Interview: Neu in...

Neu in… Tuscaloosa – Corona-Edition

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Wie sieht der Neustart im Ausland aus, wenn quasi gleichzeitig eine Pandemie ausbricht? Das habe ich für meine Serie „Neu in…“ Gyöngyi gefragt, die zum Halbjahreswechsel in den USA ankam und seit drei Monaten im neuen Land nur den Ausnahmezustand kennt. Eine neue Normalität ist noch in weiter Ferne.

Neustart unter erschwerten Bedingungen

e/m: Liebe Gyöngyi, wo genau bist Du mit Deiner Familie gelandet?

G: Mein Mann, mein jüngstes Kind (15) und ich sind seit Anfang Februar 2020 in einer grünen Oase am Rande von Tuscaloosa, Alabama, gelandet. Der großzügige Bungalow ist in einer sehr gepflegten und grünen Gegend, wo vorwiegend wohlsituierte und freundliche Amerikaner unsere Nachbarn sind.

Meine beiden großen Kinder blieben an ihren jeweiligen Studienorten (Freiburg und Vancouver).

e/m: Was war Dein erster Eindruck?

G: Ich hatte bereits viele Jahre in Kanada gelebt. Ich dachte, ich kenne das, wie es ist, keinen Bürgersteig zu haben, dafür aber eine sechsspurige Hauptstraße, und das in einem Ort mit nur 100.000 Einwohnern. Aber ich habe mich getäuscht. Tuscaloosa und Umgebung ist noch viel größer und weitläufiger als ich das erwartet hatte. Mir war sofort klar, hier ist man aufs Auto angewiesen, und zwar so viele Auto, wie es Fahrer in der Familie gibt, sonst geht gar nichts.

Mein zweiter ‚erster‘ Eindruck betrifft die Menschen. Bislang bin ich ausschließlich zuvorkommenden und freundlichen Menschen begegnet.

Vier Wochen vor unserem Umzug haben wir einen Look and See-Trip integrieren können. Unsere Relocatorin, Deana, hat uns sehr geholfen. Das Haus, wo wir jetzt wohnen, hat sie ‚erkämpft‘, nachdem der Vermieter einen Rückzieher machen wollte, obwohl alle Unterlagen schon unterzeichnet waren. Sie hat hartnäckig verhandelt und uns zur Seite gestanden. Sehr wichtig eine erfahrene und dazu sympathische ‚Relocaterin‘ zu haben.    

e/m: Wie war der Start für deine Familie? 

G: Ins Ausland umzusiedeln ist schon eine Herausforderung an sich.

Diese enorme Umstellung gepaart mit Heimweh und Pandemie gleicht am ehesten einer Sturzgeburt. Es kam mit voller Wucht, leidvoll und unerwartet. Nur mit einem Unterschied: Es liegt kein quietschlebendiges Lebewesen vor uns, sondern eine weltübergreifende Unsicherheit und Angst. Hätte mich jemand vor der Entwicklung gewarnt, wäre ich diesmal nicht ins Ausland gezogen. Insofern, habe ich das Bedürfnis, nochmal einen (Neu)-Start zu wagen, wenn die Einschränkungen aufgehoben sind. 

e/m: Wann kamen die ersten Einschränkungen wegen Corona? Wie ist die aktuelle Situation bei euch?

G: Corona hat die Bedeutung ‚Ehrenkranz‘ – unfassbar. Wie kann denn ein so zerstörerischer Virus so genannt werden? Na ja, die ersten Einschränkungen haben wir Mitte März wahrgenommen: Die Schule blieb geschlossen, und einige Geschäfte, wie zum Beispiel T.J. Maxx. Ich weiß das so genau, weil ich eine Backform kaufen wollte, die haben immer eine tolle Auswahl und ich war erstaunt, dass so ein großer Laden einfach schließen kann.

