Mitte März stand es für Sibylle, ihren Mann und die zwei kleinen Kinder (8 Monate und 3,5 Jahre) plötzlich Spitz auf Knopf: Entweder sofort ins Flugzeug nach Australien steigen oder geschlossene Grenzen riskieren. Heute erzählt uns die Schweizerin von ihrem Hals-über-Kopf-Start ins Expatleben.
Ankunft in letzter Minute
e/m: Liebe Sibylle, wo genau bist du mit deiner Familie gelandet und vor allem wie war eure Ausreise?
Unser Umzug nach Adelaide in Australien war völlig anders als geplant.
In den Sonntagsnachrichten erfuhren wir, dass die USA die Grenzen für die Europäer ab sofort schließen. Für uns wurde in diesem Moment klar, wie ernst die Lage ist und dass es wohl eine Frage der Zeit ist, bis auch Australien für die internationalen Gäste die Grenzen zu machen würde.
Obwohl unsere Abreise erst in rund drei Wochen geplant war, waren wir an einem Punkt angelangt, wo es für uns kein Zurück mehr gab. Die Wohnung war vermietet und der Container wurde am nächsten Morgen mit all unserem Hab und Gut auf das Schiff geladen. Innerhalb von wenigen Stunden haben wir zusammen mit dem Arbeitgeber entschieden, alles umzubuchen und uns umgehend auf den Weg zu machen. Der Abschied war entsprechend kurz und alles andere als schmerzlos.
Im Flugzeug konnte man eine gewisse Anspannung der Crew spüren. Auch wir waren wie auf Nadeln, denn aufgrund von stündlich neuen Restriktionen der Länder wussten wir nicht, ob wir den Anschlussflug machen können oder am Ende in Australien am Zoll stranden.
Beim Transfer konnten wir sehen, wie viele Transitpassagiere stecken blieben. In ihren Gesichtern war die Stimmung zu erkennen, ohne dass man fragen musste. Irgendwo zu stranden, wäre eine Horrorvorstellung, gerade auch wegen den Kindern gewesen. Regelmässig kontrollierten wir die lokalen Medien und je näher wir Australien kamen, desto wahrscheinlicher wurde es, dass wir noch ins Land gelassen werden.
Da wir zu den wenigen Passagieren im Flugzeug gehörten, hatten wir endlos Platz und bekamen dazu noch eine Rundumbetreuung. Dies führte trotz der angespannten Situation und der Reise mit Baby und Kleinkind zu einem sehr angenehmen Flug. Und tatsächlich schafften wir es – einen Tag bevor auch in Australien die Grenzen geschlossen wurden.
e/m: Was war dein erster Eindruck?
Es war ein sonniger und warmer Abend, als wir angekommen sind. Aufgrund der Vorschriften gingen wir umgehend in unsere 14-tägige Selbstisolation in unsere Airbnb-Unterkunft. Einen ersten Eindruck hatten wir somit nur vom Wetter und das war toll.
Australien kannten wir aufgrund eines dreimonatigen Aufenthaltes 2019. Den Süden kannte mein Mann von einem kurzen Arbeitseinsatz, ansonsten war es für uns neu.
Von der Selbstquarantäne in den Lockdown
e/m: Wie war der Start für deine Familie?
Die ersten zwei Wochen, völlig abgeschnitten von der Außenwelt dauerten eine gefühlte Ewigkeit.
Unser Baby hat alles lachend weggesteckt. Für unseren 3,5 Jährigen war das Ganze sehr schwierig und endete in vielen Gefühlsausbrüchen.
Rückblickend gesehen war die Isolation für mich und meinen Mann zur Verarbeitung der letzten intensiven Tage vor der Ausreise ideal. Weil wir überhaupt nicht auf diese Selbstisolation vorbereitet waren, wurden wir richtige „Improvisationsprofis“. Es war schön zu sehen, dass die Kinderaugen mit einfachsten Dingen zum Leuchten gebracht werden konnten. Besonders eindrucksvoll finde ich, dass der Kleine noch heute mit den verrücktesten Bastelideen ankommt und diese auch mit einfachen Mitteln umsetzt.
e/m: Wann kamen die ersten Einschränkungen wegen Corona?
