar. Sie verstehen nicht, dass das alles nicht umsonst ist, sondern sie mit ihrem Nutzerverhalten und ihren Daten bezahlen. Wie sollen sie das auch begreifen? Bei ihrem ersten Kontakt mit dem Smartphone sind Kinder immer jünger; was vor zwei Jahren noch das Geschenk zum Wechsel auf die weiterführende Schule war, wird heute schon zur Kommunion überreicht. Es bleibt uns also nichts Anderes übrig, als uns selber intensiv reinzufuchsen, um den Kindern das Werkzeug erklären zu können, das wir ihnen da in die Hand geben.

„Da steh ich nun, ich armer Tor…“

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… Und bin ein bisschen klüger als zuvor (etwas frei nach Goethe). Dank des Vortrags von Daniel Wolff habe ich ein paar Dinge sehr viel besser verstanden und ich hoffe, ich konnte euch das auch weitergeben. Natürlich gab es auch am Wochenende in Nürnberg nicht DAS eine Patentrezept, das uns allen mit einem Fingerschnips alle Nöte nimmt. Im Gegenteil: Ziel der Veranstaltung war auch, dass die auf der denkst! versammelten Elternblogger Tipps zum Umgang mit Smartphones zusammentragen und allen auf einer gemeinsamen Plattform zur Verfügung stellen. Bis ihr das lesen könnt, werden noch ein paar Tage vergehen. Doch ihr könnt euch auch jetzt schon viele Informationen und Hilfen bei Klicksafe.de holen.

Und wenn ihr selbst einen guten Tipp teilen möchtet, dann freue ich mich sehr über einen Kommentar zu diesem Beitrag.

*Jugend, Information, (Multi-) Media (JIM), Basisuntersuchung zum Medienumgang 12-19 Jähriger (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) nachzulesen hier. Ebenso lesenswert die Broschüre der Techniker-Krankenkasse: Abgetaucht nach Digitalien.

5 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Liebe Jonna,
    vielen Dank für diesen wundervollen Artikel. Ich selbst war beim Vortrag dabei und war geschockt über einige Wahrheiten bezüglich Smartphone-Nutzung bei Kindern. Dabei sind wir Blogger doch sehr nah an der digitalen Welt und dennoch wissen wir offenbar nicht, was unsere Kinder tatsächlich im Internet sehen. Unsere Kinder müssen besser geschützt werden und das ist nur möglich über Aufklärung. In der Pflicht sehe ich alle Erziehungsberechtigten, die sich damit auseinander setzen und sich informieren müssen anstatt wegzuschauen! Dieses Thema muss definitiv weiter getragen und öffentlich diskutiert werden. Demnächst schreibe ich auch noch etwas dazu und eine Einladung für Daniel Wolff liegt schon auf dem Schreibtisch – ich möchte den Mann mit seinem Wissen in unsere Region (NRW) bringen. Selten hat mich ein Thema so gepackt!
    Herzliche Grüße, Stephie

    1. Jonna sagt:

      Liebe Stephie,
      mir ging es genau wie dir, deswegen musste ich mich auch gleich an den Schreibtisch setzen. Ich habe unserem Schuldirektor am Montag sofort die Flyer von Herrn Wolff in die Post gegeben und hoffe, dass wir ihn einmal zu uns an die Schule einladen können.
      Liebe Grüße
      Jonna

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