Interview: Neu in...

Neu in … Lidingö

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Als Expat in Schweden zu leben, mag wie ein Bullerbü-Traum scheinen. Und tatsächlich sind Steffi und ihre sechsköpfige Familie auf Lidingö viel in der Natur, genießen die Wälder und die Nähe zum Wasser. Aber eben auch, weil ihnen wegen Corona nicht viel Anderes bleibt. Von ihrem nicht leichten Start im neuen Land erzählt sie heute im Interview.

e/m: Liebe Steffi, seit wann lebt ihr in Schweden und wo genau seid ihr zuhause?

Wir wohnen seit August 2020 direkt vor den Toren Stockholms auf der Insel Lidingö in einem Haus.

Dass wir nicht in der Stadt leben, liegt auch am schwedischen Mietrecht. In der Stadt gibt es praktisch nur Wohnungen als Untermieter zu mieten – und das ist fast immer zeitlich begrenzt auf maximal ein Jahr. Die Schweden kaufen diese Wohnungen bzw. ein sog. „bostadsrätt“, ein Wohnrecht. Aber die Hausgemeinschaft darf immer mitreden, wenn die Wohnung untervermietet wird. Und offenbar gibt es eben die Genehmigung dafür i.d.R. nur für kurze Zeiträume. Aber natürlich wollen wir nicht jedes Jahr umziehen – mit vier Kindern und Hund.

Allein stehende Häuser können frei von Beschränkungen vermietet werden. Da besteht allerdings die reale Gefahr, dass das Haus verkauft wird – in dem Fall kündigen die Vermieter vorher, damit die Käufer direkt einziehen können. Eine Regelung à la „Kauf bricht Miete nicht“ gibt es in Schweden nicht. Ich weiß zurzeit von drei oder vier Familien, die kurzfristig aus ihrem Haus müssen, weil es verkauft wird. Wir haben Glück: Wir haben von einer Firma gemietet und einen Zeitmietvertrag, den die Firma ihrerseits nicht kündigen kann.

e/m: Was war Dein erster Eindruck? Wart ihr vorher schon zu einem Look&See-Trip dort?

Nein, wir haben das Haus nur per Videocall besichtigt – Corona sei Dank.

Der erste Eindruck ist schon ein bisschen her jetzt. Aber was ich sagen kann: Schweden ist nicht Bullerbü. Die Deutschen haben meistens eine sehr romantisierende Vorstellung von diesem Land und seinen Bewohnern – aber so harmonisch wie das von außen aussieht, ist es nicht.

Wir haben zwar noch nicht so viel mit echten Schweden zu tun, weil wir wegen der Pandemie auch hier unsere Sozialkontakte sehr beschränken. Aber was wir so z.B. im Bereich Schule – oder auch in den Medien bzgl. der Coronapolitik – mitkriegen, ist z.B. eine ziemliche Konfliktscheue. Es scheint z.B. nicht üblich zu sein, vorher über geplante politische Maßnahmen zu diskutieren: Die werden einfach in einer Pressekonferenz bekannt gegeben – und dann ist das erstmal so. Erst Monate später gibt es u.U. eine Untersuchung (wie z.B. zum Umgang mit der ersten Corona-Welle) und dann werden ggf. Missstände benannt. Aber direkte Kritik an politischen Entscheidungen scheint unüblich zu sein, auch in den Medien.

Das ist ein für uns sehr gewöhnungsbedürftiges Verständnis von Demokratie. Denn die lebt ja eigentlich von Diskussionen.

e/m: Wie war der Start für deine Familie?

Sehr durchwachsen. Unsere ältesten drei Kinder sind schon nach wenigen Wochen im Land krank geworden: Halsweh, Husten, Kopfweh…

Unsere älteste Tochter (15) war allerdings anders als ihre zwei jüngeren Geschwister nicht nach einer Woche wieder fit. Sie blieb für Monate so müde und kraftlos, dass sie bis Ende 2020 nicht in die Schule gehen konnte. Ob es Covid19 war, wissen wir nicht. In der akuten Krankheitsphase hielt ein Arzt einen Test für unnötig, weil sie keine Probleme mit der Lunge hatte. Und danach waren mehrere Antikörpertests negativ. Aber das heißt bei Corona nicht viel. Zum Glück geht es ihr jetzt wieder fast gut. Sie hat nur immer noch einen rasend hohen Puls bei leichtesten Belastungen (150, wenn sie ein paar Minuten steht).

Ansonsten kennen wir eben noch wenig Leute. Den Nachbarn haben wir zur Vorstellung eine Postkarte mit einem Foto von uns und einem Satz zu jedem eingeworfen. Die anderen Eltern in der Schule treffen wir höchstens beim Abholen des jüngsten Kindes mal kurz.

Die Elternabende fanden im Herbst zwar noch vor Ort in der Schule statt, aber immer nur mit einem Elternteil pro Familie. Mein Mann hat natürlich seine neuen Kolleg:innen, aber ich treffe neue Leute höchstens auf dem Hundeauslaufplatz.

