Dir erscheint diese Überschrift, wie aus der Zeit gefallen? Du fragst dich: Sie schreibt ausgerechnet jetzt über Corona? Ja und nein. Ja, weil der Text jetzt erscheint. Nein, weil ich ihn schon letzte Woche geschrieben habe – zumindest größtenteils und er deswegen auch nicht ganz so endet, wie anfangs gedacht. Soll ich ihn deswegen in den Papierkorb werfen? Ich habe mich dagegen entschieden. Denn was ich schreibe, ist tatsächlich immer noch unser Alltag in den USA.
Mein Beitrag zur Blogparade von Flausen und Wunder
Die Idee zu diesem Text kam aus Singapur. Expatmama Vicky fragte für ihre Blogparade: Wie sieht eigentlich dein Corona-Alltag aus? Im ersten Moment war ich versucht zu sagen: Hmm, Schule, Arbeit, Haushalt. Eigentlich wie immer. Stimmt. Aber natürlich nicht so ganz. Ein paar kleine Dinge sind doch anders als sonst, sie haben sich in unseren Rhythmus quasi eingeschlichen und man merkt es erst, wenn jemand danach fragt.
1 – Masken tragen
Zuerst das Offensichtliche: Wie die halbe Welt tragen wir Masken – nicht weil es irgendeine Verordnung gäbe (in Supermärkten wird lediglich darum gebeten und mancher lehnt den am Eingang gebotenen Mundschutz dankend ab), sondern aus Überzeugung. Die Maske hält die Tröpfchen im Zaum, die die Grundlage für die Aerosole sind, die wiederum 90 Prozent der Infektionen verursachen.
Ich warte immer noch drauf, dass sich jemand bedankt, dass ich auf ihn Rücksicht nehme. Noch lieber wäre mir allerdings, meine Gegenüber würden selber eine tragen – mir zuliebe.
2 – Kopf schütteln und Schulterzucken
Schon an anderer Stelle habe ich geschrieben: das amerikanische Krisenmanagement provoziert bei mir in erster Linie Kopfschütteln, Schulterzucken oder manchmal – je nach Anwandlung des Präsidenten – hysterisches Lachen (ich sage nur, Chlorox injiziieren). Doch während das im Lockdown die offiziellen Verlautbarungen betraf, geht es jetzt um meine Mitbürger. Da bemühen sich die Schulen um Drive-thru-graduation-Feiern für ihre Absolventen, jeder schön im eigenen Auto zwecks Distancing und dann feiern alle daheim zusammen Party. Ergebnis: mehrere Absolventen der Elite-Anstalt sind jetzt positiv auf Covid19 getestet. Glückwunsch!
Die Ansteckungslogik dieser Pandemie scheint auch für die Crème de la Crème dieses Bildungssystems zu komplex. Oder man hält sich für unanfechtbar. (Etwa weil die Mehrheit der Toten bisher Latinos und Afroamerikaner waren?)
Ach, und erstaunlicherweise klettern die Fallzahlen weiter seit den Öffnungen am 1. Mai. Und nicht nur, weil man jetzt mehr testet. Inzwischen sind wir in unserem Bezirk mit einer Millionen Einwohner bei 4638 Fällen, 242 Toten und 876 im Krankenhaus (Stand 02.06.). Und das entspricht nur einem Bruchteil Atlantas, das 4,5 Millionen Einwohner hat.
3 – Spazieren und wandern gehen
In unserem Bemühen nicht zur Statistik beizutragen, beschränken wir uns auf Outdoor-Aktivitäten und gehen jeden Tag mindestens eine halbe Stunde spazieren. Am Wochenende ein bisschen variiert durch leichtes Wandern. Mein Smartphone verkündet triumphierend, dass ich mehr Schritte mache als im letzten Jahr, und fast jede Woche mehr als in der Vorwoche. Das ist doch was. Ich gehe ausgerechnet in Amerika mehr zu Fuß als daheim ohne Auto!
