Wir leben in Atlanta in einem Hochhaus – aus freien Stücken. Den mitleidigen Blicken und dem betretenen „Oh, I see“ unserer amerikanischen Mitmenschen nach zu urteilen, sind wir zu bedauern.
Vom Glück sich nicht kümmern zu müssen
Als das Schuljahr begann und ich gefragt wurde, wo wir wohnen, schien die Antwort „im Hochhaus“ noch in Ordnung. Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass die Annahme meiner Gesprächspartner war: „im Hochhaus – bis der Container kommt.“ Denn nach den Herbstferien fragten dieselben Menschen, wo wir denn inzwischen wohnten. „Immer noch im Apartment im Hochhaus“ war meine etwas verdutzte Antwort, die bei Vielen offenbar nicht ins Weltbild passte, denn ihr folgte fast betretenes Schweigen.
Mir war klar, dass man in Amerika – wie übrigens auch in England – seine Bleibe kauft, je früher je besser im Leben; das Ziel ist, ein eigenes Haus zu besitzen, und – wenn es gut läuft – mit jedem Kauf und Verkauf, ein nächst größeres Haus zu erwerben. Mieten ist eine Übergangslösung. Bis man genug Kapital hat (die Banken sind hier großzügiger); oder man ein passendes Kaufobjekt hat; oder bis z.B. die Scheidung durch ist. Tatsächlich ist der Anteil alleinstehender Männer in unserem Gebäude hoch; im Sommer sieht man sie das ganze Wochenende über in Grüppchen mit gekühlter Dose im Pool stehen und sich über Ex-Wives austauschen. Teilnehmende Beobachtung und nicht nur Vorurteil speisen meine Behauptung.
Die wenigen Familien scheinen tatsächlich alle Expats zu sein. Oder in der Warteschleife für ein Kaufobjekt, denn unsere kleine Hochhausinsel ist umgeben von den besten Adressen Atlantas für Einfamilienhäuser, viele davon gleichen wahren Anwesen. Meine Kinder sagen immer: „Deren Briefkasten vorne in der Auffahrt liegt ja schon in einer anderen Zeitzone.“
In so einer Nachbarschaft zu leben, sehe ich als Privileg und nicht unbedingt als bedauernswerten Zustand. Und das Hochhaus selbst ist für mich ebenfalls das Nonplusultra eines Wohnblocks – Korridore wie im Grandhotel, ein Concierge, der meine Pakete und die Hemden für die Reinigung entgegennimmt, ein Pool und gewienerte Aufzüge. Das Beste aber ist, dass ich mich um nichts kümmern muss.
Privilegien
Mir war klar, wieviel Arbeit mit dem Umzug nach Amerika auf mich zukommen würde, bis der Alltag organisiert wäre. Ich habe Kinder, die Fuß fassen müssen, und einen Job im Schlepptau und ich wollte mich nicht auch noch darum kümmern müssen, dass die Einfahrt gefegt oder die Dachrinne vom Laub befreit ist; dass ein Klempner für verstopfte Abflüsse organisiert wird oder jemand für ausgefallene Klimaanlagen gesucht werden muss. Ich wollte mich auf die Aufgaben konzentrieren können, die mir am Herzen liegen, und mich nicht in einer fremden Stadt in einem fremden Land durch Handwerkerverzeichnisse wühlen, um ein fremdes Haus in Schuss zu halten. Dazu hatte ich in England ausreichend Erfahrung gesammelt. Ich wollte einfach nur zum Frontdesk laufen und den Haus-Service informieren. Fertig. Verantwortung abgegeben und fokussieren können. Das ist ein unglaubliches Privileg in meinen Augen.
Freiheiten
Ich bin mit unserer Wohnungswahl aber nicht nur von lästigen Hausmeisteraufgaben befreit, sondern wir genießen dadurch auch eine in Amerika nicht selbstverständliche Bewegungsfreiheit: die Teenager-Kinder können zur Schule laufen und sind nicht wieder auf das Mama-Taxi der Kinderzeit angewiesen; ich selbst kann zu Fuß einkaufen gehen. Wir Eltern wissen die Kinder abends gut behütet, wenn sie allein bleiben müssen (was immerhin schon ein Mal vorkam oder zwei) und ich selbst mag es, das Leben hinter den erleuchteten Fenstern zu sehen. Dann fühle ich mich weniger allein in der neuen Welt.
All diese Dinge sind uns wichtig – und wer in Amerika zuhause oder einen anderen Lebensstil gewöhnt ist, wird diese Vorteile nicht sehen. Der wird nur ein ratloses „Oh“ hauchen und das Thema wechseln, während ich denke: Was haben wir doch ein Glück, in diesem Hochhaus wohnen zu können! Ich bin für all das dankbar und für uns war es die beste Entscheidung bei der Wohnungssuche.