Unser Hund hat sich tatsächlich als die beste Kontaktquelle erwiesen! – Er war erst 15 Wochen alt, als wir hier angekommen sind, was die Anfangszeit auch ziemlich stressig gemacht hat. Aber er ist wirklich der Grund für die meisten Gespräche mit Fremden. Die Schweden lieben Hunde und auch hier gab es einen „Corona-Hunde-Boom“.

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Corona in Schweden

e/m: Wann kamen die ersten Einschränkungen für euch wegen Corona? Wie ist die aktuelle Situation bei euch?

Von Anfang an waren die Einschränkungen in Schweden ja nicht so stark wie in Deutschland. D.h. wir fanden es hier eher erstaunlich, was alles noch offen und möglich war als wir ankamen. Man merkte fast nichts von Corona, wenn man durch Stockholm ging. Die Beschränkungen wurden seitdem etwas verschärft, weil es auch hier eine zweite Welle gab – und die dritte rollt gerade an.

Als wir ankamen, durften noch bis zu acht Personen an einem Tisch im Restaurant sitzen bei einem Meter Abstand zwischen zwei Parteien. Jetzt sind es mittlerweile nur noch vier. Außerdem dürfen die Restaurants ab 20 Uhr keinen Alkohol mehr ausschenken und sie müssen um 20:30 Uhr schließen.

Seit wenigen Wochen werden nun auch hier endlich Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln und an anderen Orten, wo man schlecht Abstand halten kann, empfohlen. Aber nur empfohlen! Alles hier wird nur empfohlen.

Seit Januar gibt es ein neues, zeitlich begrenztes Pandemie-Gesetz, aufgrund dessen jetzt erstmals vorgeschrieben werden darf, dass nur eine begrenzte Personenzahl in Geschäfte darf. Von einer Bußgeldbewehrung habe ich allerdings nichts gehört.

Seit einigen Monaten sind hier auch die meisten Museen und Bibliotheken zu, die Schwimmbäder. Die Jugendlichen ab der 10. Klasse hatten Distanzunterricht bzw. Wechselunterricht (das haben die Regionen und z.T. auch die einzelnen Schulen unterschiedlich gehandhabt).

Für wenige, einzelne Wochen, z.B. nach den Skiferien in KW 8, waren hier auch die Klassen 7 bis 9 zuhause. Die Schweden sind nämlich sehr eifrig in den Skiurlaub gefahren. Damit sich danach keine unkontrollierbaren Infektionsketten ergeben, hat man dann eben eine Woche die Schüler ab Klasse 7 in den Distanzunterricht geschickt.

Weitere Einschränkungen waren, dass die Jugendlichen ab Jahrgang 2005 und älter nicht mehr in Sportvereinen trainieren durften – die jüngeren Kinder schon. In den Schulen darf im Musikunterricht nicht gesungen werden, die Klassen sollen möglichst getrennt bleiben… aber Masken, Luftfilter o.ä. werden nicht mal diskutiert.

Die Schweden bezweifeln nämlich – vermutlich als einziges Land der Welt – tatsächlich immer noch den Übertragungsweg über die Luft. Das Stichwort „Aerosole“ kennt man hier nicht. Auf der offiziellen Homepage der für Gesundheit zuständigen Behörde steht explizit, Covid19 sei kein über die Luft übertragenes Virus. Deshalb werden hier immer noch Händewaschen und Abstand halten als wichtigste Instrumente der Virusbekämpfung betrachtet. Unfassbar für uns Deutsche…

e/m: Hattet ihr vorher Zeit, euch zu orientieren? Die Gegend zu erkunden? Vielleicht schon einen ersten Lieblingsort zu entdecken? Oder gar Kontakte zu knüpfen?

Wir haben versucht, regelmäßig kleine Ausflüge in die Umgebung zu machen. Dabei ist es natürlich sehr schön, dass man hier insofern keinen Einschränkungen unterliegt. Es gibt zwar häufig dann vor Ort kein offenes Café , wenn man z.B. irgendwo wandern geht, aber man kann ja auch ein Picknick mitnehmen.

In der Umgebung von Stockholm ist es an Wochenenden auch draußen häufig  voll: Man fährt in einen Wald und denkt, man sei allein, aber wenn man dann losläuft, begegnen einem doch ziemlich viele Menschen! Die Schweden sind wirklich gern draußen und nutzen ihre schöne Natur ausgiebig: Pilze und Preiselbeeren sammeln im Herbst, in jeder freien Minute und auch gern mitten in Stockholm Langlaufskier fahren, Schlittschuhlaufen auf zugefrorenen Seen – dabei haben wir sogar schonmal mitgemacht – draußen auch im Winter grillen. Das sind alles sehr beliebte Beschäftigungen.

Man fährt hier im Winter auch immer mit einer Dachbox auf dem Auto herum: damit man jederzeit auf die Langlaufskier springen kann.

Kontakte haben wir noch wenige geknüpft. Wie schon oben erwähnt vor allem mit Leuten, die wir über die Schule der Kinder kennen, Kollegen:innen meines Mannes, ein oder zwei Nachbarn:innen.

Expat in Schweden

e/m: Mit welchen Schwierigkeiten hattet ihr vor der Ausreise gerechnet? Und welche sind jetzt die tatsächlichen Herausforderungen?

