Brexit, EM-Niederlage – es vergeht gerade kaum ein Tag, an dem ich nicht an mein geliebtes England denke. Vier Jahre Expat-Leben hinterlassen eben ihre Spuren. Und da noch dazu der Sommer heuer in Süddeutschland eher trübe und nass ist, kommen ungefragt die Erinnerungen: Sommerwochen mit so richtig schönem Klischee-England-Regenwetter; Juli-Tage, an denen wir nicht viel vor die Tür gingen und selbst im Auto Angst haben mussten, nass zu werden. Im Auto nass? Ja, genau. Ich übertreibe ja selten.
Warnschilder für Pfützen
Auf meinem üblichen Weg nach Market Harborough musste ich immer durch Haselbech, ein Dorf ein paar Meilen die Straße hinunter. Besser gesagt: eine Häuseransammlung, durch die sich die Landstraße in einer starken S-Kurve windet. Die erste Kurve liegt gleichzeitig in einer Senke, in der an Regentagen schnell knietief das Wasser stand. Als auf einer meiner Touren in eben dieser Senke die Wasserfontänen über meinem Autodach zusammenschlugen, obwohl ich im Schritttempo durch den kleinen See steuerte, hatte ich verstanden, warum in den englischen Hügeln jede Hausfrau einen SUV fuhr. Mir wäre in dem Moment auch lieber gewesen, ich hätte auf dem Weg zum Einkaufen nicht fürchten müssen, zu ertrinken. Zu meiner Beruhigung hatte nicht beigetragen, dass am Ende dieses temporären Dorfteichs Warndreiecke aufgestellt wurden mit dem freundlichen Hinweis «Try your brakes».
An trockenen Tagen standen diese Schilder übrigens nicht dort. Es schien also eine Art Kurvenwart zu geben, der die Warndreiecke aus dem Schuppen holte, sobald der Wasserspiegel den einer Pfütze überstieg.
Zur Erklärung sei noch angefügt, dass Haselbech zwar etliche Häuser, ein Kirchlein und einen Rosamunde Pilcher würdigen, herrschaftlichen alten Reiterhof besitzt aber keinen Anschluss an die Abwasserkanalisation. Wer hier wohnt, zu dem kommt einmal im Monat der Tankwagen, um das hauseigene Jauchefass leer zu pumpen. Da staut sich halt auch der Regen ein wenig auf der Straße. Well…
Weather talk
Größeres Unbehagen machte uns seinerzeit nur noch, dass wir in jenem Sommer in einer entscheidenden Hinsicht unseren Gastgebern immer ähnlicher wurden: Wir redeten mit jedem zuallererst und ausführlich über das Wetter!!! Drei Jahre lang widerstrebte es uns Kontinentlern immer ein wenig, mit Kassierern, Nachbarn, Postboten, Kindergärtnern und wem sonst noch ausführliche Dialoge über Sonne, Wolken und Wind zu führen, aber der Dauerregen seit Juni hatte unsere inneren Widerstände aufgeweicht und wir wurden bekennende Praktizierer des «Weather talk».
Unseren ebenso aufgeweichten Gemütern war es ein schwacher Trost, dass es – laut Wetteraufzeichnungen – noch nie so viel geregnet hatte wie in jenem August und der Aufruf der BBC «Please define the British summer – without using the word sun» brachte uns fast zum Weinen. Immerhin: Der Regen war wärmer als in den Wintermonaten und meistens blies der Wind nur leicht, sodass man unterm Schirm halbwegs trocken blieb.
Potty training
Apropos trocken: Im gleichen Sommer entdeckte unser Sohnemann das Klo für sich. Für mich ein Schlüsselerlebnis zum Thema «Männer und im Sitzen pinkeln». Es bedarf offensichtlich keinerlei Fähigkeiten, um gekonnt unter der Klobrille hindurch zu pinkeln. Innen bleibt die Schüssel weitgehend unberührt, außen dagegen rinnt es in Strömen an ihr entlang und die Mutter bekommt beim Halten nasse Füße. (Sollte die Hose nicht weit genug heruntergezogen sein und noch in den Kniekehlen hängen, absorbiert sie den Strahl.)
Die Aufgabe bestand also darin eine Halte-Technik zu entwickeln, mit der ich den Burschen nicht in die Schüssel fallen ließ und trotzdem gleichzeitig mit meiner dritten Hand zwischen die Speckbeine kam, um durch manuelle Steuerung die Treffsicherheit zu erhöhen. Seither glaube ich Männern, wenn sie schwören, sie hätten sich auch ganz bestimmt hingesetzt, – und erkläre ihnen gleichzeitig, dass man einen Gartenschlauch auch festhalten sollte, wenn man ihn anstellt. – Nun, ich schweife wohl etwas ab…
Zurück zum englischen Sommer, zu diesem englischen Sommer. Das typische Inselwetter wird vom Brexit-Votum unberührt bleiben und ob der „Weather talk“ in Zukunft nur noch mit Visum möglich ist, wird sich zeigen. Fest steht: Die Insel macht es uns Kontinentlern nicht immer leicht, sie zu lieben. Aber ich werde mich nicht abschrecken lassen. Was vier englische Sommer nicht geschafft haben, schafft ein einziger erst recht nicht.
Der Text ist ein Auszug aus meinem ebook: Von Babys und Briten – Anekdoten einer Expat-Mama (Anm. d. Red.: Vergriffen seit 09-2023).