Letztes Jahr um diese Zeit habe ich mich Stück für Stück mit dem Konzept und Alltag unserer Internationalen Schule vertraut gemacht. Und da die Idee einer Internationalen Schule ist, auf der ganzen Welt nach vergleichbaren Standards zu unterrichten, kann es für die ein oder andere nützlich sein, hier unsere lessons learned zu lesen.
Wie ist eine internationale Schule aufgebaut?
Zur Erinnerung: Unsere Kinder starteten in Atlanta in Klasse 8 und 10. Sie waren also beide in der Secondary School, die jeweils in Middle School (Klasse 6-8) und Upper School (Klasse 9-12) unterschieden wird. Unsere Schule umfasste vom Kindergarten bis zum Abschlussjahrgang sämtliche Altersstufen, was aber nicht zwangsläufig jede Internationale Schule bietet.
Neben dem allgemeinen Headmaster gibt es entsprechend einen Head of Middle School und einen Head of Upper School (das machte schon mal 3 Newsletter für Mama, von jedem Head einen).
Dazu kommen die jeweiligen Head of Year, also die Jahrgangsleiter (nochmal 2 Newsletter), da nicht in Klassen unterrichtet wird, sondern nach einem Kurssystem pro Stufe (dazu gleich). Damit die Kinder auch einen persönlichen Betreuer haben, sind sie in Advisory Groups eingeteilt mit einem Advisory Teacher. (Wieder 2 Newsletter für Mama, macht jetzt schon 7 nach Adam Riese). Mit der Advisory Group beginnt und endet der Schultag. Der Advisory Teacher prüft die Anwesenheit; er bespricht allgemeine Informationen genauso wie Persönliches mit den Kindern und plant mit ihnen Aktionen wie die Spendenkörbe zu Thanksgiving. Auf den Stufenfahrten bildeten die Advisory Groups die Grundlage für die Einteilung bei den Ausflügen oder dem Essen.
Wie sieht der Stundenplan aus?
Der Stundenplan funktioniert ähnlich wie das Kurssystem bei uns in der gymnasialen Oberstufe und ist eine recht individuelle Angelegenheit. Die Kinder sitzen in jedem Fach mit anderen Mitschülern zusammen. Natürlich treffen sie mit dem ein oder anderen in verschiedenen Fächern zusammen, aber es dauert mitunter eine ganze Weile, bis sie merken: „Ach Mensch, das Gesicht kenn ich doch schon aus dem Mathe-Kurs.“
Es kann ziemlich überwältigend sein am Anfang, quasi 100 Kinder auf einmal kennenlernen zu müssen (so viele waren es bei uns pro Jahrgang) und sich zu orientieren: Wen kennt man aus welcher Schulstunde? Und wer hat mit wem die meisten Stundenplan-Überschneidungen? (Immerhin ein Anknüpfungspunkt für Gespräche und Pausen-Freundschaften).
Jeder Lehrer unterrichtet sein Fach in einem festen Raum, d.h. die Kinder wandern von Raum zu Raum, ebenfalls eine Orientierungsaufgabe für Fortgeschrittene.
Um das Ganze noch ein bisschen komplizierter zu machen, werden die 9 Fächer (eingeteilt in A-I) jeweils 6-stündig unterrichtet. Es gibt aber nur 6 Schulstunden am Tag (und nur 5 Tage in der Woche). Also funktioniert der Stundenplan nach einem rollierenden System: Tag 1 beginnt mit Kurs A und endet mit F; Tag 2 beginnt mit Kurs F und endet mit B; Tag 3 beginnt mit Kurs B und endet mit G usw. Verwirrt?
Keine Bange: An Tag 9 ist man wieder am Startpunkt und es geht von vorne los.
Vorteil (laut meiner Kinder): Kein Wochentag hat immer die gleichen Fächer, jedes Mal eine neue Mischung. Abwechslungsreich also.