Der Lockdown kam am Tag nach unserer Ankunft. Auch das Reisen innerhalb Australiens wurde untersagt. Nur für dringende Angelegenheiten und die Arbeit durfte man das Haus verlassen. Weil wir sowieso in der Selbstisolation waren, nahmen wir die Auswirkungen auf das tägliche Leben erst später so richtig war. Das schwierigste für mich und die Kinder war, dass alle öffentlichen Plätze inkl. Spielplätze geschlossen wurden. Damit war es so gut wie unmöglich, mit einheimischen Familien in Kontakt zu kommen.
Wenn man die Zahlen anschaut, hatte Australien Glück oder wie man das auch immer nennen möchte. Der Peak war bei rund 500 Neuansteckungen im März und danach flachte die Kurve ab. Insgesamt wurden bis heute ca. 7000 Fälle gezählt.
e/m: Wie ist die aktuelle Situation bei euch?
Inzwischen befindet sich das Land inmitten der schrittweisen Öffnung. Der Süden hat im Moment sogar keinen einzigen aktiven Fall. Auch die Spielplätze sind seit wenigen Tagen wieder offen und bald dürfen Restaurants wieder Gäste bedienen – social distancing gilt weiterhin. Man spürt aber eine gewisse Anspannung, weil der Winter bevorsteht. Wohl auch deswegen werden nur langsam Maßnahmen gelockert und von einer Grenzöffnung für internationale Reisen (außer Neuseeland und Tasmanien) wagt man noch gar nicht zu sprechen.
Startschwierigkeiten
e/m: Mit welchen Schwierigkeiten hattet ihr vor der Ausreise gerechnet? Und welche sind jetzt die tatsächlichen Herausforderungen?
Anfänglich waren es Gedanken wie „hoffentlich klappt es mit der Einfuhr“ (die Vorschriften sind sehr streng, alles musste blitzblank sein) oder „wie wird es wohl sein so ganz ohne familiäre Unterstützung“. Weil es wenige Tage vor der Ausreise um Grundsatzfragen wie „schaffen wir es überhaupt noch ins Land hinein“ ging, rückten die anderen Befürchtungen in den Hintergrund und wurden nebensächlich. Wir waren einfach nur noch dankbar und überglücklich hier sein zu dürfen.
Aktuelle Herausforderungen sind die soziale Integration für mich und die Kinder. Aufgrund der letzten Monate und weiterhin bestehenden Restriktionen kommen wir kaum in Kontakt mit lokalen Familien. Die Spielplätze sind oft leer und die Spielgruppen bleiben bis auf weiteres geschlossen. Ich malte mir aus, wie unser Kleiner mit anderen auf den Spielplätzen rumtobt und dabei Freundschaften entstehen, von denen er auch gerade mit englischen Wörter profitiert. Ich bin sehr gespannt, wie sich das entwickelt, bin aber zuversichtlich.
Für mich ist auch der Linksverkehr eine große Herausforderung. Im Kreisel bekomme ich Schweißausbrüche. Obwohl ich jahrelang unfallfrei Auto gefahren bin, schaffte ich es bei meiner ersten Fahrt einen Parkschaden zu verursachen, natürlich auch noch auf dem Gelände des Arbeitgebers von meinem Mann.
e/m: Vom Fahren im Linksverkehr kann ich auch ein Lied singen. Ich habe damals in England einen Außenspiegel und einen Vorderreifen geliefert. Das gehört wohl dazu. Davon und von den allgemein erschwerten Bedingungen abgesehen: Was gefällt deiner Familie bisher am Besten?
Adelaide mit seinen reizvollen Vororten bietet eine wunderschöne und sehr abwechslungsreiche Umgebung – und wir haben noch keinen Bruchteil davon gesehen. Die wenigen Kontakte, die wir bis anhin hatten, waren sehr positiv. Ich hatte zuerst Befürchtungen, dass wir als Europäer gerade in diesen Zeiten gemieden werden, aber das hat sich zum Glück keineswegs bestätigt.
Nützliches und Tipps
e/m: Was war das Nützlichste, was du von zuhause mitgebracht hast?
Neben all den Dingen für den täglichen Bedarf, waren die Geschenke in letzter Minute von Freunden aus dem Wohnviertel, in dem wir wohnten, eine tolle Sache. Wir hatten ja unsere Koffer gepackt, bevor klar wurde, dass wir in die Quarantäne müssen. Da waren die farbigen Malstifte, personalisierten Puzzles und Bücher eine willkommene und wunderschöne Ablenkung.
e/m: Wer oder was hat dir in dieser Zeit bisher am meisten geholfen?