Ich hatte damit gerechnet, dass es nicht allen Kindern gleich gut gehen würde im ersten Jahr. Das ist auch so eingetreten.

Im Moment geht es der Hälfte der Kinder gut, der anderen nicht. Das belastet die Kinder und uns Eltern natürlich sehr, und es gibt in beiden Fällen keine einfachen Lösungen.

Ansonsten: Ich hätte gedacht, dass das Schwedischlernen schneller geht. Aber ohne Kontakte zu Schweden bzw. mit nur einmal die Woche einer Stunde online-Unterricht (in meinem Fall) ist das eben schwierig.

Die Kinder machen ganz unterschiedliche Fortschritte: Sie bekommen alle Zusatzunterricht in dieser Sprache in der Schule, aber die Große hat natürlich noch kaum was mitbekommen. Und Nr.3, unser Junge, sieht keinen Sinn darin, die Sprache zu lernen. Er will sowieso am liebsten zurück nach Berlin. Nr. 2 und Nr. 4 verstehen schon ziemlich viel, sprechen aber noch nicht aktiv. Und mein Mann hat so wie ich wenig Gelegenheit, mit Muttersprachlern zu sprechen, kann aber deutlich mehr als ich, weil er schon wesentlich mehr Unterricht hatte.

e/m: Unter den erschwerten Bedingungen: Was gefällt Deiner Familie bisher am Besten?

Die Natur, dass wir jederzeit an einen Strand fahren können, überhaupt das viele Wasser hier. Dass die Pfadfinder hier auch segeln gehen in der warmen Jahreszeit.

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Und tatsächlich sind wir Eltern mittlerweile sehr dankbar dafür, dass hier Unterricht für die Kinder in der Schule stattfindet. Wir haben zwar auch einige Probleme mit der äußerst konservativen Schule hier, aber grundsätzlich sind wir mittlerweile überzeugt davon, dass die Schweden an dieser Stelle richtig handeln (auch wenn wir uns bessere Schutzkonzepte für die Kinder und LehrerInnen in der Schule wünschen würden).

e/m: Was war das Nützlichste, was Du von zuhause mitgebracht hast?

Hm. Eigentlich gibt es hier ja die meisten Sachen wie bei uns – manchmal ist es nur komplizierter, sie zu finden, weil sie anders verpackt sind (z.B. Lebensmittelfarbe: kommt in kleinen Fläschchen, nicht in Tuben) oder eine andere Form haben (z.B. öffentliche Mülleimer sind häufig viel größer und viereckig und haben fast immer einen Deckel).

Aber ich bin ein Vorratsmensch und ein Gewohnheitstier. Deshalb bin ich froh über meine Spätzlespresse und einen Vorrat an Medikamenten (z.B. Vitamin D, gibt es hier zwar in jedem Supermarkt, aber viel höher dosiert als es in Deutschland als vernünftig angesehen wird).

e/m: Wer oder was hat Dir in dieser Zeit bisher am meisten geholfen?

Gespräche mit anderen Menschen: mit alten Freund:innen in Deutschland, mit anderen Expats via Facebook-Gruppen, mit Menschen hier in Stockholm – Eltern oder aber auch manche Zufallsbekanntschaft auf dem Hundeauslaufplatz.

e/m: Was wäre Dein Tipp für alle, die wie du mitten in dieser turbulenten Zeit ins Ausland gezogen sind?

Sicher hilft es, wenn man keine allzu ängstliche Person ist – aber das kann man sich ja nicht unbedingt aussuchen.

Ansonsten: Eine breite Informationsbasis haben (Landesmedien im neuen Land, aber auch Nachrichten aus der Heimat und aus anderen Ländern lesen/schauen). Vorsichtig bleiben. Die Umgebung auf Abstand zu anderen Menschen erkunden.

Viel draußen unternehmen, möglichst viel Bewegung (hilft erwiesenermaßen gegen Depressionen, auch präventiv).

Einen Vorrat an deutschen Kinderbüchern, CDs und anderen Beschäftigungsmöglichkeiten mitnehmen.

Sich darauf einstellen, dass das Ankommen im neuen Land dieses Mal länger dauert als unter normalen Umständen. Kontakte zu alten Freund:innen halten.

e/m: Worauf freust Du Dich in den nächsten Wochen am Meisten?

Ich hoffe, dass mit einer hohen Impfquote wieder ein normaleres Leben möglich sein wird. Dann möchten wir mit den Kindern das Land wirklich erkunden, Besuch von Familie und FreundInnen bekommen und auch Besuche in Deutschland machen.

e/m: Vielen Dank, liebe Steffi, dass Du Dir Zeit genommen hast. Ich wünsche euch gutes Einleben trotz der Schwierigkeiten und viele schöne Erlebnisse! Bleibt gesund!

Expat in Schweden Blog "Elch im Garten" https://www.expatmamas.de/community/blogs/ #expatblogs #expatmamas #imauslandzuhause

Besuch doch Steffi auch mal auf ihrem brandneuen Blog „Elch im Garten. Sie freut sich, wenn du vorbeischaust.

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