Nachteil (laut Mutter): Man verliert schnell den Überblick. Deswegen haben wir als erstes bunte 9-Tage-Stundenpläne gemalt.
Trotz der allgemeinen Konfusion am Anfang haben wir aber kaum eine Frist verpasst, da Hausaufgaben selten bis zur nächsten Stunde, sondern fast immer bis zu einem bestimmten Datum aufgegeben werden (die Kinder lernen rückwärts zu planen). Außerdem arbeiten sie fast ausschließlich am Laptop, sodass man Buch und Heft für ein Fach auch nicht vergessen kann.
Einzig „verlaufen“ kann man sich und am falschen Tag, zur falschen Stunde vor dem falschen Zimmer stehen.
Wie sieht ein Elternabend aus?
Diesem Kurssystem entsprechend verläuft ein Elternabend (Back-to-school night) dann auch eher wie bei uns ein Elternsprechtag. Mamas und Papas rennen im Viertelstundentakt zu einem neuen Raum, um von Fach A bis I alle Lehrer in ihren Klassenzimmern abzuklappern.
Die Einladung kommt mit dem Tipp: Ziehen Sie bequeme Schuhe an, mit denen sie schnell über Treppen und durch die langen Flure kommen. Ich wäre zwar eh nicht auf die Idee gekommen, mich mit hohen Absätzen aufzubrezeln, aber damit outete ich mich als Ausländer. Die Amerikanerinnen erschienen wie aus dem Ei gepellt.
Ein Elternabend ist also eine sportliche Angelegenheit und man ist wie die Kinder überwältigt von der Anzahl Gesichter, denen man in jedem Raum neu zusammengewürfelt gegenübersteht. Kurz und knackig das Unterrichtsprogramm für das kommende Schuljahr vernommen und gleich wieder weiter spurten. Information steht im Vordergrund, nicht Kennenlernen.
Wie wird unterrichtet?
Ich habe es schon erwähnt (und auch schon einmal ausführlich darüber geschrieben): Das Unterrichtsmittel der Wahl ist der Computer. Aber was ist eigentlich das Konzept einer Internationalen Schule?
Der Middle School liegt das Middle Years Programme (MYP) zu Grunde.
Kern ist (wie überhaupt des gesamten Curriculums) projektorientiertes Lernen, interdisziplinär und mit viel Gruppenarbeit bzw. kaum Frontalunterricht. Dieses Video zeigt das ganz anschaulich.
Die Arbeit der Schüler wird in jedem Fach anhand von 4 Kriterien (A-D) bewertet. Das Foto zeigt, was unter den einzelnen Kriterien pro Fach jeweils zu verstehen ist.
Die Noten pro Kriterium reichen von 1 bis 8 (1 das Schlechteste und 8 das Beste) und da in einer Arbeit mehrere Kriterien geprüft werden können, bekommen die Schüler auch mehrere Teilnoten.
Klassenarbeiten wie bei uns in Deutschland (summative assessments) sind eher selten. Stattdessen gibt es Projektaufträge: zum Beispiel einen Poetry Slam in Deutsch schreiben, ein Zellmembran-Modell in Bio bauen, ein Educational Toy in Design entwickeln oder eine Step-Choreografie für Sport kreieren. Dazu verfassen die Kinder nach einem bestimmten Protokoll begleitende Berichte, die benotet werden.
Was bedeutet das International Baccalaureate (IB)?
