Atlanta Tales

Leben im Hochhaus – Teil IV

Leben im Hochhaus - Teil 4 - www.expatmamas.de/blog/ - #imauslandzuhause #expatmamas #covid19

Wer hatte nochmal die Idee, beim Umzug nach Atlanta ins Hochhaus zu ziehen? Wer wollte lieber auf einen Garten verzichten, als die Kinder morgens zur Schule zu kutschieren? Ach, das war ja ich. Aber das war in einer anderen Zeit. Das war in einer Zeit, in der ich dachte, die größte Gefahr für Leib und Leben in Amerika wären Bekloppte mit Schusswaffen. Da dachte ich auch noch, die Kinder wären jeden Tag bis um vier in der Schule und ein Gemeinschaftspool wäre toll, weil sich jemand anders drum kümmert.

Leben ohne Garten

Kümmern würde ich mich jetzt liebend gerne. Um die Vogelhäuschen und Meisenknödel. Um den Rosenrückschnitt und das alte Laub in den Beeten. Selbst für das Moos im Rasen wäre ich dankbar. Ein bisschen Buddeln und Schnippeln zum Ausgleich. Wir hätten die Hasen und Vögel als Gesellschaft und vielleicht könnte man über den Zaun hinweg einen Schnack halten.

Ja, ich weiß. Es leben viele andere eingeschlossen, mit kleineren Kindern, in beengteren Verhältnissen, schon über längere Zeiträume. Trotzdem darf man sich nach Orten sehnen.

Jeder findet seinen Ausgleich woanders. Der eine beim Joggen. Der andere beim Yoga. Beim Stricken oder Malen. Ich finde meinen immer im Garten.

Zum Trost habe ich mir beim letzten Einkauf bei Trader Joe’s drei Töpfe mit Frühlingsblumen gegönnt. Inzwischen muss ich mich aber fragen, oben es ein strategischer Fehler war, Tulpen statt Toilettenpapier in den Wagen zu legen.

Social Distancing im 20. Stock

Immerhin: Social Distancing fällt uns nicht allzu schwer im 20. Stock. Die meisten Nachbarn sind uns unbekannt und die ersten zarten Freundschaften hier im Ausland hatten sich noch nicht zu allwöchentlichen Treffen entfaltet. Unsere soziale Fallhöhe ist also in dieser Hinsicht nicht besonders hoch. Man kann nicht entbehren, was man nicht wirklich hatte.

Die Kinder allerdings sind jetzt arbeitslos: Gerade erst hatte Kind 1 das Babysitten begonnen und Kind 2 war Gassi-Geher für eine kleine Hundedame geworden. Das ist nun erstmal vorbei.

Die Gemeinschaftsräume im Poolhaus sind auch bis auf Weiteres geschlossen. Das ist zu verkraften. Einzig der Drucker im Study wird mir fehlen. Und vielleicht würde man gerne mal in einem anderen Sessel als dem eigenen sitzen. Einfach so zur Abwechslung. Oder eine Runde Billard spielen. Notwendig ist aber nichts davon.

Begegnen kann man sich also höchstens noch im Aufzug, aber auch da verzichtet der ein oder andere aufs Zusteigen. Die Kinder haben Anweisung, die Knöpfe nur noch mit dem Ellenbogen zu bedienen und sie sind es gewohnt, dass man sich bei mir ja immer schon „für jeden Sch… die Hände waschen“ musste.

Blick aus dem Fenster

Noch sind wir hier nicht so weit, dass wir in unseren Wohntürmen auf den Balkonen gemeinsam musizieren oder uns zur Cocktailstunde treffen wie in Italien. Da müssen noch ein paar einsame Wochen ins Land gehen. (Und noch lieber wäre mir, es müsste nicht wo weit kommen.)

Zu Hause bleiben scheint für viele im Moment vor allem zu bedeuten, morgens länger zu schlafen. Wenn ich aufstehe, um die Kinder wie immer für die Schule zu wecken, liegen die Wohnungen gegenüber noch im Dunkeln.

Abends sind mehr Lichter an als gewöhnlich und Mann im Penthouse gegenüber kocht mit freiem Oberkörper, um nebenher ein paar Hanteln zu stemmen, seit das Gym zu hat.

Tagsüber stehen jetzt viele Balkontüren offen, manchmal kommt auch ein Mensch mit Kaffeetasse heraus. Ich nehme mir vor: Wenn jemand hochschaut, dann werde ich winken. Nur so. #spreadkindness heißt es doch überall gerade in den sozialen Netzwerken. Geht sicher auch im echten Leben.

Seit die Boutiquen zu unseren Füßen geschlossen haben, vermisse ich beim Blick auf die Straßen schon fast die Karawane gemächlich rollender Limousinen vor dem Valet-Parking. Der Laubbläser-Mann morgens um halb neun ist dagegen noch da. Pünktlich heult das Gebläse zu uns herauf. Und in den Blumenrabatten am Straßenrand dudelt immer noch die Musik. Man kann sie jetzt im Vorbeigehen viel besser hören.

Jenseits der eignen vier Wände

Abgesehen von meiner Garten-Sehnsucht ist noch offen, was für uns auf Dauer mehr zur Herausforderung wird: die Tatsache, dass wir im Hochhaus leben oder der Fakt in den USA zu sein.

Mister T hat offenbar immer noch nicht die Tragweite der Geschehnisse begriffen und wird inzwischen von einigen Gouverneuren rechts überholt – nicht im politischen Sinne (das dürfte bei Trump kaum möglich sein) – sondern was Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie angeht. Trotzdem! Alles immer noch zu zögerlich für meinen Geschmack!

Beim Einkaufen sind die Amerikaner offenbar noch besser im Regale-leer-räumen als die Deutschen (oder sie haben mehr Übung dank Wirbelstürmen und Erdbeben). Inzwischen wird auf Schildern in den Läden hingewiesen, dass pro Einkauf nur noch 2 Liter Milch, 2 Kartons Eier, 5 Pfund Kartoffeln, je 2 Tiefkühlprodukte und nur 1 Packung Klopapier mitgenommen werden dürfen. Nudeln, Reis, Konserven sowieso. Die Gewürzregale sind auch geplündert. Viele scheinen in der Küchenausstattung bei Null anzufangen.

Einige lernen also jetzt erstmal kochen. Und die Verantwortlichen hoffentlich von den Chinesen (nicht Ente süß-sauer, sondern Krisenmanagement).

Bleibt gesund! Und wenn ihr einen Garten habt, genießt ihn.

Autor

Jonna Struwe, freiberufliche Autorin, Bloggerin und Gründerin von Expatmamas.de, dem Portal für Familien im Ausland

2 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Alexandra Lehr sagt:

    Liebe Jonna,
    Ich fühle mit Dir, denn auch ich bin ein Gartenmensch und muss ab und zu mal graben und buddeln…Bei uns in Minnesota ist es zwar noch kalt, aber trotzdem ist es in der aktuellen Situation schön, einfach mal nur altes Laub weg zu rechen und den Patio zu fegen. Als wir vor rund 3 Jahren als Expats nach Minneapolis gekommen sind, hatten wir auch die Wahl zwischen einem downtown Apartment mit skyline Blick und einem Haus in einem der typisch amerikanischen Familien neighborhoods, weiter draußen auf dem Land. Was soll ich sagen, wir mähen einen halben Acre Rasen, schneiden Hecken, fegen usw. aber ich bin aus heutiger Sicht trotzdem froh, dass es so ist!
    Danke für deine tollen Texte, stay healthy and take care,
    Alexandra

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