4 – Filme schauen
Wenn wir dann mit schweren Beinen am Wochenende auf dem Sofa sitzen, wird die cinematographische Fortbildung der Teenager geplant. Sie müssen amerikanische Kassenschlager unserer Jugend erleben (u.a. Zurück in die Zukunft), die liebsten romantischen Komödien der Studienjahre (z.B. Notting Hill), genauso wie das ein oder andere deutsche Kinokleinod („Kleine Haie“ lässt grüßen). Merkwürdigerweise ist unser Repertoire seit Mitte der 00-Jahre etwas eingeschränkt. Hier sind Filmtipps sehr willkommen. Gerne auf Englisch (damit die Teenies nicht ganz die Sprache vergessen) und bitte ohne Drama. Tod und Unglück können wir gerade alle nur schwer verkraften.
5 – Nachtisch servieren
Hier oben im 20. Stock ist das wie auf der Bohrinsel – solange die Verpflegung stimmt, ist die Meuterei halb abgewendet. Deswegen gibt es auf dem Corona-Speiseplan, was ich sonst höchstens für Gäste mache: Nachtisch.
Ich bin kein Nachtisch-Mensch; ich mag mir den Geschmack eines Essens nicht im Nachhinein mit Süßem zudecken (zu einem Stück Schokolade vor dem Schlafengehen sag ich allerdings nicht nein), aber die Familie lieeeeebt Nachtisch. Also gibt es jetzt Vanilleeis zu den Erdbeeren, Rhabarber-Crumble oder gaaaanz selten Mousse au chocolat. Zum Leidwesen meiner Mitbewohner nicht immer, aber immer öfter.
6 – Schlange stehen
Vor Lebensmittelläden Schlange zu stehen, das ist für mich prägend gewesen, das kannte man ja nur von Nachkriegsbildern oder DDR-Geschichten. Ja, ich schreibe „gewesen“, denn seit zwei Wochen sind die Schlangen verschwunden. Ich weiß nicht genau warum. Ich gehe zu den gleichen Zeiten in die gleichen Läden, in denen offiziell immer noch die gleichen Beschränkungen gelten hinsichtlich der zugelassenen Kundenzahl. Vielleicht gehen jetzt wieder alle im Restaurant essen und brauchen weniger Lebensmittel daheim? Oder man hat angefangen, die Tonnen an Vorräten aufzubrauchen? Ein Rätsel. Aber mir ist es ganz recht, wenn ich nicht mehr einen ganzen Vormittag brauche, um den Kühlschrank zu füllen.
7 – Podcast hören
Ja, ich bin auf den Podcast gekommen. Ich bin noch immer kein Multitasker und mich stört das Gequatsche im Ohr bei den meisten Tätigkeiten, aber ich wollte diese Pandemie verstehen und die erklärt keiner besser als Christian Drosten im NDR „Corona-Virus Update“ .
Und bei den vielen Spaziergängen kann ich auch manchmal ein paar Meter allein laufen und dann höre ich ab und zu bei „Pod Save America“ rein, um den Glauben an die Vernunft in diesem Land nicht ganz zu verlieren. Dieser Podcast ist alles andere als politisch neutral, aber in ihm kommen Menschen zu Wort, die Wissenschaftler schätzen, Rassismus entlarven und sich für ein Miteinander im Land engagieren. Das brauch‘ in manchmal.
8, 9 und 10
Diese drei Bilder werde ich wohl schuldig bleiben in dieser Blogparade. Sorry Vicky.
Quasi über Nacht wurde unser Corona-Alltag überlagert von der nächsten Krise: die Proteste, die der Mord an George Floyd hier in Atlanta und den gesamten USA ausgelöst hat. Wir haben wieder eine Ausgangssperre, wenn auch nur nachts, und man muss traurigerweise feststellen, dass wir mittlerweile geübt sind im Zuhausebleiben.
Liebe Vicky, ich danke dir für die Idee zu diesem Text. Und wer mitmachen will bei „Unser Corona-Alltag in 10 Bildern“ kommt hier direkt zum Aufruf zur Blogparade bei Flausen und Wunder in Singapur.
Derweil werde ich versuchen, meine Gedanken zu den Ereignissen auf den Straßen Amerikas zu sortieren.