Das Curriculum der Internationalen Schule führt zum International Baccalaureate (IB), einem Abschluss dem Abitur entsprechend. Das IB soll den Zugang zu Hochschulen weltweit ermöglichen. In Deutschland haben aber Absolventen immer wieder Probleme mit der Anerkennung. Hierzulande wird das IB von Universitäten nur anerkannt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind z.B. Mathematik High Level oder eine zweite Fremdsprache über mind. 5 Jahre. (Zur Anerkennung des IB an deutschen Hochschulen siehe auch den Beschluss der Kultusministerkonferenz in der Fassung von 2019)
Die letzten zwei Schuljahre an einer Internationalen Schule, also Klasse 11 und 12, unterliegen dem Diploma Programme (DP). Als Mama mit einem Kind in Klasse 10 durfte ich einige Elternveranstaltungen ausschließlich dazu besuchen. Mir dämmerte erst mit der Zeit, dass für amerikanische Eltern das DP gegenüber einem Highschool-Abschluss sehr erstrebenswert, aber auch sehr erklärungsbedürftig ist. Für mich dagegen war schnell klar, das läuft wie in der gymnasialen Oberstufe:
- Es gibt Grund- und Leistungskurse (Standard Level und High Level)
- Man muss aus jedem Bereich ein Fach wählen, also z.B. eine Naturwissenschaft
- Alle Noten ab Klasse 11 werden in die Abschlussnote einbezogen
Es wurde immer wieder betont: Selbst Standard Level-Kurse sind anspruchsvoller als ein Highschool-Kurs. Und: Wer das IB versiebt, hat automatisch ohne weitere Prüfung einen Highschool-Abschluss in der Tasche.
Aus amerikanischer Sicht kann man also gar nichts verlieren, im Gegenteil: US-Colleges machen Bewerbern von IB-Schulen, die alle Zugangsvoraussetzungen erfüllen, noch vor der Abschlussprüfung oft sogenannte unconditional offers. Der Studienplatz ist also unabhängig von der Endnote sicher. (Was US-Studierenden in diesem Jahr sehr geholfen hat, als weltweit die IB-Prüfungen im Mai wegen Corona abgesagt wurden).
Tipp: Falls du ergänzend Informationen suchst, welche anderen landestypischen Abschlüsse in Deutschland eine Hochschulzulassung ermöglichen, dann besuche das Portal „anabin“ der Zentralstelle zu ausländischen Bildungsabschlüssen.
Und hier geht es zum nächsten Buchstaben im Expatmamas-Wissen-Alphabet:
Auch in Kanada ist das IB sehr gefragt (für all die Expats, die ein Auslandsstudium für ihr Kind in Betracht ziehen, hier ist das Studieren nämlich günstiger ). Hier in Québec läuft das ganze unter PEI und ich finde die Struktur des Ganzen eigentlich gut. Es ist eine Tatsache, daß all diejenigen, die das Programm durchlaufen, Vorteile im CEGEP/College haben. Sie bekommen leichter einen Platz (denn auch hier gibt es so etwas ähnliches wie die ZVS) und sind besser vorbereitet. Auch die Arbeitgeber bevorzugen IB/PEI Absolventen. Hier in Quebec steht allerdings vor allen Dingen die Bilingualität Französisch-Englisch im Fokus, die sich hier fast jedes Elternpaar von dem Programm wünscht. Auch das Volunteering und Teamarbeit werden hier groß geschrieben. Hier besteht ein absoluter Run auf das Programm und es gibt Wartelisten für Public und private Schools. Man darf allerdings nicht vergessen, daß für das Programm extra Gebühren zu entrichten sind (auch auf der öffentlichen Schule) Allerdings kann ich schon verstehen, wenn das ganze für einen Deutschlandrückkehrer eher nachteilig ist.
Hallo Andrea,
das IB ist für Rückkehrer nicht per se nachteilig. Man muss nur sehr aufpassen bei der Fächerwahl und nicht unbedingt allein der Beratung an der Schulen vertrauen (dort ist man nicht unbedingt mit der deutschen Sondersituation vertraut). Auch für Amerikaner ist das Fremdsprachenprogramm und -niveau an Internationalen Schulen mit IB sehr attraktiv. Ich fand es toll, dass nur Muttersprachler Fremdsprachen unterrichten. Das ist ein großes Plus.
Liebe Grüße