Die Schule hat den Springbreak einfach um eine Woche verlängert, daher war es gar nicht so ungewohnt. An dieser Stelle möchte ich ein großes Lob aussprechen an die Schule Tuscaloosa Academy. Sie haben nach zwei Wochen ‚Ferien‘ einen geregelten Stundenplan aufgestellt und täglichen Unterricht über Zoom eingeführt. Die Lehrer haben uns sofort kontaktiert, einfühlsame Emails geschickt und versucht, mit nötiger Empathie ein bisschen Struktur reinzubringen. Ich bin sehr dankbar, dass zumindest meine Tochter in dieser unfassbar ungewissen Zeit einen sicheren Rahmen hatte, einen geregelten Fern-Schulablauf.  

Aktuell werden die Einschränkungen langsam aufgehoben. Mein Mann hat nach sechs Wochen Home-Office wieder Büro-Tage, er wird auf die leckeren Mittagessen wieder verzichten müssen.  In der Firma wurden sehr strenge Hygiene-Maßnahmen eingeführt. Seiner Aussage nach halten sich aber alle vorbildlich daran. 

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e/m: Hattet ihr vorher Zeit, euch zu orientieren? Die Gegend zu erkunden? Vielleicht schon einen ersten Lieblingsort zu entdecken? Oder gar Kontakte zu knüpfen?

G: Da wir dieses Mal mit Luftcontainer umgezogen sind, waren wir in den ersten Wochen damit beschäftigt, unseren gesamten Hausrat anzuschaffen. Auch das hat sich viel schwieriger gestaltet als angenommen.  Man muss bedenken, dass nicht in jedem Ort ein Ikea zu finden ist und die hiesigen Möbel gediegen und teuer sind. Deswegen haben wir beschlossen, von rückkehrenden Expats Möbel abzukaufen. Bis wir alle notwendigen Möbel zusammen hatten, mit geliehenem Transporter alles nach Hause transportieren und aufbauen konnten, vergingen ein paar Wochen. 

Die unmittelbare Gegend haben wir nur beschränkt erkunden können, weil uns einfach die Zeit dazu fehlte – bis plötzlich der Lockdown kam. Trotzdem gibt es eine Strecke die mir Kraft und Hoffnung verleiht.  Das ist der Riverwalk entlang dem ‚Black Warrior‘, der ‚schwarze Kämpfer‘, unser Fluss. Irgendwie passt es ganz gut mit dem Namen, ich kämpfe auch, mit der Krise, mit Heimweh, mit der Sehnsucht nach meinen zwei großen Kindern, mit meinem inneren Schweinehund…bin aber auf dem Weg wo ich Licht sehe…

Übrigens, der Riverwalk wurde mir von netten Expat-Mamas gezeigt, die ich bereits in der Schule kennenlernen durfte. Hier möchte ich noch erwähnen, dass Facebook-Gruppen, die explizit von Expats gegründet werden, sehr hilfreich sind. Bereits vor der Ausreise kann man sich an solche Gruppen wenden, um in Kontakt zu kommen und Erfahrungsberichte zu lesen (Wahl der Schule, der Bank oder des Hausarztes).

Den ersten richtigen Ausflug haben wir unternommen während unsere ältere Tochter uns besucht hatte. Es ging gleich nach New Orleans, Anfang März – jetzt ein Corona Hotspot. Gott sei Dank sind wir glimpflich davongekommen.

Leicht Kontakte zu knüpfen, muss wohl in meiner DNA eingespeichert sein. Durch meinen Werdegang bin ich dazu ‚verdammt‘ Kontakte zu knüpfen, und auch hier war ich auf dem besten Weg es wieder zu tun…bis der Lockdown kam. Jetzt fühle ich mich nur noch gelähmt. Aber: Ich werde es nochmal angehen, in meinem Interesse und im Interesse meiner Familie, ich werde einen neuen ‚Neustart‘ wagen. Übrigens, die Fragen von ‚Expatmamas‘ finde ich äußerst hilfreich, vielen Dank für die Gelegenheit liebe Jonna!

e/m: Dankeschön. Das freut mich! :-) Nachdem du dich vorab schon so gut informiert hattest: Mit welchen Schwierigkeiten hast du vor der Ausreise gerechnet? Und welche sind jetzt die tatsächlichen Herausforderungen?

