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Wie ein Fisch im Wasser

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Wie ein Fisch im Wasser – so wohlfühlen möchte man sich als Expat im Ausland. Doch das geschieht nicht einfach von heute auf morgen und alle erleben in der Eingewöhnungszeit Momente, in denen man sich eher wie der sprichwörtliche Fisch auf dem Trockenen fühlt. Kulturschock nennen das Anthropologen und Annette Jall erklärt, was es damit auf sich hat.

Kulturschock

Ein Gastbeitrag von Annette Jall

Ein Evergreen und ein wichtiges Thema, womit sich jede*r, der ins Ausland geht, auseinandersetzen sollte, ist der Kulturschock. Es ist wichtig, sich als Expat + Familie auf die neue Zeit bei einer Entsendung vorzubereiten und daher gehört auch ein kleiner Exkurs in die Theorie des Kulturschocks, um den Prozess besser verstehen zu können. 

Es ist ein sehr umfangreiches Thema und ich versuche es kurz zu halten. 

Die Kulturschock-Kurve

Viele Wissenschaftler haben sich dieses Themas schon angenommen und alle Modelle ähneln sich. Ich nehme zur Erläuterung gerne das Oberg-Modell (Kalervo Oberg, ein US-amerikanischer Anthropologe mit finnischen Wurzeln) zur Hand.

Modell nach Oberg

Wir sehen einen Mittelstrich, der die Zeit darstellt, ohne weitere Angaben, da der Zeitverlauf bei jedem unterschiedlich ist. Gleichzeitig stellt dieser Strich aber auch das Mindestmaß an Zufriedenheit dar, sprich der Durchschnitt zwischen den positiven und negativen Gefühlen. 

Die erste Phase nennt sich Honeymoon-Phase, alles ist neu und aufregend. Wir stehen (meist) in freudiger Erwartung vor dem neuen Abenteuer: ein neues Umfeld, neues Haus, neues Essen, alles rund um die neue Umgebung … die Liste ist sehr individuell. Ich persönlich mag auch das Wort Touristen-Phase; wie ein Start in einen vermeintlich längeren Urlaub und so fühlt es sich am Anfang manchmal auch an. 

Doch dann stolpern wir in die zweite Phase und die Kurve geht in den Bereich der negativen Gefühle. Diese Phase nennt sich Kulturschock, da stellen wir fest, dass vielleicht doch nicht alles besser ist als vielleicht erhofft, und der Urlaub stellt sich als ein anstrengender Alltag heraus. Wir bekommen vielleicht Heimweh und die einfachsten Dinge sind ständig unfassbar anstrengend – eben der tägliche Sprung aus der Komfortzone. Dabei kommt es nicht selten vor, dass man den Sinn der Entsendung hinterfragt. Natürlich ist dies nun eine drastische Ausführung, aber vielleicht erkennt sich jede*r darin ein bisschen wieder. 

Nach Regen folgt bekanntlich Sonnenschein und die Kurve geht wieder aufwärts. Dieser Zustand der Eingewöhnung erfolgt schleichend und ist eigentlich schon der Begleiter von Anfang an. Es kommt der Tag, wo uns auffällt, dass einige Anfangsdinge nun einfacher von der Hand gehen. Wir werden ruhiger und vieles wird gewöhnlicher. Wir haben das System verstanden, womit wir am Anfang so gekämpft haben. 

Schlussendlich ist das Ziel, in die stabile Phase, ich nenne sie auch gerne die „wertschätzende“ Phase, zu kommen. Wir sind im neuen Alltag angekommen und können auch einzelne Dinge der neuen Umgebung schätzen und für uns übernehmen. 

So wie ich die Phasen dargestellt habe, ist der durchschnittlich typische Verlauf der mit einem deutlich positiven Trend. Für manche bleibt die Kurve aber vielleicht nur in einem neutralen Bereich ein, sprich sie kommen mit der neuen Situation zwar klar, aber ohne weitere größere Euphorie. Schwierig wird es, wenn wir im negativen Bereich verweilen (s.u. Kulturschock als Krankheit). Dies zieht häufig einen früheren Abbruch der Entsendung nach sich. 

Wer jetzt denkt: „Cool, einmal die Phasen durch und dann ist es geschafft!“, der irrt leider.