Wer hat geholfen: Unsere Familie, die dafür sorgte dass unser Auto aber auch unsere Wohnung nach der Abreise abgabefähig wurde (Danke Bruderherz). Unsere Freunde und Nachbaren aus dem Familienquartier, von denen wir uns ungern verabschiedeten, aber auch nicht zu vergessen die hilfsbereite Firma von meinem Mann. Sie hat das ganze flexibel ermöglicht und uns mit einer Selbstverständlichkeit in den ersten Wochen mit Nahrungsmittel und allem, was wir benötigten, versorgt.
Was hat geholfen: Wir hatten grundsätzlich schon immer eine optimistische Einstellung zu den Dingen. Und nun wissen aus eigener Erfahrung, dass man noch so gut planen kann, letztendlich benötigt man auch einfach nur Glück.
Wenn wir mal nicht über den Berg sahen, versuchten wir uns bewusst zu werden, dass es nicht existenzielle Probleme sind. Adelaide hat zwar einige Hügel, aber keine unbezwingbaren Berge ;-) Denn gerade in dieser Krise wird man sich wieder bewusst, dass wir privilegiert leben – wir haben einen Job, sind gesund, haben ein schönes Dach über dem Kopf, feines Essen (wenn Mama die richtigen Zutaten findet) und uns als Familie.
Falls auch diese Gedanken nicht geholfen haben, half nur noch Humor und die Emotionen raus zu lassen, wie unser 3.5-Jähriger.
e/m: Was wäre Dein Tipp für alle, die wie du mitten in dieser turbulenten Zeit ins Ausland gezogen sind?
Es ist schwierig, einen allgemeingültigen Tipp zu geben, denn es ist sehr individuell.
Für mich eröffnete sich durch den Beitritt in Facebook-Gruppen neue Möglichkeiten von Austausch. Es tat mir zum Beispiel unheimlich gut zu lesen, dass die Reaktion meiner Kinder normal ist. Auch gegen meine soziale Isolation half es, denn ich lernte eine Mama kennen, die ziemlich genau versteht, was gerade bei uns die Hauptthemen sind, das verbindet und schenkte mir unheimlich viel Gelassenheit.
Für die Kinder habe ich möglichst versucht, feste Rituale in den Tag einzubauen. Die meisten Rituale kennen sie bereits von zu Hause. Wir sind zum Beispiel täglich in der Natur, nun neu einfach am Strand oder in einem der schönen Parks.
Wir machen oft lustige oder auch mal alltägliche Videos für unsere Familien und Freunde und bekommen viele zurück. Anfänglich bekamen wir täglich Facetime-Anrufe, diese waren aber meistens zur falschen Zeit und wühlten alle zu sehr auf. Die Videos kann ich besser dosieren und sie sind zudem auch gerade eine tolle Erinnerung.
Obwohl ich gerne eine geordnete Umgebung habe, ist der Haushalt gerade zweitranging für mich, Besuch dürfen wir ja zurzeit sowieso keinen haben, also muss und wird es ja niemand sehen ;-)
Grundsätzlich half mir vor allem eine positive Grundeinstellung, Geduld und Nachsicht (auch mit mir selbst).
e/m: Worauf freust Du Dich in den nächsten Wochen am Meisten?
Ich freue mich sehr auf unser neues Zuhause. Wir werden im Juni das Airbnb verlassen und in an einen schönen Vorort von Adelaide ziehen. Wir haben uns für die Suche eines Hauses Zeit gelassen und erst zugesagt, als wir beide voll und ganz davon überzeugt waren. Die Suche kostete Zeit und Nerven, aber nun ist die Vorfreude umso grösser.
Parallel erhoffe ich mir weitere Lockerungen der Restriktionen und ein Einkehren von einer gewissen Normalität, mit vollen Spielplätzen und Angeboten, um mit lokalen Familien in Kontakt zu kommen.
e/m: Liebe Sibylle, vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast. Ich wünsche euch gutes Einleben trotz der Schwierigkeiten und viele schöne Erlebnisse! Bleibt gesund!
Möchtest du auch deine Geschichte erzählen? Dann freue ich mich, wenn du mir schreibst.