G: Wir wussten, dass Autos zu mieten und zu versichern teuer werden kann, aber dass wir auf unser zweites Auto bis heute noch warten müssen (4 Monate), damit haben wir nicht gerechnet. Und, das schönste ist, dass alle Involvierten sich immer sehr nett entschuldigen und einem einen wunderschönen Tag wünschen, nur sagen können sie nichts Handfestes…macht mich wahnsinnig.

e/m: Oh, das kann ich gut verstehen. Trotz dieser Ärgernisse und der allgemein erschwerten Bedingungen: Was gefällt deiner Familie bisher am Besten?

G: Das gute Wetter, die grüne Oase um uns herum, die Tiere, die sich ganz nah ran trauen, der See und der Fluss, die Einsatz zeigenden Lehrer, die Menschen die einem mit ‚God bless you‘ begegnen, vor allem in dieser Zeit, nimmt man bewusst wahr. 

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Die Fahrt zur Arbeit meines Mannes ist wesentlich entspannter als daheim auf der A8. 

Tipps und Nützliches

e/m: Was war das Nützlichste, was Du von zuhause mitgebracht hast?

G: Leichte Daunendecken samt Bettbezügen: Da wir im Februar angekommen sind, war es noch recht kalt. Dazu kommt noch die Tatsache, dass die Häuser durch ihre Bauweise auch sehr schnell abkühlen, insofern war es mir ständig kalt. Auch die fehlende Fußbodenheizung hat dazu geführt, dass ich Hausschuhe tragen musste, auch das hatte ich dabei. 

Riverwalk Tuscaloosa - #imauslandzuhause #lebenindenusa

Dann noch:
Nordic Walking Stöcke: hat über schwierige Zeiten hinweggeholfen
Salatgewürz Nr. 4: es schmeckt ein wenig wie zu Hause
VibaSept Hygiene Spray: wer hätte gedacht, dass es zum Dauereinsatz kommt?
Eine Handvoll Fotoalben: wird gern darin geblättert
Feiner hochprozentiger ‚Willy‘: …war für besondere, feierliche Anlässe gedacht, die gab es leider noch nicht, nichtsdestotrotz geht die Flasche langsam zur Neige…Corona verschuldet

e/m: Wer oder was hat Dir in dieser Zeit bisher am meisten geholfen?

G: Die Ruhe und der Optimismus, die mein Mann ausstrahlt, hat mir geholfen.
Meine Tochter, die sehr pflichtbewusst ihre Schulaufgaben erledigt hat, hat mir geholfen, aber auch die Tatsache, dass die zwei anderen Kinder, die auf sich alleine gestellt sind, mit dieser Krise mit Bravour umgegangen sind, hat mir geholfen.
Die Freunde und die Eltern, die einem Zuspruch gegeben haben, haben mir geholfen.
Die anspruchsvollen Gedankenanstöße, die ich von früheren Kolleginnen und Kollegen bekommen habe, haben mich zum Nachdenken angeregt, das hat geholfen…

e/m: Was wäre Dein Tipp für alle, die wie du mitten in dieser turbulenten Zeit ins Ausland gezogen sind?

G: Die Frage finde ich am schwierigsten… mein Tipp wäre:
– den Tag zu strukturieren,
– viel in die Natur zu gehen,
– die Kontakte, die man in die Heimat hat, zu pflegen, aber die Kontakte, die einem nicht gut tun zu reduzieren,
schreiben, Gedanken sortieren, intellektuelle Beschäftigungen finden, um im Kopf gefordert und abgelenkt zu sein,
lesen, aber möglichst nicht nur Nachrichten, und letzten Endes nicht die Hoffnung aufgeben. 

e/m: Worauf freust Du Dich in den nächsten Wochen am Meisten?

G: Auf eine Zeit ‚danach‘… wie auch immer diese Zeit aussehen wird, hoffentlich wird es nicht schlimmer werden. Auf ein Wiedersehen mit meinen erwachsenen Kindern… Auf Begegnungen mit Menschen in Echt und nicht nur in den Sozialen Medien… Auf Nächte, wo ich endlich durchschlafen kann.

e/m: Liebe Gyöngyi, vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast. Ich wünsche dir bessere Nächte, deiner Familie alles Gute und uns allen hoffentlich bald eine Entspannung der Lage! Bleibt gesund!

Möchtest du auch deine Geschichte erzählen? Dann freue ich mich, wenn du mir schreibst.

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