Expat-Leben

Warten am Wahltag

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Vor dreieinhalb Jahren habe ich darüber geschrieben, was Trump uns Expats lehrt. Das war im ersten Halbjahr seiner Amtszeit. Man ahnte Schlimmes und die folgenden dreieinhalb Jahre haben gezeigt: Es kam schlimmer. Bleibt die Frage: Kommt heute die Wende?

Zuverlässig wie kaum ein Politiker hat Donald Trump alles erfüllt, was man ihm zutraute. Manche Erwartung hat er gar überboten: 

Er hat die politische Diskussion in seinem Land auf Kindergarten-Niveau gebracht, indem er seine Kontrahenten konsequent mit Schmäh-Namen betitelt.

Er hat die internationale Diplomatie ausgehebelt, indem er Ländern via Twitter mit Vernichtung droht (Nord-Korea und Iran) und Verträge nach Gusto kündigt.

Er hat Rechtsradikale hofiert, indem er sie in seinen Beraterstab holte (Steve Bannon), sie mit Orden auszeichnete (Rush Limbaugh) und ihre Verschwörungstheorien zitierte.

Er hat die Afro-Amerikaner nicht nur mit Miss- sondern schierer Ver-Achtung bedacht, indem er die Gewalt, die sie erfahren, ständig relativiert.  

Und zu guter Letzt hat er das ganze Land in eine nationale Gesundheitskrise nie gekannten Ausmaßes gestürzt, indem er die Pandemie kleingeredet und die Hände in den Schoß gelegt hat.

Was für Amerika auf dem Spiel steht

Wenn ich mir meinen Politikwissenschaftler-Hut aufsetze, ist für mich klar:

Bei dieser US-Wahl geht es nicht mehr um Partei-Politik, um Konzept A gegen B, sondern um die Demokratie schlechthin.

Es geht darum, einen Mann aus dem Amt zu wählen, der es salonfähig machen will, sich mit Schlägertrupps gemein zu machen; der anonyme Bewaffnete in Großstädte schickt, um Demonstranten niederzuknüppeln; der bewusste Desinformation zum Kommunikationsstil macht, indem er einfach Behauptungen in den Raum stellt und anderen die Arbeit überlässt, zu recherchieren und ihm die Lüge nachzuweisen. Das ist der erste Schritt zur Autokratie.

Es geht bei dieser Wahl, die so viele historisch nennen, darum, jemanden ins Amt zu wählen, der seine Verantwortung ernst nimmt und ihr gerecht werden kann; der am politischen Diskurs interessiert ist, der demokratische Grundwerte lebt und nicht das Recht des Stärkeren zur Maxime macht. 

Erst wenn so jemand wieder im Weißen Haus sitzt, dann kann man wieder über Positionen debattieren und Politikentwürfe gegenüberstellen.

Erst muss überhaupt wieder die Diskussion in die politische Kultur zurückfinden. Derzeit regiert die bloße Behauptung.  

Was für Expats auf dem Spiel steht

Wenn ich mir meinen Expat-Hut aufsetze, dann spielen auch noch andere Dinge eine Rolle:

Das letzte Amtsjahr von Trump durfte ich in Atlanta miterleben. Und selbst wenn man sich als privilegierter Gast der politischen Realität des Landes hätte verschließen wollen, so ist doch spätestens mit Trumps Corona-Politik auch dem letzten Expat klar geworden, wessen Geistes Kind er ist. Blindwütiger Nationalismus an den Außengrenzen ist bislang Trumps einzige Strategie in der Pandemie. Kein Europäer darf rein (genauso einige andere auch nicht), völlig losgelöst von tatsächlichen Infektionszahlen oder gültigen Visa. Ein deutscher Expat direkt aus Frankfurt? Nein, danke. Ein deutscher Expat, der zwei Wochen in der Türkei Zwischenstopp gemacht hat? Sicher, gerne. Da geht es nicht mehr um Infektionsschutz, sondern um politische Willkür.

Dass auf diese Weise Familien seit Monaten getrennt sind, spielt im Weißen Haus keine Rolle. Dass so amerikanische Unternehmen und Forschungseinrichtungen aber auch wertvolle Mitarbeiter verlieren, allerdings genauso wenig. 

Das „nationale Interesse“ ist nur ein rhetorisches Deckmäntelchen für eine latente Fremdenfeindlichkeit des Präsidenten, die ihr wahres Gesicht endgültig an der Mauer zu Mexiko zeigt. 

Warten statt wählen

Leider bleibt Expats heute nur das Warten (wie dem Rest der Welt).

Warten auf den Wechsel im Weißen Haus in der Hoffnung, dass ein stringentes Konzept zur Bekämpfung der Pandemie auch wieder mehr Reisefreiheit bringt. 

Reisefreiheit, um getrennte Familien wieder zu vereinen, um Verwandte in der Heimat besuchen zu können, um Abschiede von Freunden nachzuholen oder um einfach die Schönheit Amerikas noch einmal zu erkunden.

Autor

Jonna Struwe, freiberufliche Autorin, Bloggerin und Gründerin von Expatmamas.de, dem Portal für Familien im Ausland

4 Kommentare Neues Kommentar hinzufügen

  1. hannes sagt:

    Hoffentlich ist Amerika vernünftig. Und der Herr mit den flexiblen Betrachtungsweisen von Fakten möge sich bitte schön zurückhalten, egal, wer das bessere Ende für sich hat.

  2. Irms sagt:

    Dein Artikel wäre gut für die Süddeutsche als Kommentar. Alles ist wirklich traurig und lässt einen mit Sorgen in die Zukunft blicken.

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