Es kann mehrmals hoch und runter gehen. Gründe können zum Beispiel die Veränderung der eigenen Lebensumstände im Ausland sein, wie z.B. die Geburt eines Kindes.

Anpassung nicht nur an die Kultur

Wenn wir über Kulturschock sprechen, sprechen wir eigentlich über den gesamten Anpassungsprozess. Dieses Wort ist aus meiner Sicht zutreffender.

Die Kultur des Gastlandes stellt zwar im ersten Jahr einen enormen Faktor in unserem Anpassungsprozess dar. Doch wenn wir über die Hochs und Tiefs im Akkulturationsprozess sprechen, geht es auch um die Anpassung der eigenen Persönlichkeit z.B. an neue Rollen und die Frage der Identitätsfindung. Wer vom Vollzeitjob in eine „Stay-at-home“ Situation finden muss, leistet eine Anpassung, für die die Kultur und die neue Umgebung nichts kann. Dies hat allein mit uns selbst zu tun und ist unsere Eigenverantwortung, wie wir damit zurechtkommen. 

Daher zusammenfassend: der Kulturschock ist der Anpassungsprozess an unsere neue Umgebung und die neue Kultur des Gastlandes, aber auch die individuelle Anpassung an eine neue Rolle oder Lebenssituation.

Und wichtig: jede*r nimmt diese Phasen auch unterschiedlich wahr – von kaum bis stark. Es ist eine Frage der Persönlichkeit und der Umstände. 

Kulturschock als Krankheit

Typische Symptome des Kulturschocks reichen von Heimweh, Angst und Misstrauen, einem erhöhten Schlafbedürfnis, Zurückgezogenheit, Gereiztheit bis hin zu Schmerzen und weiteren Krankheitssymptomen. Natürlich sind einige der Symptome vorübergehend normal und in Ordnung. Dennoch: Sind diese Symptome dauerhaft, muss man sie ernst nehmen. Die WHO hat darum den Kulturschock als Krankheit (ICD 11) anerkannt und man sollte unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, wenn die sich die genannten Symptome verstetigen. 

Es gibt viele Maßnahmen, die man ergreifen kann, um mit dem Kulturschock umzugehen. In der Vorbereitung hilft ein interkulturelles Training enorm weiter, um sich auf kulturelle Unterschiede sowie auf das Expatleben im Allgemeinen und als Familie vorzubereiten. Was man weiß, kann einen weniger überraschen! 

Vor Ort dann die Regel Nummer 1: Achtsamkeit mir dir selbst! Suche dir auch schnellstmöglich eine Community, mit der du dich austauschen kannst – das hilft enorm weiter. 

Zum Schluss möchte ich aber auch noch auf die positiven Seiten des Kulturschocks zu sprechen kommen. Hier nur einige positive Aspekte, wenn du die Phasen erfolgreich gemeistert hast:

  • Du wirst widerstandsfähiger
  • Du entwickelst interkulturelle Kompetenz
  • Du lernst dich selbst besser kennen
  • Du lernst, neue Dinge auszuprobieren

Wie schon eingangs gesagt, es ist ein sehr umfangreiches Thema und es gibt noch so viel rund um den Kulturschock bzw. den Akkulturationsprozess zu wissen. Wenn du also mehr erfahren möchtest über Kultur, Kulturschock und wie du dich auch als Expat + Familie auf das Leben im Ausland vorbereitest, freue ich mich über deine Nachricht: annette@halloguide.com

Annette Jall - www.expatmamas.de/expatmamas-blog/ #expatmamas #imauslandzuhause #kulturschock

Annette Jall ist zertifizierte Interkulturelle Trainerin und „Expat Wife“. Der amerikanische Kontinent lässt sie dabei nicht los, nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Mexiko lebt sie nun in den Südstaaten der USA. Sie weiß, wie anstrengend ein Ankommen im neuen Land sein kann und wie herausfordernd das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen im Arbeits- und Privatbereich ist. Kontaktiert sie gerne über LinkedIn.

