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Sprachlos

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Ich wollte über unsere ersten 100 Tage Atlanta schreiben in dieser Woche (und ich werde das auch noch tun). Aber etwas anderes drängt sich in mir vor, das vorher erzählt werden will. Es ist das Gefühl, gerade an eine unsichtbare Grenze zu stoßen. Ich fühle mich plötzlich sprachlos, obwohl ich fließend Englisch spreche. Diese gläserne Wand, gegen die ich laufe, schnürt mir das Herz ein, lässt mich wach liegen, treibt mir Tränen der Wut über die eigene Ohnmacht in die Augen. Was ist passiert? Meinem Kind geht es in der Schule nicht gut, ich rede mir den Mund fusselig und scheine nicht ausdrücken zu können, was mein Anliegen ist.

Wie ich spreche, bin ich

Es geht um emotionale Themen, um Werte, um den Umgang miteinander – die Geschichte spielt im Einzelnen keine Rolle. Ich spreche mit Lehrern, Counselorn und Principals und immer wieder ist da diese Wand. Mir wird in diesen Momenten bewusst, wie gerne ich mich bildlich ausdrücke im Deutschen. Ich will davon erzählen, dass ich finde, dass man an der Schule „mit Kanonen auf Spatzen schießt“, dass „sie das Kind mit dem Bad ausschütten“ in ihrer Art und Weise zu reagieren – gefühlt in jedem zweiten Satz platzt meine Formulierung im Kopf wie eine Seifenblase. Mir fehlen diese Redewendungen im Englischen, ich fange an zu umschreiben und habe dabei den Eindruck meinen Punkt zu verwässern, nicht mehr pointiert und eindrücklich zu sein. Und dabei wird mir bewusst, wie sehr ich meine Sprache, meine Ausdrucksweise als Teil meines Wesens empfinde. Dieses Gefühl war in Vergessenheit geraten, seitdem wir England den Rücken gekehrt haben. Jetzt ist es wieder da, genauso wie die Erinnerung an ein Zitat (leider ohne die Erinnerung an den Urheber):

Language is a weapon – keep it polished.

Und warum mich das an Astrid Lindgren denken lässt

Sprache, Sprachbilder sind meine Superkraft – und hier hängt sie schlapp runter wie ein lasches Papierschwert.

Ein bisschen Trost ist, dass ich mich mit diesem Ohnmachtsgefühl in guter Gesellschaft weiß. Nicht nur geht es anderen Expatmamas ganz genauso, sondern auch Astrid Lindgrens Freundin Louise Hartung schrieb ihr in einem Brief:

Die Sprachschranke [muss] […] für einen so von und in der Sprache lebenden Menschen wie Sie quälend sein […]; statt reich und verschwenderisch und überquellend wird man arm, sparsam und karg. Vor Jahren bin ich einmal Hals über Kopf von Paris abgefahren, weil ich es nicht mehr aushielt, diffizile Gespräche über bildende Kunst, Malerei und Musik zu führen, deren genauer Ausdruck mir in der fremden Sprache nicht zur Verfügung stand, Liebe und Freundschaft haben mir nicht ersetzen können, dass ich geistig arm wurde.

Nun, ich werde nicht Hals über Kopf abreisen – aber wegrennen oder mich verkriechen würde ich mich manchmal gerne. In der Realität sieht das dann eher so aus, dass ich bis mittags in der Schlafanzughose sitze und Texte wie diesen schreibe.

Auch das fällt wohl unter Kulturschock. Es wird vorbei gehen und ich werde dazu lernen, indem ich zuhause nachschlage:

*Mit Kanonen auf Spatzen schießen: to take a sledgehammer to crack a nut

*Das Kind mit dem Bad ausschütten: to throw out the baby with the bath water

(Manchmal klingt Englisch wirklich so, als hätte ICH es übersetzt. Seufz.)

P.S. Und ja: Es weht im Bild die falsche Flagge. Allein: eine andere hatte ich nicht zur Hand. Ich muss mir nicht nur sprachlich, sondern auch bildlich behelfen. Womit es wieder passt. :-)

Autor

Jonna Struwe, freiberufliche Autorin, Bloggerin und Gründerin von Expatmamas.de, dem Portal für Familien im Ausland

1 Kommentar Neues Kommentar hinzufügen

  1. Hannes sagt:

    Wieder eine sehr zutreffende Glosse von Dir, die einem ein Defizit vor Augen führt: So oft, wenn man vom Small-Talk in ein Thema mit Gehalt einsteigen will, fehlen einem die entsprechenden Sprachbilder (die es häufig dann in der vermeintlich beherrschten Sprache gar nicht gibt).

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