Atlanta Tales

Repatriation Blues – oder: Die Geschichte vom Fuchs

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Jetzt sind wir schon seit 6 Monaten wieder in Deutschland. Alles in allem ein schönes, halbes Jahr. Trotzdem packt mich manchmal der Repatriation Blues und dann denke ich an die Geschichte vom Fuchs.

Als nämlich der kleine Prinz dem Fuchs begegnet, sagt der Fuchs:

“Wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt.”

(Der kleine Prinz, Antoine de Saint-Exupéry)

Ich liebe dieses Zitat. Für mich drückt es den Kern des Expatlebens gut aus: Man begegnet Neuem, macht es sich Schritt für Schritt vertraut, Menschen, Orte, Lebensweisen und wenn man wieder geht, dann bleibt da ein Loch.

Diese Leere spüre ich bei der Rückkehr. Jedes Mal. Und das ist für mich Reverse Culture Shock, denn mir wird bewusst, in Deutschland sind die Dinge, Menschen, Lebensweisen anders. Und es dauert einfach eine Weile, bis man sie sich wieder zu eigen macht.

Und was bleibt – sechs Monate später – von dem, was man sich in der Fremde vertraut gemacht hat?

Was vom Expatleben bleibt

Es bleiben Menschen. Hoffentlich.

Menschen, die man vermisst, weil man sich noch längst nicht alles erzählt hat, was man einander gerne erzählen würde. Menschen, die neue Perspektiven eröffnet haben. Menschen, die einen durch ihre Freundlichkeit berührt haben in dieser Zeit, in der das Gefühl des Fremdseins einen so verwundbar machte.

Es bleiben Kleinode.

Aus Amerika ist das für mich ein Sanddollar – gefunden an einem fast menschenleeren Winterstrand in Florida. Der erste meines Lebens. Ich liebe das zarte Blumenmuster. 

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Sanddollar-Skelett, sie gehören zur Klasse der Seeigel

Für mich ist dieser Sanddollar ein Symbol für die vielen ersten Male in der Natur, die ich mit den USA verbinde: die ersten Delfine in freier Wildbahn, die ersten Wale, die ersten Seekühe, die ersten Alligatoren, die ersten Adlerküken in einem Horst, die ersten Pelikane – Tiere, die ich nur aus Zoos kannte, zum Greifen nahe. Bilder, die ich sehe, wenn ich einen Sanddollar betrachte.

So wie vor meinem inneren Auge der wunderschöne Coton Manor Garden auftaucht, wenn ich aus einer meiner englischen Lieblingstassen trinke. Ich sehe im Frühling den Bluebell-Teppich im Buchenwald, im Sommer die Blumenpracht zwischen Teichen und Bächlein und wilden Wiesen, mit lustigen kleinen Hühnern überall, grazilen Flamingos und einem Papagei im Baum vor dem Tearoom. Ziel unzähliger Wochenendspaziergänge mit dem Kinderwagen in unserem ersten Expatleben. Ein Kleinod zwischen Hügeln und Schafweiden. Der Garten gewordene Ausflugskompromiss einer Ästhetik-hungrigen Mama, Auslauf bedürftiger Kleinkinderbeinchen und Besuchern, die nach etwas typisch-englischem lechzten.

Es bleiben innere Bilder.

Wieder daheim und doch allein

Als ich das erste Mal aus dem Ausland zurückkam, kannte ich in meiner neuen Heimat niemanden, dem ich meine Geschichten hätte erzählen können. Jetzt, beim zweiten Mal, gibt es keine Gelegenheiten. Corona sei Dank.

Ich kann nicht behaupten, dass mir der Lockdown in Deutschland leichter fällt. Ich werde des Alleinseins müde. Eigentlich ist das schon mein drittes Jahr mit magerem Sozialleben. 

2019 ging der Mann nach Amerika. Bis wir ihm sieben Monate später folgten, war ich mit den Kindern ein einziges Mal eingeladen worden, zum Mittagessen. 

An den Wochenenden lebte ich wie frisch getrennt oder verwitwet. Allein mit den Kindern. Ach, was schreib ich in der Vergangenheit. Seit der Rückkehr ist es im Grunde wieder so.

Dazwischen lag ein Jahr USA, in dem unser erwachsenes Sozialleben vor allem auf Schulveranstaltungen stattfand. Die ersten (und einzigen) Theaterkarten fielen dem Lockdown zum Opfer. 

Lockdown diesseits des Atlantiks

Immerhin können wir hier mehr Dinge tun, außer Spazieren zu gehen. Wir sind nicht länger in unserem Rapunzel-Turm im 20. Stock gefangen, sondern haben Platz eigene kleine Corona-Projekte zu starten. 

So haben wir – inspiriert von den Little Free Libraries in den USA – unsere eigene Bücherbox mit Kinderbüchern gebaut. Die Nachbarn freuen sich, leihen und tauschen rege und schreiben liebe Nachrichten auf nebenan.de

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Unsere kleine Bücherbox

Außerdem habe ich angefangen, meine vielen Ordner mit alten Briefen zu sichten. Wenn schon Urlaub nicht möglich ist, dann wenigstens eine kleine Reise in die eigene Vergangenheit. 

Ich habe Tränen gelacht bei diesem Brief, den eine Freundin nach meinem zweiten Umzug schrieb:

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„Ich bin so traurig, ich habe zwar nie mit dir gespielt, aber jetzt bereue ich es“

Ich habe mich alt gefühlt bei diesen Skizzen, die Partyeinladungen zierten:

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Lange vor Google Maps

Ich habe ein Tränchen verdrückt, als ich die Karte gefunden habe, die mir meine Klassenkameraden in Montpellier geschrieben haben. 1989 war das und sie haben mir zum Abschied ein Poster vom Mauerfall geschenkt.

Damals habe ich es zum ersten Mal kennengelernt das Loch im Inneren. „Wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen“, die Geschichte vom Fuchs kannte ich damals noch nicht. Nur das Gefühl.

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Bye-bye Fuchs! Bye-bye Garden Hills!

P.S.: Warum mich der Reparation Blues gerade jetzt trifft?

Der Mann kam zu Weihnachten mit der frohen Botschaft heim, dass auch er im Mai zurückkehren wird. Große Freude und gleichzeitig die Erkenntnis: Das war es!

Als wir im Sommer das Flugzeug in Atlanta bestiegen, waren wir sicher: wir kommen 2021 wieder und werden uns richtig verabschieden an der Schule, bei Freunden. Wir werden nochmal in unseren Betten schlafen, noch mal die Skyline bewundern, nochmal unsere Wege gehen … Vielleicht können wir nach Corona als Touristen wiederkommen. Es wird trotzdem nicht dasselbe sein.

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P.S.: Einen Buchtipp zur Rückkehr aus dem Expatleben findest du übrigens hier: Zuhause, aber trotzdem fremd.

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