4 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. Kerstin sagt:

    Liebe Annette,
    danke für den Beitrag. Aus der aktuellen Situation heraus kann ich nur sagen, dass sich das einfach liest und in der Wirklichkeit noch viel komplizierter ist. Wir sind jetzt seit gut 5 Monaten in den USA und ich glaube, endlich angekommen. Das Tal haben wir durchschritten. Woran ich das festmache? Als wir aus dem Spring Break Urlaub zurück gefahren sind, hat es sich angefühlt, wie nach Hause kommen! Ein wirklich gutes Gefühl.
    Aber bis hierhin war es echt hart. Auch mit Seminaren und vielen anderen Informationen hat uns der Kulturschock hart getroffen. Will man alles eigentlich nicht zugeben, aber manchmal ist es besser, man schaut der Wahrheit ins Gesicht und gibt zu, dass nicht alles „easy“ und „cool“ ist. Vor allem nicht dann, wenn man mit Pubertieren (15/17), die Freunde und die erste Freundin in Deutschland haben lassen müssen ins ländliche zieht. Ok, zu Hause zu Hause (so nennen wir Deutschland) war es auch ländlich.
    Die Vorstellungen von „Wir ziehen in die USA“ sind doch hauptsächlich an tolle Städte, Strand, Meer, Wüste, Glitzer und Glamour gekoppelt. Das wahre Leben sieht allerdings ganz anders aus. Ich bin froh, dass wir das „normale“ USA-Leben leben und ab und zu ein bisschen Glitzer drüber streuen, wenn wir reisen und uns andere Staaten und Städte anschauen.
    Ich bin gespannt, wie es sich weiter entwickelt und freue mich über all die Erfahrungen die wir, aber vor allem unsere Pubertiere sammeln!

    Auch steinige Wege wollen gegangen werden! Raus aus der Komfortzone – rein ins Leben!

    LG, Kerstin

  2. Kerstin sagt:

    … Ergänzung zu meinem ersten Kommentar:
    Überall ist viel zu lesen, wie man es am besten macht, mit Kindern umzusiedeln. Aber da ist immer die Rede von kleinen Kindern. Das unterscheidet sich aber immens von unserer Situation. Ich würde nämlich mal behaupten, dass es im Alter bis 12/13 Jahren wenn auch nicht einfach, aber bei weitem nicht so herausfordernd ist, wie mit 15/17. Da helfen leider keine Kinderbücher. Aber wir werden es meistern! Aufgeben kam für uns noch nie in Frage.

    1. Jonna sagt:

      Liebe Kerstin,
      es ist sicher schwer mit Teenagern, denn die Peers spielen da eine große Rolle, während die Familie in den Hintergrund tritt. Das ist altersgemäß. Nicht umsonst gehen nur wenige Familien mit Kindern im Teenager-Alter zum ersten Mal ins Ausland. Ich fand es auch nicht leicht mit 14 bzw. 15-jährigem Kind in die USA zu gehen. Trotzdem glaube ich immer an die Möglichkeiten von Büchern, damit sich Kinder gesehen und verstanden fühlen, indem sie sich mit Protagonisten in ähnlichen Situationen identifizieren können. Elektrische Fische ist ein Titel, den man auch mit 15 lesen kann. Bücher sind natürlich kein Allheilmittel. Und wenn du das Gefühl hast, dass sich eine Situation im Negativen verfestigt, dann hilft den Kindern vielleicht das Angebot von Ann Wöste Alles Gute Jonna

    2. Annette Jall sagt:

      Liebe Kerstin, vielen Dank fürs Teilen deiner bisherigen Erfahrungen. Und ja, es ist und bleibt – trotz des Wissens – anstrengend. Dennoch, zu wissen das der Kulturschock normal ist, gibt eine Zuversicht. Man freut sich auf die besseren Tage und geht gestärkter hervor. Das mit dem Glamour, Glitzer etc. ist in Bezug auf USA tatsächlich sehr üblich, man nennt es den „Movie Factor“. Wir denken häufig, dass wir das Land & Kultur kennen und uns doch so ähnlich ist – dieser Schein trügt.
      Und ja, wie schön dein Schlusssatz, dem ich nur zustimmen kann: „Das Leben beginnt außerhalb der Komfortzone“! Die Tipps von Jonna sind auf jedenfall auch sehr hilfreich.
      Ich wünsche euch weiterhin eine großartige Zeit!
      Alles Liebe, Annette

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