Schweigen ist Silber
Während in Deutschland heute die Karneval-Saison startet, wird in unzähligen anderen Ländern auf der Welt der Remembrance Day begangen. In England wird er auch Poppy Day genannt, weil viele im Gedenken eine Mohnblüte (Poppy) am Revers tragen. Vielleicht ist kein anderer Tag besser dazu geeignet, sich als Deutsche im Ausland fehl am Platz zu fühlen. Mir ging es jedenfalls so.
Gedenken an die Gefallenen
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir der Remembrance Day nicht wirklich bewusst war bis zu dem Moment, in dem ich die ersten zwei Schweigeminuten meines Lebens verbrachte – im Supermarkt.
Zufällig war ich am Rememberance Day, also einem 11.11. um 11 Uhr einkaufen, und wurde vor dem Weinregal von der Durchsage überrascht, nun der Toten aller Kriege zu gedenken. Während in Deutschland die Jecken fröhlich zu tanzen begannen, verharrten alle reglos genau da, wo sie in dem Augenblick standen und gingen. Ein bisschen wie bei Dornröschen. Ich habe noch nie einen Laden in so vollkommener Stille erlebt.
Später an der Kasse beim üblichen Small talk, ob ich mit meinem Einkauf zufrieden sei, fügte der Verkäufer hinzu: „Sie sind aber nicht von hier.“
Wie im Reflex fühlte ich mich sofort persönlich verantwortlich für alle Weltkriegstoten. Würden mich jetzt die Nazi-Gräuel einholen? In meiner Erstarrung brachte ich nur ein: „Oh! – Nein, bin ich nicht“ heraus.
Freundlich fuhr der Kassierer fort: „Ich tippe auf einen südafrikanischen Akzent.“
„Oh, really?“, war alles, was ich entgegnen konnte. Der Rest war Schweigen. Ich traute mich nicht, zuzugeben Deutsche zu sein und stopfte meine Einkäufe still in die Tüten. Der Kassierer gab mir mit einem Lächeln die Belege: „Thank you for shopping with Waitrose. Have a nice day!“
Ein freundlicher Mensch wollte nur eine nette kleine Unterhaltung führen. Schweigen wäre nicht nötig gewesen, leugnen schon gar nicht.
Eine Mohnblüte als Symbol
Mittags holte ich meine kleine Tochter aus dem Kindergarten und sie strahlte: „Mama, wir haben heute ein Hündchen gebastelt.“
„Ein Hündchen?“ Ich konnte kaum glauben, dass ihre kleinen Fingerchen so etwas Kompliziertes basteln konnten.
„Doch, guck doch mal.“
Stolz zog sie eine Mohnblüte hinter ihrem Rücken hervor. Poppy – Mohnblüte, puppy – Welpe; meine Tochter kannte nur das Wort puppy. Was muss an diesem Morgen in ihrem dreijährigen Kopf vorgegangen sein? Vielleicht: Komisch, wie in England die Hunde aussehen?
P.S. Die Tradition, Mohnblüten zum Gedenken an die Gefallenen zu tragen, geht zurück auf dieses Gedicht eines kanadischen Soldaten aus dem 1. Weltkrieg
In Flanders Fields
In Flanders fields the poppies blow
Between the crosses, row on row,
That mark our place; and in the sky
The larks, still bravely singing, fly
Scarce heard amid the guns below.
We are the Dead. Short days ago
We lived, felt dawn, saw sunset glow,
Loved, and were loved, and now we lie
In Flanders fields.
Take up our quarrel with the foe:
To you from failing hands we throw
The torch; be yours to hold it high.
If ye break faith with us who die
We shall not sleep, though poppies grow
In Flanders fields.
written 1915 by Lieutenant-Colonel John McCrae